Jährlich Tausende weniger: Das Baumsterben in München

Mehrere tausend Bäume werden jedes Jahr in München gefällt, ein Großteil davon wegen Baumaßnahmen. Nachgepflanzt wird aber nur ein Bruchteil.
von  Anja Perkuhn
Dieser Baum in der Otkerstraße soll gefällt werden.
Dieser Baum in der Otkerstraße soll gefällt werden.

München - Das prominenteste Beispiel für einen sterbenden Baum ist wohl die Platane am Sendlinger Tor. Sie sieht noch gut aus - es wurde auch sehr viel über ihre Gesundheit gesprochen, immerhin baut da nicht irgendwer mitten in der Stadt, sondern da bauten die Stadtwerke selbst.

Die Baustelle hat eine sogenannte "ökologische Baubegleitung" : Ein Fachmensch überwacht die Umsetzung der landschaftspflegerischen Maßnahmen, damit die Pflanzen und gegebenenfalls Tiere so wenig wie möglich unter dem Bau leiden. Es gibt schließlich eine Baumschutzverordnung und Vorschriften zum Schutz von Bäumen auf Baustellen.

Die Faustregel: Baurecht bricht Baumrecht

Das nützt aber der Platane wenig: Der Zaun, mit dem sie geschützt werden sollte, wurde wochenlang ständig verräumt und umgeschoben. Auf dem Boden neben ihrem Stamm, da, wo sich ihre Wurzeln schlängeln, lag tonnenschweres Baumaterial, verdichtete so das Erdreich und machte ihr den Zugang zu Luft und Wasser schwer.

Inzwischen ist sie besser geschützt, es dauerte aber lange bis dahin, der Bund Naturschutz mahnte mehrmals an. "Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass der Baumschutz in München nicht richtig funktioniert", sagt Angela Burkhardt-Keller, die Münchner Referentin für Baumschutz vom Bund Naturschutz. "Wenn das schon an so einem prominenten Platz nicht klappt, dann kann man sich vorstellen, wie das an weniger öffentlichen Orten läuft. Das ist sehr beschämend."

Es gibt für Bäume in der Stadt eine Vielzahl von Stressfaktoren: Weil immer mehr gebaut wird, ist der Boden zunehmend versiegelt - darum ist es hier durchschnittlich fünf Grad wärmer als im Umland, die Luft ist trockener, der Luftaustausch träger. Die Böden sind verdichtet, die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen ist dadurch erschwert, Autoabgase belasten die Bäume.

Mehrere tausend Fällungen werden jedes Jahr genehmigt, sowohl auf privatem Grund als auch im öffentlichen Raum: Im Jahr 2015 waren das im Privatbereich 6072 Einzelfällungen, im öffentlichen Bereich 1212.

Ersatz geschaffen werden musste im Privatbereich dafür in 2715 Fällen - ein Minus von 3357 Bäumen. Im öffentlichen Raum dagegen kamen auf die 1212 gefällten Bäume 1727 neu gepflanzte: "Der städtische Gartenbau sorgt in seinem Zuständigkeitsbereich dafür, dass jeder entfernte Baum durch eine Nachpflanzung ersetzt wird", schreibt das zuständige Baureferat. "Deshalb und bedingt durch den ständigen Zuwachs an neuen öffentlichen Grünflächen übersteigt die Zahl der Baumpflanzungen im öffentlichen Raum seit vielen Jahren die der entfernten Bäume."

Im privaten Raum ist es etwas anders: Die Fäll-Genehmigungen erteilen die Untere Naturschutzbehörde. Dazu werden die Bäume in der Regel noch begutachtet - manchmal muss einer beispielsweise wegen Sturmschäden aus Sicherheitsgründen gefällt werden.

Zu diesen 6072 Einzelfällungen kommen aber noch einmal 3308 für Bauprojekte , weil die Bäume auf einem Platz stehen, an dem nach jemandes Ansicht besser ein Gebäude stehen soll - was in der Mietwohnungsdruckhauptstadt München ja immer öfter passiert.

Wer nicht neu pflanzt, der zahlt 750 Euro pro gefälltem Baum

"Wenn es eine Baugenehmigung für ein Projekt gibt", sagt Thorsten Vogel von der Unteren Naturschutzbehörde, "dann gilt die Faustregel: Baurecht bricht Baumrecht."

Das heißt: Wenn ein Baurecht vorhanden ist, dürfen die am Ort stehenden Bäume in der Regel im Zug des Bauvorhabens auch gefällt werden. "Es werden dann natürlich Ersatzpflanzungen verlangt", sagt Vogel, "aber wenn ein neues Gebäude dasteht, gibt es einfach weniger Platz für Bäume."

In diesem Fall werden Ausgleichszahlungen fällig - 750 Euro pro Baum, unabhängig von Art oder Alter des gefällten Baums. "Das ist ein gerichtlich bestätigter Wert, der sich daran bemisst, was ein artgerechter Baum in etwa kosten würde."

Die Ausgleichszahlungen kommen in einen städtischen Finanztopf, aus dem Baumpflanzungen auf öffentlichem Grund bezahlt werden.

