"Jetzt muss die Wunde heilen"

Der Imam saß 79 Tage in Haft. Er hat dort 33 Kilo abgenommen. Hier erklärt er, wieso er die Frau, die ihn ins Gefängnis gebracht hat, noch immer liebt
MÜNCHEN Die 79 Tage in der Zelle haben ihn gezeichnet. Hohlwangig und abgemagert ist Imam Abu Adam (41) am Freitag nach seiner Haftentlassung aus der JVA Stadelheim wieder nach Hause zurückgekehrt. Zu den Ehefrauen Aisha (36) und Arwa (27) und zehn seiner Kinder.
Stunden zuvor hatte Ashia (31) die dritte seiner Frauen, bei der Polizei alle ihre Misshandlungsvorwürfe gegen ihn zurückgezogen: „Ich habe gelogen” (AZ berichtete). Ihre zwei Kinder (11 und 32 Monate) hat sie offenbar nach Syrien gebracht. Die AZ hat mit dem Imam gesprochen.
IMAM ABU ADAM: Das war schwer, aber man muss aus jeder Situation das Beste machen. Ich war teilweise mit vier und mit zwei Personen in einer Zelle und auch mal ein paar Tage alleine. Ich habe mich mit einigen Menschen angefreundet. Ich bin froh, dass es nie Konflikte gab.
Sie sind sehr abgemagert. Hat Ihnen das Essen nicht geschmeckt?
Ich habe fast nur Obst gegessen und 33 Kilo verloren. Ja, ich konnte nicht mehr essen.
Hatten Sie Besuch?
Nur von meinen Anwälten. Das war das Schlimmste überhaupt, dass ich von einem Tag auf den anderen aus meiner Familie rausgerissen worden bin. Das war wie Sterben. Sehen Sie, meine Frauen und meine Kinder sind immer ganz nah bei mir gewesen, ich habe meine ganze freie Zeit mit ihnen verbracht. Zwei Frauen waren ja auch noch hochschwanger. Vor allem hatte ich Sorgen um Ashia, sie ist krank, sie braucht Hilfe. Wenn ein Mensch so schwer depressiv ist, kann er sich ja auch selber schädigen
Sie meinen Ihre Drittfrau, die Sie angezeigt hat?
Genau genommen ist sie meine zweite Frau – das ist immer falsch berichtet worden. Ja, sie meine ich.
Was glauben Sie, warum hat sie Sie so schwer beschuldigt?
Ab dem ersten Tag meiner Inhaftierung habe ich für sie gebetet, dass Gott sie heilt und ihr verzeiht. Sie hat nach der Geburt des zweiten Kindes Depressionen bekommen, der Hormonspiegel spielte verrückt. Sie wusste nicht, was sie tut. Trotzdem liebe ich sie. Einen kranken Menschen kann man nicht beschuldigen. Sie ist eine gute Frau, die für mich große Bedeutung hatte.
Woher stammen dann die Verletzungen, die sie hatte?
Ashia hatte oft Schwindelgefühle und Konzentrationsmängel. Schon bei unserer Hochzeit in der Moschee ist sie umgefallen, das konnten damals tausend Menschen sehen.
Der gebrochene Arm? Die gebrochene Nase?
Ich war nicht immer dabei, wenn sie gestürzt ist. Ich bin ja als Prediger immer viel unterwegs gewesen, von einer Stadt zur anderen. Aber es gibt Briefe, in denen sie mir schrieb, dass sie wieder auf einer Treppe gestürzt ist und sich verletzt hat.
Hat jemand die Frau unter Druck gesetzt, ihre Aussage zurückzuziehen?
Wer hätte das machen sollen? Ich habe seit damals keinen Kontakt zu ihr.
Wissen Sie, wo Asmaa und Asiha sind, die zwei kleinen Töchter, die Sie mit ihr haben?
Nein, das ist entsetzlich. Ich las in der Zeitung, dass sie jetzt in Syrien sein sollen. Dass die Mädchen von ihren Geschwistern getrennt sind, ist furchtbar.
Das Wiedersehen mit Ihrer Familie – wie war das?
Sie sind alle noch in einem Albtraum. Die Kinder haben sich in der Schule sehr gequält, sie sind dort ausgelacht und beschimpft worden, weil ich im Gefängnis war. Sie haben noch gar nicht realisiert, dass alles vorbei ist. Natürlich freuen sich alle, aber es versteht noch keiner so richtig.
Was gab’s zur Begrüßung?
Meine Frauen haben so viel gekocht, sie haben ja geglaubt, dass ich fast verhungert bin. Pilzsuppe mit Nudeln, gebratene Hühnchen mit Kartoffeln und Zwiebeln, Salat und Reis und Baklawa. Ich habe nur die Suppe geschafft.
Arwa und Aisha haben, während Sie eingesperrt waren, zwei weitere Kinder geboren – Baby 11 und 12.
Das war meine Trauergeschichte, dass die Frauen zum ersten Mal ohne mich entbinden mussten. Arwa hat den Jungen Anees bekommen, Aisha drei Tage später das Mädchen Aneesha. Ich habe sonst alle Geburten miterlebt.
Ihre erste Nacht zu Hause – wie haben Sie die verbracht?
(lacht) Was für eine private Frage. Ich musste mich nicht entscheiden, weil meine beiden Frauen nach der Geburt 40 Tage keinen Besuch empfangen dürfen. Aber jetzt geht es nicht um Sex. Jetzt muss erst mal die Wunde der Familie wieder heilen.
Sie galten als Friedens-Imam bis zu dem Vorfall. Wie reagieren Ihre Glaubensbrüder?
Ich hatte den Fuß noch nicht in meiner Haustür, da kamen sie schon zu Hunderten, um mich zu besuchen. Ich weiß nicht, woher sie wussten, dass ich rauskomme und wo ich wohne. Jetzt wissen es alle. Sie sagen, dass diese Geschichte für sie unglaubwürdig war, ich habe mich ja immer für Frauenrechte engagiert. Sie sind einfach froh, dass ich wieder da bin.
Wann werden Sie wieder öffentlich predigen?
Am Freitag beim Freitagsgebet. Ich will mit meinen Aufgaben weitermachen und gegen Terrorismus und Extremismus predigen. Und gegen Gewalt.