Jennifer W. als Zeugin: "Sah, dass sie schwächer wurde"

In ihrem Münchner Prozess um den Mord an einem jesidischen Mädchen hat die mutmaßliche IS-Terroristin Jennifer W. jahrelang geschwiegen. Was sie sagen wollte, ließ sie über ihre Verteidiger ausrichten. In Frankfurt zeigte sie sich nun gesprächiger.
Von Eva Krafczyk, dpa |
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Frankfurt/Main/München

Die in München wegen Mordes und Kriegsverbrechen angeklagte mutmaßliche IS-Terroristin Jennifer W. hat am Montag vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt ausgesagt. Sie war als Zeugin im Prozess gegen ihren früheren Ehemann geladen, der - wie sie - wegen Mordes an einem kleinen jesidischen Mädchen vor Gericht steht.

Während sie in ihrem eigenen Prozess am OLG München fast zwei Jahre lang geschwiegen hatte und erst in der vergangenen Woche über ihre Anwältin eine Erklärung zu den Tatvorwürfen verlesen ließ, sprach die aus Lohne in Niedersachsen stammende Frau in Frankfurt selbst.

Das OLG Frankfurt wollte keine schriftliche Version ihrer Zeugenaussage zulassen, auch wenn die Anwälte argumentierten, die junge Frau sei ausgesprochen schüchtern. Während ihrer Aussage sprach die ganz in schwarz gekleidete Zeugin allerdings mit fester Stimme. Auch machte die zarte junge Frau mit den langen Haaren durchaus einen selbstbewussten Eindruck - in Rakka habe sie sich nach der ersten Begegnung mit ihrem späteren Ehemann erkundigt, ob er verheiratet sei und Interesse an einer Ehe mit ihr hätte. Er sei kein Kämpfer gewesen, sondern habe religiöse Geisteraustreibungen vorgenommen. In ihrer Münchner Einlassung hatte sie gesagt, seine Stimme habe ihr gefallen.

Der Iraker Taha Al-J. muss sich seit April vergangenen Jahres vor dem OLG Frankfurt verantworten. Ihm werden unter anderem Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

Bei ihm wie auch bei Jennifer W. geht es insbesondere um die Versklavung einer jesidischen Frau und ihrer fünfjährigen Tochter. Der Mann soll das Mädchen als Bestrafung bei glühender Hitze an ein Fenster im Hof seines Hauses gebunden haben. Das Kind starb qualvoll, so der Vorwurf der Bundesanwaltschaft. Jennifer W. ist ebenfalls wegen Mordes angeklagt, weil sie tatenlos dabei zugesehen haben soll.

Als Zeugin schilderte Jennifer W., dass die Frau und ihre Tochter auf der Reise von Syrien in den Irak von Al-J. aus einem Haus geholt wurden. Sie habe zunächst gedacht, dass es sich um eine Zweitfrau handele, sagte sie. Später habe sie sich zusammengereimt, dass es sich bei der Frau um eine jesidische Sklavin gehandelt habe, da sie überwiegend kurdisch sprach. Ihr Mann habe die Frau sehr streng behandelt und auch häufig geschlagen, sagte die junge Deutsche. Etwas, das sie vor Gericht in München nicht mitgeteilt hatte. Dort hatte sie die Angaben der jesidischen Frau, die als Nebenklägerin in ihrem Verfahren auftritt, damit zu erklären versucht, dass sie sich vielleicht geirrt und einen anderen Haushalt gemeint habe.

Anfangs habe es vielleicht einmal in der Woche Schläge gegeben, zum Schluss fast täglich, sagte sie nun in Frankfurt. Auch die kleine Rania sei beschimpft und geschlagen worden, etwa wenn sie beim Beten Fehler machte. Als sie auf die Misshandlungen zu sprechen kam, wischte sich Jennifer W. wiederholt die Augen, während ihr einstiger Ehemann mit gerunzelter Stirn die Aussage verfolgte. Immer wieder bezeichnete sie ihn als "Herrn Al-J.", als wolle sie die Distanz zu ihm betonen.

Jennifer W. war bereits im vergangenen Jahr als Zeugin in Frankfurt geladen, hatte damals aber von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Nun aber schilderte sie, wie "dieser Tag" im Sommer 2015 abgelaufen sei. Die kleine Rania habe sich eingenässt und musste sich zur Strafe im Hof des Hauses aufhalten, wo sie waschen sollte. Als das Kind immer wieder versuchte, ins Innere zu gelangen, habe Al-J. ihr die Hände vor dem Körper gefesselt und sie an ein Fenster gebunden. Das Kind habe noch einen Bewegungsspielraum von etwa 50 Zentimetern bis einem Meter gehabt. Sie habe im Haus geputzt, sagte Jennifer W.. Als sie das angebundene Kind sah, sei sie zu ihrem Mann gegangen und habe gefragt, was das solle. Er habe gesagt, "sei ruhig" und habe mit seinem Handy gespielt.

"Ich habe mir dann überlegt, was ich mache, aber mich nicht getraut", so die Zeugin. Dann habe sie noch einmal nach dem Kind gesehen. "Ich sah, dass sie schwächer wurde." Erneut sei sie zu ihrem Mann gegangen, der ihr befohlen habe, sich nicht in seine Angelegenheiten einzumischen. Als sie schließlich sah, dass das kleine Mädchen mit geschlossenen Augen zusammengesackt war, habe sie all ihren Mut zusammengenommen und sei noch einmal zu ihrem Mann gegangen. "Ich habe gesagt, mach sie los, es geht ihr nicht gut." Al-J. sei mit dem reglosen Kind in ein Krankenhaus gefahren. Erst einige Tage später sei er zurückgekehrt, da er Probleme mit dem IS gehabt habe. Über das Schicksal Ranias habe er nicht gesprochen - und sie habe das Thema von sich aus nicht erwähnt.

Jennifer W. soll ihre Zeugenaussage am Freitag fortsetzen. Nach Angaben ihrer Anwältin will sie aber nur auf Fragen des Gerichts antworten.

© dpa-infocom, dpa:210315-99-834428/2

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