Interview mit Dominik Krause: Ein Linker als Münchner Grünen-Chef?

München - Auf Anti-Nazi-Demos ist er schon seit vielen Jahren Stammgast, im Rathaus gilt Dominik Krause trotz seiner erst 28 Jahre längst nicht mehr nur als Nachwuchs-Hoffnung. Gestern hat der Fraktions-Vize der Stadtrats-Grünen intern erklärt, auch Stadt-Vorsitzender der Partei werden zu wollen. Beim Parteitag Ende März wird er kandidieren.
AZ: Herr Krause, ein Linker als Münchner Grünen-Chef: Ist das ernsthaft noch denkbar?
DOMINIK KRAUSE: Bei den Grünen gab es immer verschiedene Ausrichtungen und das ist immer noch so. Wir stehen ja nicht nur für Ökologie, sondern treten auch für soziale Gerechtigkeit oder eine humane Flüchtlingspolitik ein. Das sind linksbürgerliche Themen.
Sind Sie manchmal genervt, dass die Grünen nur noch als Wohlfühl-Partei für Besserverdienende wahrgenommen werden?
Ich finde gar nicht, dass wir so wahrgenommen werden. Es wird aber von den anderen Parteien versucht, uns so darzustellen. Dabei haben wir gerade bei der Landtagswahl klar gemacht, dass wir mit aller Kraft gegen den erstarkenden Rechtsradikalismus kämpfen und der Gegenpol zu einer CSU sind, die dem eher nachläuft, als klare Haltung zu zeigen. Viele von uns, auch ich, bekommen dafür regelmäßig Drohungen von Nazis. Das ist alles andere als "wohlfühlen". Aber nur Trübsal zu blasen bringt ja auch nichts, deswegen kämpfen wir mit Optimismus und guter Laune für unsere Anliegen.
Krause will eigene Akzente und Themen setzen
Der Grünen-Vorsitz hat die vergangenen Jahre gefühlt jährlich gewechselt. Sind Sie der nächste Vorsitzende für anderthalb, zwei Jahre – und dann wieder weg?
Ich bin seit fünf Jahren im Stadtrat und seit zehn Jahren bei den Grünen aktiv, insofern bringe ich eine gewisse Kontinuität mit und hoffe, die Partei damit zu überzeugen. Ich biete diese Erfahrung schon auch mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen wie der Kommunalwahl 2020 an. Die Amtszeit geht zwei Jahre, falls ich gewählt werde, entscheide dann sowieso nicht nur ich – sondern auch die Partei neu.
Der Terminkalender eines Managers zum Gehalt eines Praktikanten, sagt man bei den Grünen über den München-Vorsitz. Warum tun Sie sich das an?
Politik machen die meisten, anders als es manchmal das Klischee ist, ja nicht des Geldes wegen. Sondern, weil man etwas ändern will. So geht es mir auch.
Und was reizt Sie politisch an der Aufgabe?
Ich finde, das ist eine große Chance, die Stadtpolitik zu einem spannenden Zeitpunkt mitzugestalten. Im Vergleich zu vor ein paar Jahren nehmen viel mehr Menschen an politischen Aushandlungsprozessen teil, weil sie sehen, dass aktuell viel auf dem Spiel steht. Diese Leute anzusprechen und einzubinden reizt mich sehr. Dazu kommt natürlich auch die Möglichkeit, eigene Akzente und Themen setzen zu können. Ich bin nicht nur wegen der Umweltpolitik, sondern auch wegen Bürgerrechten und sozialer Gerechtigkeit politisch aktiv und da gibt es momentan viel zu tun.
Mehr Zugang zu Bürgerbewegungen
Katharina Schulze nutzte den Münchner Grünen-Vorsitz einst als Sprungbrett, wurde zum Gesicht der Bürgerbegehren gegen Olympische Winterspiele und gegen die dritte Startbahn. Ihre Nachfolger nahm man öffentlich kaum wahr. Wie würden Sie den Posten interpretieren: Wollen Sie sich öffentlich einmischen oder eher in die Partei hineinwirken?
Das Amt ist für mich Sowohl-als-auch. Parteiintern stehen große Herausforderungen an, zum Beispiel die vielen neuen Mitglieder einzubinden. Aber natürlich ist das auch ein Amt, das nach außen hin wirkt. Da habe ich Vorstellungen, was wir anpacken sollten.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel, dass wir wieder mehr Zugang zu Bürgerbewegungen haben. Gegen das Polizeiaufgabengesetz sind Zehntausende auf die Straße gegangen und dennoch hat die CSU das Gesetz dann einfach durchgedrückt. Das hat bei vielen das Gefühl bestärkt, "die Politik" mache eh was sie will. Um zu zeigen, dass es dieses "die Politik" so gar nicht gibt, müssen die Parteien ihre Unterschiede wieder deutlicher machen. Und klar zeigen: Auch wenn die CSU in Bayern macht, was sie will, lohnt es sich dennoch, politisch aktiv zu werden. Sei es in Bürgerrechtsorganisationen oder eben zum Beispiel auch bei uns Grünen.
2020 wird der Stadtrat neu gewählt. Wenn die Grünen sich jetzt für Sie als Vorsitzenden entscheiden sollten, ist das ein Fingerzeig in Richtung Rot-Grün – und gegen Schwarz-Grün. Oder?
