Irre Gerichts-Posse: "Lass mal den Chef reden"
München – „Schwerer Raub“, das klingt nach Pistolen, verängstigt am Boden liegenden Ladenbesitzern und Sturmhauben. „Schwerer Raub“ lautet der Tatvorwurf, der auch bei Ralf S. (Name geändert) in der Anklage steht – allerdings hat er nur ein Teppichmesser geklaut.
Es ist nicht das einzig Kuriose am Prozess am Dienstag.
Ralf S. lässt sich nicht gerne ins Wort fallen, schon gar nicht von seinem Anwalt. Das macht der 45-Jährige gleich zu Beginn der Verhandlung vor dem Landgericht deutlich. „Ruhe, Herr Eller!“, herrscht S. seinen Verteidiger an, als der ihm nahelegt, sich doch noch kurz zu besprechen.
Jetzt sei schließlich Verhandlung, da möchte er sich äußern. Auf einen einbremsenden Anwalt, das sieht man, hat S. sichtlich keine Lust. Er kann das gut alleine regeln.
Wie es zum schweren Raub des Taschenmessers kam
Also erzählt S., was bei der „Bagatelle“ im Januar passiert ist. Dafür stellt er sich extra breitbeinig hin, wie ein Boxer in Angriffsstellung, aber eben einer mit langem Pferdeschwanz und schlecht getrimmtem Kinnbart. Vor ihm liegen ein Stapel Papier und die Jugendzeitschrift „Bravo“.
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Er sei aus Berlin gekommen, nuschelt er los, und habe abends in Dachau Freunde besuchen wollen. Es habe einen Kälteeinbruch gegeben, also habe er sich in einem Flachbau im Süden der Stadt untergestellt. Dass er dafür die gläserne Eingangstür eingeschlagen hat – ja mei.
In der Früh kam Michael G. (62) aus Dachau an dem Haus vorbei, das seinen Schwiegereltern gehört. Dem erzählte S. erst ganz unverfroren, es sei sein Haus – was natürlich nicht funktionierte. S. und G. fingen an, zu streiten, es kam zum Gerangel. G. stürzte, S. haute mit dem Teppichmesser, das er im Haus eingesteckt hatte, ab.
Das wär’s, meint S. nach seinem Bericht: „Für eine Therapie würde ich mich breitschlagen lassen.“ S. hat Probleme mit Alkohol und Drogen. Den Schaden möchte er auch bezahlen, „ich hab ja Geld.“
Sendpause für die Anwälte
Wie viel, möchte der Vorsitzende Richter Martin Rieder wissen. Da versucht S.s Verteidiger, seinen Mandanten einzubremsen, ohne Erfolg. „Jetzt lassen wir doch erst mal den Chef da reden“, poltert der Angeklagte und zeigt auf die Richterbank. Was das Geld angeht, habe er im Monat 500 Euro Erwerbsminderungsrente, früher sei er Betriebsvorarbeiter in einem Abfallwirtschaftbetrieb gewesen – für das FBI in den USA habe er auch mal gejobbt.
Anstatt diese Detektivgeschichten zu vertiefen, holt das Gericht Opfer Michael G. in den Verhandlungssaal. Der sieht das Ganze jedoch ebenfalls nicht so tragisch wie die Staatsanwaltschaft. „Das einzig ärgerliche ist die Haustür“, sagt der 62-Jährige mit ordentlich gescheiteltem Haar. Die sei ohnehin von der Versicherung ersetzt worden. Das Teppichmesser sei ja nur zehn Euro wert. Er habe nach dem Vorfall eh keine Anzeige erstattet.
Der Verhandlungstag endete mit einem glatten Freispruch für den Angeklagten.
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