Jahrhunderthandwerk: Münchens Traditions-Werkstätten

München - Manche Dinge ändern sich nicht in München - wie das Reinheitsgebot beim Bier, das Glockenspiel am Marienplatz, und dass man seine Bilder bei Rahmen Müller rahmen lässt. Eingeborene Maxvorstädter wissen das, seit 1903 ist das nämlich so hier im Akademieviertel.
Originale Werkstatt im Innenhof
Zuzügler aber stehen oft mit großen Augen im beschaulichen Innenhof an der Nordendstraße 15 (neben dem Blumenladen Eden), wo vor 120 Jahren der Schreinermeister Christian Müller das Geschäft mit einer großen Schreiner- und Vergolderwerkstatt aufgemacht hat. Sie linsen dann durch die himmelblaue Holztür des Werkstattladens - und staunen.
Über zehn Meter Wandlänge stehen dort Hölzer aufgereiht, Naturleisten oder mit Stuck verzierte, opulent vergoldete, folierte oder lackierte. An den Wänden hängen Feilen, Hobel, Hämmer und Stemmeisen mit der Patina vieler Jahrzehnte.
Am spannendsten aber sind die Maschinen. Die grüne Gehrungskappsäge rechts im Raum stammt aus den Siebzigerjahren. Der Verleimtisch neben der Tür aus den Vorkriegsjahren, und der Vergoldertisch ganz hinten noch aus dem Gründerjahr 1903. Zur Bedienung der Kreissägen, Holzspaltmaschinen und Furniermesser übrigens seien "nur männliche Arbeiter über 17 Jahre zugelassen", mahnt ein vergilbter Zettel an der Wand.
Traditionshandwerk seit 1909
Im Verkaufsraum daneben steht jetzt Bettina Treutler (47) im Ringelpulli und mit dicker Wollmütze, die Kaffeemaschine läuft, während sie alte Auftragsbücher aufblättert und eine feine Staubschicht von einem Schwarzweißfoto wischt. "1909" steht in Handschrift auf der Rückseite, es zeigt den Ladengründer Christian Müller, seine Frau Sophie und deren drei Kinder in Sonntagskleidung aus der Jahrhundertwende, samt Puppe, Holzschaukelpferd und Zamperl.
Als sie vor drei Jahren das erste Mal die Werkstatt betreten habe, weil eine Nachfolgerin gesucht wurde, da habe sie berührt, wie viel Geschichte noch hier sei, sagt Bettina Treutler, "und gleichzeitig hab ich die Zukunft gesehen."
Wer, wenn nicht sie, gelernte Schreinerin und später Requisiteurin am Gärtnerplatztheater, wäre wie gemacht dafür, das Geschäft weiterzuführen? Zumal der Gründer-Enkel Alfred Müller (83), der bis 1999 hier noch selber gerahmt und vergoldet hat, ihr noch mit Tipps zur Seite steht. Auch Gaby Fesl, die die letzten 20 Jahre den Laden geführt hat, schaut gelegentlich vorbei, "das hat mir die Entscheidung leicht gemacht".
Bilder rahmt man für ein Leben lang
Nur trägt sich denn heute so eine Werkstatt noch - wo man Rahmen in jedem Möbelhaus billig kaufen kann? Sowieso, sagt Bettina Treutler lachend, weil Bilder, die einem wertvoll sind, die rahmt man für ein Leben lang, und zwar gescheit. Sie baue Rahmen aus Naturholz oder Alu, mit Passepartout-Techniken in Museumsqualität (säurefrei mit Museums-, Normal- oder Plexiglas) - und mit einem Vergolder auch prunkvolle Goldrahmen. Spiegel, Zeichnungen, Drucke, Ölgemälde, sogar Trikots, die jemand als Bild würdigen will, alles findet seinen richtigen Rahmen.
Man muss nicht mehr Adels- und Hoflieferant sein, wie anno dazumal (wobei der Adel sich schon noch sehen lässt). Heute lassen sich Professoren ihre Urkunden rahmen, Sammler, Fotografen, Innenarchitektinnen, Schauspieler und Gastronomen gehen ein und aus.
Seit 50 Jahren Stammkundin
Gerade schaut die Galeristin Margret Biedermann aus der Barerstraße vorbei, 50 Jahre ist sie Kundin hier, "weil die Qualität von Rahmen Müller unschlagbar geblieben ist". Zur Stammkundschaft gehört auch ein Münchner, der die weltgrößte Sammlung von Carl-Spitzweg-Zeichnungen dezent in seinen Schränken hat. Oder Kultwirt Hugo Bachmaier, von dem man hört, er habe alle Zeitungsartikel über sich gerahmt im Treppenhaus hängen.
Es ist noch nicht lange her, dass das Auktionshaus Christie's den Picasso-Linolschnitt "Head of a Woman" (1962) vorbeigebracht hat. "Sowas lässt man keine Sekunde aus den Augen", sagt Bettina Treutler. Auch eine mannshohe und zweieinhalb Meter lange Arbeit vom Maler Jörg Immendorff, Expressionisten und alte Meister seien schon hier gewesen. Die Arbeit scheint, trotz all der Krisen, nicht auszugehen.
Kulante Miete sichert das Bestehen
Was den Fortbestand von Rahmen Müller freilich auch noch leichter macht: Vorder- und Hinterhaus gehören einer eingesessenen Münchner Familie - und die ist kulant mit der Gewerbemiete. Lieber bleibt ein Stück Geschichte hier im Hinterhof, findet man dort, als dass das nächste hippe Architekturbüro ins Viertel zieht.
Und so bleibt wohl noch eine Weile alles, wie es ist in der Nordendstraße 15. Nur eins hat sich dann doch verändert in diesen 120 Jahren. Die Kreissäge wird nicht mehr von einem männlichen Arbeiter bedient, sondern von einer Frau. Sie ist über 17, immerhin.
Welche jahrzehntealte Werkstatt kennen Sie in Ihrem Viertel, die allen Krisen trotzt? Erzählen Sie es uns: Tel.: 2377-3011. Oder schreiben Sie uns an lokales@abendzeitung.de oder per Post an: Abendzeitung, Garmischer Straße 35, 81373 München