Ich bin in München mit Rot-Grün, einer Koalition die 24 Jahre gehalten hat, aufgewachsen. Sicher war da nicht alles perfekt, aber im Kern hieß das schon: eine weltoffene, liberale und soziale Stadt, in der Platz für alle ist. Was so ein langjährig gewachsenes Stadtklima alles ermöglichen kann, hat sich 2015 am Hauptbahnhof gezeigt. München ist damals weltweit zu einem Symbol der Hoffnung geworden. Und natürlich sind wir Grüne auch heute noch inhaltlich der SPD viel näher als der CSU.
"Reiter ist ein OB der großen Worte und kleinen Taten"
Aber?
Aber gleichzeitig muss man sehen, wie schwer sich die SPD derzeit tut, einen Kurs zu finden. Teilweise habe ich sogar das Gefühl, der SPD geht es seit den letzten Wahlen weniger um eigene Positionen, sondern darum, sich gegenüber uns Grünen abzugrenzen. Das finde ich eine merkwürdige Art, Politik zu machen. Aber so oder so: Wir treten für Grünen-Positionen ein und wie sich eventuelle Koalitionen entwickeln, wird sich dann zeigen.
Wie wollen Sie den populären Dieter Reiter im Wahlkampf attackieren?
Dieter Reiter ist ein Oberbürgermeister der großen Worte und kleinen Taten. Ein Beispiel ist der kürzlich diskutierte Modellstadt 2030. Der OB hat wieder einmal vertont, dass er ja offen für mehr öffentlichen Nahverkehr oder bessere Fahrradinfrastruktur sei. Wenn es dann aber um konkrete Projekte geht, traut er sich nicht, auch mal die vorhandene rot-rot-grüne Mehrheit zu nutzen. Stattdessen kettet er sich an den Koalitionspartner CSU, der sich nicht von der autogerechten Stadt verabschieden will. Genauso ist es auch bei Themen, bei denen die SPD früher mal eine klare Position hatte, nun aber von der CSU getrieben ist und keine Position beziehen will.
Zum Beispiel?
Eine neue Linie im Umgang mit dem öffentlichen Raum. Seit den Law-and-Order Eskapaden von Peter Gauweiler in den 80ern gab es immer eine klare liberale Haltung, ich würde sogar sagen: ein liberales Münchner Lebensgefühl. Lieder wie "Skandal im Sperrbezirk", in dem die Spider Murphy Gang genau diese Eskapaden aufs Korn genommen hat, drücken das aus.
München bis 2050 klimaneutral
An dieser Haltung hat sich etwas geändert?
Es ändert sich gerade. Während die CSU früher für ihrer ewige Ordnungspolitik belächelt wurde, hat sie nun die Mehrheit im Stadtrat dafür, weil die SPD meist mitstimmt. Das Ergebnis: Alkoholverbote im öffentlichen Raum, Bettelverbote, die Räumung von Wohnstätten obdachloser Menschen oder auch der sogenannte "Kommunale Außendienst", ein neuer städtischer Ordnungsdienst. Gruppen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, löst keine Probleme.
Wo sehen Sie noch Angriffsfläche in der Politik der Großen Koalition im Rathaus?
Ein großes Thema ist der Klima- und Umweltschutz. Alle Parteien haben sich zwar dem Ziel verpflichtet, dass die Stadt im Jahr 2050 klimaneutral sein soll. Gleichzeitig erleben wir an allen Ecken und Enden, dass sich da nichts tut. Das Bürgerbegehren für saubere Luft wurde abgeräumt, indem SPD und CSU einen Absichtsbeschluss gefasst haben, konkrete Maßnahmen sind keine gefolgt. Die Umsetzung des Bürgerentscheids zum Ausstieg aus der Kohle ist auch ein einziges Trauerspiel. Wir Grüne bringen in den verschiedenen Bereichen immer wieder Vorschläge ein, stoßen aber auf taube Ohren.
Krause über Wachstumsängste in München
"Grüne Wiesen statt Betonwüsten", haben Sie bei der Landtagswahl auch in der Stadt plakatiert. Wird das auch Ihr Kommunalwahlkampf: gegen die dringend nötigen Neubauten in der Stadt zu polemisieren?
Überhaupt nicht. Und das war auch vor der Landtagswahl nicht so. Es muss urbane Räume geben, es müssen auch neue Wohnungen entstehen. Aber die Lebensqualität sollte und muss auch darunter nicht leiden. Zuletzt hat übrigens der Oberbürgermeister die großflächige Planung eines Neubaugebiets, die "SEM Nord", gestoppt. Wir haben uns klar dafür ausgesprochen.
Sie kritisieren den OB, dass er der Ökologie zu viel unterordnet?
Ich glaube nicht, dass es ihm hier um die Ökologie ging, sondern eher um den Druck von vor Ort und von der CSU. Es gibt in der Stadt gewisse Ängste vor dem Wachstum der letzten Jahre. Ich kann diese Sorgen nachvollziehen, teile sie aber nicht. Und man muss auch ehrlich sagen: Es gibt dieses Wachstum so oder so und wenn wir keine Stadt wollen, die sich nur noch Reiche leisten können, braucht es gewisse Veränderungen wie neue Wohnungen. Ich sehe das aber auch als große Chance.
Inwiefern?
Es ist doch erst mal toll in einer Stadt zu wohnen, die so viele Menschen anzieht und die so floriert. Wir Grüne wollen zeigen, dass beides geht: neue Wohnungen zu bauen und die Mieten nicht weiter explodieren zu lassen, aber gleichzeitig auch Grünflächen zu erhalten, Platz für Subkultur zu schaffen, und was sonst noch zu einer lebenswerten Stadt gehört. Andere europäische Großstädte machen vor, dass man durchaus beides verbinden kann.