Investor will Familie aus Wohnung kaufen
München - Wer zur Familie Geisler in den vierten Stock geht, hat den Eindruck, auf einer Baustelle zu sein. Im Hof steht ein Container, daneben auf der Wiese liegen alte Rollos, Holzbretter und Kloschüsseln. Das Treppenhaus ist voller Staub, die meisten Wohnungstüren sind entfernt. Die Geislers sind die letzten Mieter in ihrem Haus, in der aus drei Häusern bestehenden Anlage sind nur noch eine Hand voll.
Hier, in bester Lage im Lehel, steht eine Luxussanierung an. Ein Investor hat die Häuser gekauft und will darin Eigentumswohnungen bauen, die sich Menschen wie die Geislers nicht leisten können. Die Wohnungen sind nicht mal für Gutverdiener, sondern für richtig Reiche. Doch die Familie will nicht weg – auch nicht für Geld: „Egal, wie hoch die Abfindung ist: Wir ziehen hier nicht aus.“
Seit 1981 wohnen die Geisler in dem Haus. Vater Werner war vor seiner Pensionierung Banker, die Wohnung war eine Werkswohnung der Vereinsbank. 2002 verkaufte die Hypo-Vereinsbank die Anlage, seit 2009 gehört sie der Immoinvest GmbH, die daraus Eigentumswohnungen machen will.
Durch die alten Werksmietverträge haben die ehemaligen Bank-Mitarbeiter Kündigungsschutz – also bat die Immoinvest ihnen Abfindungen an. „Anfangs waren das lächerlich geringe Beträge“, sagt Wolfgang Püschel, Vorsitzender des Bezirksausschusses Altstadt/Lehel. „Wir haben den Mietern dabei geholfen, eine Mietergemeinschaft zu gründen. Unser Ziel ist es, mit dem Investor eine Lösung zu finden. Dass die Mieter in den Wohnungen bleiben dürfen.“
Aufzug direkt durch die Wohnung
Zunächst durften die Mieter den Bauplan einsehen. Für Werner Geisler ein Schock. „Da ging der Aufzug direkt durch unsere Wohnung.“ Nach dem Widerspruch des Bezirksausschusses hat Immoinvest den Bauantrag inzwischen zurückgezogen. „Seitdem passiert hier nichts. Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt Werner Geisler.
Die Geisler-Wohnung ist die begehrteste in den drei Häusern. Die Familie hat rund 200 Quadratmeter im obersten Stockwerk, von ihrem Balkon aus blicken sie direkt in den Englischen Garten. Nach dem ersten Bauplan sollten die Speicher mit ausgebaut werden – aus der Geisler-Wohnung würde eine millionenteure Dachgeschoss-Wohnung entstehen.
Der 63-Jährige lebt in der Wohnung mit seiner Frau Ruth, drei seiner vier erwachsenen Kinder und seiner Enkelin. Tagsüber betreuen er und seine Frau die Kleine, während seine alleinerziehende Tochter arbeitet. „Wir sind eine Drei-Generationen-Familien-WG“, sagt er. Die Familie zahlt 2500 Euro warm. „Allein schon wegen der Betreuung unserer Enkelin ist das für uns die ideale Wohnung.“
Ruth Geisler leidet außerdem an Multipler Sklerose. Hier hat sie sich gut eingerichtet. „Mein Neurologe ist in der Nähe, mein Physiotherapeut, da komme von daheim aus gut mit meinem E-Mobil gut hin“, sagt sie. Geisler wurde inzwischen eine üppige, sechsstellige Abfindung angeboten. „Ich weiß, dass manche sagen werden, der jammert auf hohem Niveau. Aber für unser Familienleben ist diese Wohnung unbezahlbar“, sagt Geisler. Wie auch für andere Mieter, die geblieben sind. Darunter ist eine über 80-jährige Frau, die seit 59 Jahren dort wohnt.
„Diese Mieter haben Kündigungsschutz und alte Rechte, das ist uns klar“, sagt Christian Junginger von Immoinvest zur AZ. „Wir überarbeiten zurzeit die Baupläne.“
So prüfe man nun einen Außenaufzug. Grundsätzlich hält Immoinvest aber an der Luxussanierung fest. „Das ist die beste Lage, die man in München haben kann. Natürlich wollen wir einen Aufzug, Parkettböden und tolle Bäder. Aber was ist schon Luxus?“, fragt er. Genau das – sagt Wolfgang Püschel vom Bezirksausschuss. „Natürlich sind das Luxuswohnungen. Leute wie Herr Junginger blicken ja nur noch mit Dagobert-Duck-Augen in die Welt.“ Junginger legt aber Wert darauf, dass niemand aus der Wohnung geekelt werde. „Wir schikanieren niemanden, und wir zahlen hohe Abfindungen. Wir sind außerdem auf der Suche nach Ersatzwohnungen für die Mieter.“
Dass der Luxus unaufhaltsam ist, befürchtet auch Geisler. „Vor dreißig Jahren, als wir ins Lehel kamen, mussten die einfachen Leute den wohlhabenden weichen“, sagt er und rechnet sich selbst durchaus zur zweiten Kategorie. „Jetzt sollen die Wohlhabenden den Superreichen weichen.“
Nicht jeder ist käuflich – das musste Christian Junginger auch mit einer Mieterin aus dem Nebenhaus erleben. Die alte Dame, die einfach nur in ihrer Wohnung bleiben will, hat die Abfindung mit den Worten abgelehnt: „Soll ich mir jetzt auf meine alten Tage einen Porsche kaufen?“
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