Jim Knopf, Pippi und Co: Buchhändlerin aus München äußert sich zum Kulturkampf um Kinderbücher

Wie soll man mit alten Kinderbüchern in der heutigen Zeit umgehen? Die AZ hat mit einer Kinderbuchexpertin aus München gesprochen.
Alexander Spöri
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Jim Knopf (Solomon Gordon) Lukas (Henning Baum), der Lokomotivführer in der neuen Realverfilmung von 2017.  Bei Jim Knopf haben die Verantwortlichen in neueren Versionen das N-Wort aus der Geschichte gestrichen.
Jim Knopf (Solomon Gordon) Lukas (Henning Baum), der Lokomotivführer in der neuen Realverfilmung von 2017. Bei Jim Knopf haben die Verantwortlichen in neueren Versionen das N-Wort aus der Geschichte gestrichen. © Warner/ dpa

München – Gestrichene Begriffe und vermeintlich altbackene Geschichten: Um Kinderbücher ist mittlerweile ein Kulturkampf entstanden. Erst vor wenigen Wochen hat der Thienemann-Verlag mit zwei neuen Büchern für Aufsehen gesorgt. Bei Jim Knopf haben die Verantwortlichen das N-Wort aus der Geschichte gestrichen. Auch die TV-Moderatorin Anke Engelke sorgte mit einer Neuadaption der rund 100 Jahre alten "Häschenschule" für Aufsehen.

Die Sortimentsmanagerin Cornelia Krüge vom in München gegründeten Buchhandelsfilialisten Hugendubel erklärt, wie Verlage bei solchen Änderungen vorgehen.

AZ: Frau Krüger, zahlreiche Kinderbücher wie Jim Knopf, Die Kleine Hexe oder Die Häschenschule werden modernisiert und teilweise auch adaptiert. Wie verändert sich der Buchmarkt, auch mit Blick auf alte, nostalgische Werke?
CORNELIA KRÜGER: Alte Werke wie der Struwwelpeter und Die Häschenschule hatten, als sie entstanden sind, einen erzieherischen Ansatz. Sie sind wichtig, auch wenn sie mittlerweile auf dem Markt nicht mehr so stark sind. Auch Märchen sind von großer Bedeutung. Mit ihnen kann man seine Ängste durchleben und wird mit Gefahren konfrontiert. Viele der heutigen Bücher sind harmloser und haben weniger Reibungsfläche. Verlage arbeiten die ganze Zeit mit den Klassikern. Das kriegen wir nur mit, wenn etwas in den Fokus gerückt wird.

Cornelia Krüger arbeitet seit 1997 als Sortimentsmanagerin beim Münchner Buchhandelsfilialisten Hugendubel. Ihr Fokus liegt auf Kinderbüchern.
Cornelia Krüger arbeitet seit 1997 als Sortimentsmanagerin beim Münchner Buchhandelsfilialisten Hugendubel. Ihr Fokus liegt auf Kinderbüchern. © Hugendubel

Bei Jim Knopf hat der Thienemann-Esslinger Verlag stereotypische und rassistische Sprachbilder in einer Neuausgabe gestrichen. Die Meinungen darüber gehen auseinander. Wie gehen die Verlage bei solchen Änderungen vor?
Die Verlage machen das besonders behutsam und passen die Werke an die heutigen Sehgewohnheiten an. Das N-Wort wurde herausgenommen, aber es wird nichts an dem Grundwerk verändert. Ohne Holzhammer und ohne einem Ruf zu folgen. Wenn man das nicht machen würde, dann würden die ganzen alten Klassiker verschwinden. Man muss sie frisch halten und sie der Gesellschaft zur Verfügung stellen, weil sie einfach wahnsinnig wichtig sind.

Freche und brave Werke: Autoren und Verlage sind sensibler geworden

Sind Kinderbücher dann heutzutage deutlich entschärfter und dadurch auch harmloser als früher?
Dass Kinderbücher keine Angst mehr machen, ist schon ganz lange so. Das war vielleicht noch in den 1950er-Jahren so. Es fing mit Erich Kästner an, dass richtige Kinderliteraturwerke in Deutschland entstanden sind. Die heutigen Autoren und Verlage sind natürlich sensibler geworden, was das Thema Inklusion, Schutz der Erde, Diversität betrifft. Aber man trifft heute trotzdem auf brave Werke und ebenso auf freche Werke.

