Jeden Tag geht Rentner Klaus Wennrich mit Tierheimhunden Gassi

Damit die Hunde im Tierheim ihren Auslauf bekommen, braucht es ehrenamtliche Gassigänger – so wie Klaus Wennrich aus München. Die AZ war mit ihm und dem Rüden Ivan unterwegs.
von  Anna-Maria Salmen
Fast jeden Tag geht Klaus Wennrich mit Ivan Gassi. Die beiden sind mittlerweile ein eingespieltes Team.
Fast jeden Tag geht Klaus Wennrich mit Ivan Gassi. Die beiden sind mittlerweile ein eingespieltes Team. © Daniel von Loeper

München – Als Ivan Klaus Wennrich erblickt, gibt es kein Halten mehr. Freudig wedelt der Rüde mit dem Schwanz und springt aufgeregt an Wennrichs Bein nach oben. Der 77-Jährige streichelt ihm über den Kopf. Gleich geht es ins Freie – für Ivan die schönste Zeit des Tages.

Vor rund einem Jahr wurde er im Tierheim in Riem abgegeben, weil seine Besitzer überfordert waren. Fast jeden Tag geht Wennrich nun mit Ivan spazieren: Der Rentner ist als ehrenamtlicher Gassigänger für das Tierheim im Einsatz.

Das Ehrenamt Gassigehen ist begehrt

Rund 100 Hunde warten momentan im Tierheim auf ein neues Zuhause, sie alle brauchen täglich Auslauf. Die Pfleger allein könnten das aber nicht stemmen und sind daher auf ehrenamtliche Helfer angewiesen. 60 bis 80 Gassigänger gibt es nach Einschätzung von Sprecherin Kristina Berchtold aktuell.

Die meisten Tierheimhunde tragen bei den Gassi-Ausflügen vorsorglich Maulkörbe. Gefährlich sind sie deshalb aber nicht automatisch.
Die meisten Tierheimhunde tragen bei den Gassi-Ausflügen vorsorglich Maulkörbe. Gefährlich sind sie deshalb aber nicht automatisch. © Daniel von Loeper

Das Interesse an der Tätigkeit ist groß, daher ist das Gassigehen inzwischen an die Mitgliedschaft im Tierschutzverein geknüpft. Voraussetzung ist auch die Teilnahme an einem Seminar: Die Interessenten müssen lernen, wie man die Körpersprache von Hunden richtig einschätzt und mit seinem eigenen Körper die passenden Impulse gibt.

Wichtig ist auch, sich an die Regeln zu halten. Jeder Hund hat andere Bedürfnisse: Manche vertragen keine Leckerlis, viele dürfen nur mit Maulkorb ausgeführt werden – auch wenn keine akute Gefahr besteht, Sicherheit geht vor.

Viele der Gassigänger sind schon seit langem dabei. Einer von ihnen ist Klaus Wennrich, der seit rund 15 Jahren kommt. "Es können auch 16 sein", sagt er lächelnd. Und das, obwohl er früher kein großer Hundefreund war, wie er sagt. Mittlerweile hat sich das freilich geändert.

Wir können ja nicht nur auf der Couch sitzen

Zum Gassigehen hat seine Frau ihn gebracht. Er ging 2005 in den Ruhestand und fand schnell ehrenamtliche Beschäftigungen. Als seine Frau ein Jahr später in Rente ging, sagte er ihr, sie solle sich ebenfalls etwas suchen: "Wir können ja nicht den ganzen Tag auf der Couch sitzen." Also entdeckte sie das Gassigehen und nahm hin und wieder ihren Mann mit. Wennrich sprang gelegentlich ein und blieb dabei. "Wenn man einmal anfängt, will man gar nicht mehr aufhören."

Momentan kommt der Rentner jeden Tag, zumindest unter der Woche. Das Wochenende lässt er denen, die sonst arbeiten müssen, sagt er. "Ich bin so was wie der Joker", scherzt Wennrich. Er nimmt auch die Hunde mit, denen andere nicht gewachsen sind – wie Ivan.

Anfangs hatte der Mischling den Beinamen "der Schreckliche", erzählt Wennrich. Vor seiner Zeit im Tierheim sollte er eingeschläfert werden, "weil er so kritisch war". Ivan könne ausrasten, wenn er sich eingeengt fühle, "aber er kommt auch schnell wieder runter". Dank viel Training habe das Verhalten des Hundes sich inzwischen gebessert.

Der "Kampfschmuser" gefällt nicht jedem

"Die einen lieben Ivan, die anderen haben noch Vorbehalte", sagt Wennrich. Letzteres liegt vielleicht auch daran, dass Ivan ein sogenannter Listenhund ist. Seine Haltung ist in Bayern nicht erlaubt, weil bestimmten Arten eine gesteigerte Aggressivität unterstellt wird. Der Tierschutzverein kämpft schon lange gegen diese Pauschalisierung, sagt Sprecherin Berchtold.

Ivan jedenfalls zeigt beim Spaziergang keine Anzeichen von Bösartigkeit. Er wirkt aufgeschlossen und freundlich, sichtlich glücklich, von Wennrich ausgeführt zu werden. Der 77-Jährige schätzt an Ivan seine Sportlichkeit und seine verspielte Art und bezeichnet ihn liebevoll als "Kampfschmuser".

