Interview

Interview mit Olympiapark-Techniker: "Es ist eine Ehre, hier zu arbeiten"

Wasem Ajmail ist der Herr des Olympiadachs. Er ist der technische Leiter des Stadions sowie des Olympiageländes und kennt jede Schraube, jeden Knoten und jedes Plexiglas.
von  Hüseyin Ince
Wasem Ajmail ist technischer Leiter im Olympiapark und Mitglied der Geschäftsführung Olympiastadion.
Wasem Ajmail ist technischer Leiter im Olympiapark und Mitglied der Geschäftsführung Olympiastadion. © Bernd Wackerbauer

München - Als sich Wasem Ajmail 1995 im Olympiapark beworben hat, bekam er gleich eine Mega-Aufgabe. Das Olympiadach musste saniert werden. Im AZ-Gespräch erzählt er über seine luftigen Erfahrungen mit dem weltberühmten Stadion, seinen Alltag auf dem Olympiagelände und warum er seinen Job so liebt. Wir plaudern in der VIP-Lounge des Olympiastadions.

Wasem Ajmail am Nordende des Olympiastadions. Hier sind die Seilstreben verankert. Den Ausblick Richtung Alpen hat er schon immer geliebt.
Wasem Ajmail am Nordende des Olympiastadions. Hier sind die Seilstreben verankert. Den Ausblick Richtung Alpen hat er schon immer geliebt. © Bernd Wackerbauer

AZ: Herr Ajmail, kurz vorweg: Sie haben eine recht seltene Herkunftsgeschichte für einen Münchner. Sie sind Israeli mit arabischen Wurzeln, sprechen hebräisch und arabisch. Wie hat es Sie aufs Münchner Olympiagelände verschlagen?
WASEM AJMAIL: Mitte der 80er, mit etwa 20 Jahren, habe ich mich dazu entschlossen, meine Heimat Taibe nördlich von Tel Aviv zu verlassen und in Deutschland zu studieren. Und es klappte, ich bekam einen Studienplatz in Erlangen. Werkstoffwissenschaften. Damals noch ein Exot unter Studienfächern.

Und der zweite Teil der Geschichte?
Als ich mein Diplom hatte, bewarb ich mich hier im Olympiapark. Mai 1995 war es. Das ist also 27 Jahre her. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn hier wurde jemand gesucht, der das denkmalgeschützte Dach erneuern konnte, als Projektleiter. Eine Riesen-Aufgabe. Und es funktionierte. Ich bekam den Job.

Olympiapark: Das ikonische Zeltdach muss einiges aushalten

Warum waren Sie genau der Richtige?
In der Ausschreibung stand, dass jemand gebraucht wird, der spezifische Kenntnisse in Korrosion und Korrosionsschutz hat. Denn die Metallstreben des Olympiadachs korrodieren einfach nach zwei Jahrzehnten. Das ist schon eine lange Haltbarkeit, ein gutes Zeugnis!

Stimmt, es ist durchgehend der Witterung ausgesetzt.
Ja! Schnee, Wind, Regen, Sonne. Ich meine, welches Auto hält heute noch 25 Jahre? Und genau zu dem Thema bin ich eben Experte. Das war mein Hauptfach im Studium. Außerdem: Ich kann ganz gut verhandeln und auch ein bisschen Lockerheit ins Gespräch bringen. Das alles schadet nicht bei dem Job. Überhaupt, dieses weltberühmte Stadion! Eine Ehre, hier zu arbeiten.

"Das Olympiadach ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst"

War das 1995 die erste Sanierung des Zeltdachs nach 1972?
Richtig. Wir fingen an mit den Gussknoten und den Seilen. Entrosten, grundieren, neuer Korrosionsschutz. Danach wurden die Plexiglas-Elemente ausgetauscht. Wissen Sie, wie dick die Gläser sind?

Nein, gar keine Ahnung.
Vier Millimeter. Ist das nicht faszinierend?

Nur vier Millimeter? Das hält, auch bei Zeltdachtouren?
Das wurde alles genauestens berechnet, als gebaut wurde. Die Konstruktion kann ein Vielfaches ihres Eigengewichts tragen. Das Dach ist ohnehin ein Meisterwerk der Ingenieurskunst.

Als Sie nach München kamen, haben die Bayern noch im Olympiastadion gespielt.
Und auch die Sechzger!