Ist die Diskussion um angeblich umgeschriebene Bücher überhaupt gerechtfertigt?
Diese Bücher werden nicht umgeschrieben. Die Bücher werden schöner verpackt und so weiterhin attraktiv gehalten. Bei manchen Klassikern gibt es auch neue Übersetzungen. Hin und wieder illustriert man die Klassiker auch neu, zum Beispiel bei Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf, weil die alten Illustrationen nicht mehr zeitgemäß waren. Man hat dann überlegt, wie der Text und die Geschichte erhalten bleibt, indem man es eben frisch gestaltet und es so lebendig hält.

Neuerzählung der "Häschenschule": TV-Star Anke Engelke hat die Geschichte in die Jetztzeit übertragen

Die neue Häschenschule von Anke Engelke hat neulich für Diskussionen gesorgt, weil in ihrer Adaption des 100 Jahre alten Kinderbuch-Klassikers aus einem gefährlichen Fuchs, ein vegan lebendes, freundliches Tier geworden ist. Statt ihm werden Bauern als Gefahr dargestellt, Fuchs und Hase werden zu Freunden.
Der Verlag hat Anke Engelke beauftragt eine neue Häschenschule zu schreiben, es gibt parallel aber auch eine Version mit einem Vorwort von Senta Berger mit der historischen Einordnung der Geschichte. Ich denke, wenn es gerade nicht die aktuelle Thematik mit den Bauern geben würde, dann wäre Anke Engelkes Häschenschule auch gar nicht so in den Fokus geraten. Das alte Buch kam aus einer anderen Zeit. Wenn man die Geschichte allerdings in die Jetztzeit übertragen möchte, dann muss man natürlich schauen, wie es heute aussieht. Aber den Schulalltag und, dass in der Welt Gefahren lauern, das hat sie eigentlich genau im Sinne der 100 Jahre alten Häschenschule umgesetzt.

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Bauern kritisieren, dass sie im Buch auch durch dunkle Illustrationen zum Feindbild werden. Trifft das zu?
Meiner Meinung nach werden hier keine Feindbilder aufgestellt, das war sicherlich auch nicht Anke Engelkes Intention. In der alten Häschenschule wird der Fuchs auch plakativ dargestellt und sieht richtig fies aus.

Kinderbuchexpertin: Es gibt heutzutage keine Sprachverbote

Manche Leser haben bei der AZ kommentiert, dass man in moderneren Kinderbüchern gezielt andere, auch politische Werte vermitteln wolle. Können Sie dem beipflichten?
Die Grundwerte – sei du selbst, wachs über dich hinaus, freundlich zueinander sein, sich geborgen fühlen – das durchzieht weiterhin alle Werke. Bei Geschichten aus Amerika ist das vielleicht alles ein bisschen bedeutungsschwangerer, aber die Grundwerte gab es früher und sie sind immer noch genauso da.

Was würden Sie Menschen sagen, die von "Sprachverboten" sprechen, weil Begriffe aus einem Buch in einer neuen Ausgabe entfernt werden oder eine Geschichte sich verändert?
Niemandem wird etwas genommen. Alles steht genauso zur Verfügung. Es will wirklich keiner etwas Böses.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Krüger.

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28 Kommentare
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  • Anderl17 am 16.04.2024 22:04 Uhr / Bewertung:

    Das ist ja übel, wie sich hier gegenseitig angegangen und zerfleischt wird. Ist doch nicht schlimm, wenn alte Klassiker sprachlich aktualisiert werden. Und wer die alten Varianten bevorzugt, kann diese weiterhin kaufen.

  • gubr am 16.04.2024 11:46 Uhr / Bewertung:

    Schön, dass mein Beitrag wieder ins Nirvana verschwunden ist. Was da nicht "nett" sein soll, wenn man auf Linguistik hinweist und wie Schwarz in lateinischen Sprachen übersetzt wird. Mal sehen ob es jetzt immer noch nicht "nett" genug ist.

  • sircharles am 16.04.2024 10:34 Uhr / Bewertung:

    Das ganze ist ein Spiegelbild unserer immer mehr verblödeten Gesellschaft. So werden aus unseren Kindern Jammerlappen erzogen. Keine Leistung, kein Wettbewerb, kein Respekt mehr. Zum Glück hatte ich noch eine normale Kindheit.

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