Ob jeder, der für ein Bauvorhaben auf privatem Grund Fällungen vorgenommen hat , die Nachpflanzungen auch wirklich tätigt: schwer zu sagen. Die Untere Naturschutzbehörde hat das bisher nur stichprobenartig überprüft. Bei den 2015 vorgesehenen Ersatzpflanzungen (2715) gibt es einen Nachweis dafür in nur 261 Fällen.

In diesem Jahr gab es zum ersten Mal ein Projekt, bei dem die Einhaltung der geforderten Nachpflanzungen flächendeckend geprüft wurde: die "Kontrolle Grün". Die abgeschlossene Evaluierung wird demnächst im Planungsausschuss dem Stadtrat vorgestellt.

Doch damit enden nicht die Probleme der Bäume, die in Baumaßnahmen involviert sind : Viele tragen Folgeschäden davon, weil sie - wie die Platane am Sendlinger Tor - eigentlich erhalten bleiben sollten, aber während der Baumaßnahmen nicht ausreichend geschützt wurden. "Das kann man überall in München beobachten", sagt Angela Burkhardt-Keller. "Wenn Bäume Glück haben, bekommen sie an einer Baustelle einen ortsfesten Holzzaun um sich herum installiert, üblicher sind aber Baugitter und die kann man verschieben."

Oft würde dann tonnenschweres Baumaterial nah am Stamm abgeladen, "Wasser und Luft aufzunehmen, wird den Wurzeln noch schwieriger bis unmöglich gemacht." So wie in der Passauer Straße. Da belasten seit geraumer Zeit - auch ohne direkte Baustelle - schwere Steine auf dem Grünstreifen die Alleebäume.

Wenn dann noch Äste abgerissen werden oder an den Stamm gefahren wird, eröffnet das ein Baum-Büffet für Pilze und Keime.

Und wer schaut, ob die Bestimmungen eingehalten werden? "Der vorgeschriebene Baumschutz liegt stets in der Verantwortung des Bauherren", schreibt das Baureferat. Zur Platane: "in diesem Fall die Stadtwerke München". Eine Kontrollinstanz dafür gibt es nicht.

Das ist aber nur der konkrete Fall - ähnlich ungemütlich wird es für Bäume auch, wenn Glasfaserkabel verlegt werden oder zu einem Neubau auch noch eine Tiefgarage kommt, deren Bau den Raum für Wurzeln deutlich verringert.

"Es gibt ja gar keinen Platz mehr, um den Bestand aufzufüllen"

"Das oberste Problem ist, dass es keine Sensibilität und kein Bewusstsein für dieses Thema gibt", sagt Burkhardt-Keller. "Wir leben in der Stadt vom Baumbestand. Der wird jedes Jahr unwiederbringlich weniger - es gibt ja auch gar keinen Platz mehr, den Bestand aufzufüllen."

Bäume zu schützen, sagt die Expertin, sei natürlich ein Kostenfaktor - für Kontrollen brauche es Personal. "Das ist aber wie beim Falschparken: Wenn man nie erwischt wird, macht man es immer öfter." Besonders schlimm sei, "dass die Ignoranz so einfach gemacht wird. Sanktionen bezahlen die meisten, die das betrifft, doch aus der Portokasse."

Lesen Sie dazu auch den AZ-Kommentar "Bäume in München: Es braucht viel mehr!"


Für das Leben eines Spitzahorns

Dieser Baum in der Otkerstraße soll gefällt werden.
Dieser Baum in der Otkerstraße soll gefällt werden.
Dieter Hügenell liegt ein einzelner Baum ganz besonders am Herzen: ein Spitzahorn in der Otkerstraße – der Straße, in der er selbst wohnt. Die Stadt will die Unterführung Otkerstraße/Tegernseer Landstraße barrierefrei umbauen – dafür soll der Baum entfernt und die Eiche daneben gestutzt werden. „Das muss verhindert werden“, schreibt Hügenell in seiner Petition für den Erhalt des Ahorns. „In der heutigen Zeit ist es wichtig, dass Bäume im Stadtgebiet erhalten werden, weil sie dem Verkehrslärm und der Luftverschmutzung entgegenwirken.“

248 Unterschriften hat Hügenell schon gesammelt – und schlägt vor, dass statt der geplanten Rampe ein Aufzug gebaut wird. „Bauliche Lösungen ohne Baumfällung sind möglich, sie müssen nur gewollt und umgesetzt werden.“

Das, hat er das Gefühl, ist aber nicht der Fall: Eine Empfehlung der Bürgerversammlung, den Baum zu erhalten, und ein Antrag des Bezirksausschusses Untergiesing-Harlaching seien noch nicht ordnungsgemäß behandelt worden. Der BA-Antrag wurde mit einer Terminverlängerung bis 30. Juni 2018 versehen – „und bis dahin sind dann wohl vollendete Tatsachen geschaffen“. Gegen diese gefühlte Ohnmacht soll die Petition helfen.

Dieter Hügenell gibt seine Petition bei der Stadt München ab.
Dieter Hügenell gibt seine Petition bei der Stadt München ab.

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