Sind Sie Fußballfan?
Absolut. Es ist wirklich traurig, dass beide Teams nicht mehr hier spielen. Das hat eigentlich sehr gut zusammengepasst.

Die Mega-Events funktionieren bis heute

Hand aufs Herz: Bayern-Fan oder Sechzger?
Ich freue mich wirklich sehr, wenn beide gewinnen, Bayern und Sechzger. Da bin ich gleich besser gelaunt. Aber wenn ich ehrlich sein muss: Ich bin eigentlich Dortmund-Fan. Deshalb war es umso schöner, als Dortmund hier im Olympiastadion 1997 die Champions League gegen Juventus Turin gewonnen hat. Da war ich zwar beruflich im Stadion, bekam aber natürlich alles mit. Franz Beckenbauer hat damals gesagt: Jeder Münchner ist heute ein Dortmund-Fan.

Zurück zur Gegenwart: Auch die Leichtathletik-Wettbewerbe fanden ja im August im Stadion statt. Mögen Sie Leichtathletik?
Vom Sofa aus, ja. Mein Herz schlägt höher bei Biathlon. Da habe ich auch schon die ein oder andere Veranstaltung besucht. Wenn ich in Deutschland aufgewachsen wäre, hätte ich vermutlich versucht, Biathlon-Sportler zu werden. Finde ich sehr spannend.

Fand Biathlon je im Olympiastadion statt?
Nein. Bisher nicht. Einmal hatten wir einen FIS-Weltcup im Langlauf. Tour de Ski hieß das.

Was sind die wichtigen Veranstaltungen im Stadion heutzutage?
Unsere großen Events sind natürlich die Mega-Konzerte. Rolling Stones, Ed Sheeran, Superbloom, Guns 'n Roses. Das sind Riesen-Acts. Das funktioniert.

"Das Dach kann 60 Zentimeter nachgeben - so elastisch ist es"

Noch mal zum Olympiadach: Was fasziniert Sie daran am meisten?
Es ist wunderschön, permanent unter Spannung und es hält unglaublich viel aus. Nur damit Sie mal ein Gefühl dafür kriegen, wie flexibel das Ganze ist: Ich war mal im Winter unterwegs zur Sichtkontrolle. Es lag relativ viel Schnee auf dem Dach. Auf der südlichen Anzeigetafel lag das Seilnetz auf. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie viel Abstand da eigentlich sein muss. Aber das kam mir komisch vor. Ich wartete, bis der Schnee schmolz und habe den Abstand gemessen, ohne Schneelast. Raten Sie.

15 bis 20 Zentimeter?
Es waren 60! Das Dach kann also 60 Zentimeter nachgeben, so elastisch ist diese Stahlkonstruktion. Verblüffend oder? Und das muss auch so sein. Sonst würde die Konstruktion zusammenbrechen. Die Kräfte müssen ja irgendwo hin.

Sind deshalb auch Olympia-Dachtouren kein Problem?
Überlegen Sie mal. Zehn Leute auf dem Dach sind nix. Das sind vielleicht 800 Kilogramm. Lassen sie es eine Tonne sein, die sich über eine große Fläche verteilt. Das merkt das Dach nicht einmal.

Wie viel hält es denn aus?
Etwa eine Tonne pro Quadratmeter.

Wie lange hat es damals eigentlich gedauert, bis das Dach ab 1995 erneuert wurde?
Bis 1999. Das sind 124 Knotenpunkte. Und nur über dem Stadion mussten 4.000 Plexiglaselemente ausgetauscht werden. Das ist einfach viel Arbeit. Bis 1997 haben wir die Knotenpunkte saniert. Ab 1997 wurden die Plexigläser ausgetauscht. Eines nach dem anderen.

Sie sind heute der technische Leiter für das ganze Olympiagelände.
Und wir betreuen auch die Regatta-Anlage. Die wird ja gerade fertigsaniert für etwa neun Millionen Euro.

Der tägliche Rundgang über das Gelände darf nicht fehlen

Wie sieht Ihr Berufsalltag aus?
Ich wache gegen 5.30 Uhr auf, versuche, meinen Kaffee in aller Ruhe zu trinken, schreibe vielleicht schon eine Mail und schaue die Nachrichten. 6.20 Uhr gehe ich aus dem Haus in Richtung Olympiagelände. Kurz vor sieben bin ich da, schalte den PC an und schreibe wieder Mails. Ab 7.30 Uhr kommen die ersten Anfragen: Hier fehlt was, was machen wir da, können wir hier und dort etwas aufbauen, wenn ja wie. Seit Corona haben wir viele digitale Termine. Da sind die Meetings noch enger getaktet. Dann noch die Baustelle der neuen Basketball- und Eishockey-Arena. Da herrscht viel Abstimmungsbedarf. Und so geht es dann immer weiter.