Vorbildlich hört Ivan auf Kommandos wie Sitz. Klaus Wennrich belohnt ihn dann mit Leckerlis.
Vorbildlich hört Ivan auf Kommandos wie Sitz. Klaus Wennrich belohnt ihn dann mit Leckerlis. © Daniel von Loeper


Die Wertschätzung scheint gegenseitig zu sein: Treuherzig blickt Ivan Wennrich an, hört sofort auf Kommandos wie Sitz oder Pfote geben. An seinem Lieblingsort springt er eifrig über eine Reihe von Steinblöcken und wieder zurück.

Zur Belohnung gibt es einen Apfel: Erwartungsvoll blickt Ivan zu Wennrich. Als er fertig gefressen hat, legt er dem Rentner sanft die Pfote auf den Unterarm, als wolle er fragen, ob da noch mehr kommt.

 

Nicht nur Ivan freut sich über die gemeinsamen Ausflüge, auch Wennrich profitiert davon: Die Spaziergänge halten ihn fit. Jeden Tag ist er mehrere Stunden unterwegs. "Mein Doktor ist hoch zufrieden mit meiner Kondition."

Walking-Stecken geben nichts zurück

Auch Regen oder Kälte hält ihn nicht ab: "Das Wetter spielt keine Rolle." Wennrich hat Regenkleidung, bei Glätte befestigt er Spikes an den Schuhen. Der Rentner spürt zudem immer wieder, wie die Hunde sich über seinen Besuch freuen: "Von Nordic-Walking-Stecken bekommt man solche Emotionen nicht zurück."

In all den Jahren als Gassigänger erlebte Wennrich durchaus auch kritische Situationen. Zum Beispiel sei ihm mal ein Hund ausgerissen. Das passiere generell selten, und meistens ließen sie sich schnell wieder einfangen - dieser jedoch nicht. Später sei er in der Klinik wieder gefunden worden: Er sei von einem Auto angefahren worden, habe aber überlebt.

Auch Golden Retriever Timmy steht zur Vermittlung bereit. Er ist freundlich zu Menschen, mag aber keine anderen Hunde.
Auch Golden Retriever Timmy steht zur Vermittlung bereit. Er ist freundlich zu Menschen, mag aber keine anderen Hunde. © Daniel von Loeper

Auch Wennrich selbst hat schon mal Blessuren davongetragen: "Der einzige, der mich mal richtig gebissen hat, war ein Chihuahua." Eine Pflegerin habe ihm das Tier auf den Arm gesetzt, wodurch es sich eingeengt gefühlt habe. Es drehte sich um und biss Wennrich in die Lippe. Davon abschrecken lassen hat er sich nicht: "Wenn man sich von so was drausbringen lässt, darf man gar nicht erst anfangen."

Zuhause wartet sein eigener Hund auf Wennrich. Aber auch zu den Tierheimhunden baut man eine Beziehung auf, erzählt der Rentner. Man wünsche ihnen, dass sie schnell einen neuen Platz finden.

Einer der Wartenden ist Golden Retriever Timmy. Sorgen bereitet auch Simba: Laut Wennrich ist der Jagdhundmischling schon seit sechs Jahren im Tierheim. "Er hat auch immer wieder Interessenten, ist dann aber doch oft die zweite Wahl." Der Gassigänger kann das nicht nachvollziehen: Für ihn ist Simba einer der intelligentesten Hunde im Tierheim.

Jagdhundmischling Simba wartet schon seit sechs Jahren auf sein neues Zuhause. Wennrich hofft, dass er bald vermittelt wird.
Jagdhundmischling Simba wartet schon seit sechs Jahren auf sein neues Zuhause. Wennrich hofft, dass er bald vermittelt wird. © Daniel von Loeper

Auch wenn man ein bisschen wehmütig ist, wenn ein Gassi-Schützling vermittelt wird, freut man sich für ihn über sein neues Zuhause, sagt Wennrich. Nach seiner Runde mit Ivan wartet im Tierheim schon Simba auf den Rentner. Er verabschiedet sich und spaziert mit dem Rüden an der Leine los - in der Hoffnung, dass Simba vielleicht doch bald mit einem neuen festen Herrchen oder Frauchen Gassi gehen darf.

Wie man ein Tier adoptiert

Immer wieder kommt es vor, dass Gassigänger sich in ihre Schützlinge verlieben und sie eines Tages auch adoptieren. Doch man muss kein Ehrenamtlicher sein, um Hund, Katze und Co. aus dem Tierheim mitnehmen zu dürfen. Welche Tiere gerade zu vermitteln sind, kann man auf der Internetseite des Tierschutzvereins nachlesen.

Zu den Besuchszeiten kann man die Tiere auch direkt vor Ort kennenlernen (Mittwoch und Samstag von 13 bis 16 Uhr). Bei Interesse stehen die Pfleger für Fragen zur Verfügung. In einem Vorgespräch werden die Vorgeschichte und Bedürfnisse des Tiers ebenso besprochen wie die Erfahrung und die Lebenssituation des Interessenten. Dabei sollte man auf die Empfehlungen der Fachleute vertrauen: Sie wissen am besten, welcher Halter zu welchem Tier passt. Geben die Pfleger grünes Licht, gibt es Kennenlerntermine mit dem Tier.

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