Machen Sie eigentlich einen täglichen Rundgang?
Selbstverständlich.

Und wann?
Wenn ich Zeit habe am frühen Nachmittag, nach dem Mittagessen. Wenn ich keine Zeit habe, nach Feierabend.

Wie lange dauert das?
Zwei bis zweieinhalb Stunden. Es ist immer gut, ein eigenes, aktuelles Bild von allem zu haben. Und immer zu Fuß.

Wie sieht da Ihre Route aus?
Schwimmhalle, Stadion, eine Runde auf der Ebene Null, raus, Olympiahalle, durch den Tunnel, kleine Olympiahalle und wieder zurück ins Büro. Ein wunderbarer Rundgang im Sommer. Im Winter muss ich mich immer ein wenig durchringen. Ich bin ja in einer sehr warmen Klimazone aufgewachsen. An den Winter habe ich mich immer noch nicht gewöhnt. So gut konnte ich mich dann doch nicht integrieren. (lacht laut)

"An den Winter habe ich mich noch immer nicht richtig gewöhnt"

Dann sind ja diese sehr heißen Sommertage im August recht angenehm für Sie.
Genau. Ich glaube übrigens, das hat ziemlich sicher nichts mit Genen zu tun. Ich habe zwei Söhne, beide sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Der eine liebt Hitze, wie ich. Der andere liebt den Winter und die eiskalte Luft.

Ich habe das Gefühl, dass Sie Ihren Job auf dem Olympiagelände lieben. Warum?
Ich habe keinen Grund, warum das nicht so sein sollte. Ich muss zwar 24 Stunden erreichbar sein, weil ich bei technischen Problemen auf dem Olympiagelände immer der erste Ansprechpartner bin. Das Handy liegt neben meinem Kopfkissen. Rasen, Stahlbau, Glasfassaden, Sprinkleranlage da, Beleuchtung dort, Baustelle hier, Absprachen mit den Stadtwerken, die ja das Facility Management im Olympiapark durchführen. Aber der Job ist so. Ich mag das. Er ist abwechslungsreich und man muss sich jeden Tag eine neue Lösung überlegen. Das liegt mir.

Haben Sie einen besonderen Bezug zu diesem Ort?
Den habe ich seit 1995 schon. Überlegen Sie mal, diese Dachkonstruktion, die ist einmalig. Die haben das damals mit Taschenrechnern auf die Beine gestellt. Jetzt schauen Sie mal, welche technischen Probleme der Berliner Flughafen hatte und hat, trotz aller Computerprogramme. Die haben das alles vor 50 Jahren in nur drei Jahren aufgestellt. Unglaublich! Da kann man wirklich nur den Hut ziehen. Auch die Nachhaltigkeit! Ich kenne keine Sportstätte, die immer noch so stark genutzt wird. Was wird wohl nach der Fußball-WM in Qatar mit den Stadien passieren? Und jetzt schauen Sie mal, wie lebendig das Olympiagelände ist.

In fünf Jahren soll das Zeltdach saniert sein

Aber Fußball fehlt. Oder?
Es finden ja weiter wichtige Veranstaltungen statt in diesem wunderschönen Stadion. Aber ein Traum wäre es, wenn 1860 oder die Bayern hier wieder regelmäßig spielen würden. Am besten mit 70.000 Fans, wie bei unseren Open-Airs!

Sie finden das Olympiastadion sehr schön. Haben Sie im hektischen Arbeitsalltag noch einen Sinn für die Schönheit?
Aber klar. Das Stadion ist ja kein Hochhaus. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie mein Blick abschweift.

84 Millionen Euro soll die anstehende Sanierung des Olympia-Zeltdaches kosten. Wie lange wird es dauern?
Innerhalb von etwa fünf Jahren soll es fertig sein.

Könnte es länger dauern?
Zur Zeit ist es so, dass überall die meisten Baumaßnahmen länger dauern, als veranschlagt. Das ist momentan schon eine andere Situation als beim letzten Mal in den 90ern.

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