Intensivmediziner der München Klinik: "Unsere Patienten sind ungeimpft"

München - Draußen fühlt sich das Leben für die meisten wieder viel normaler an. Doch in den Kliniken kämpfen Ärzte und Pflegekräfte nach wie vor Tag für Tag um das Leben von schwer erkrankten Covid-Patienten. Thomas Felbinger, Chefarzt der Intensivstation der München Klinik Neuperlach, empfindet manchmal auch Wut und Unverständnis.

AZ: Herr Dr. Felbinger, wir sind in der vierten Welle. Was ist bei Ihnen auf der Intensivstation heute anders im Vergleich zu früheren Wellen?
THOMAS FELBINGER: Prozentual haben wir sehr viel mehr schwere Verläufe. Wir können nicht mehr so viele Patienten gleichzeitig versorgen wie in den ersten beiden Wellen. Und die Ärzte und Pfleger sind deutlich erschöpfter, das Team ist kleiner geworden.
Die freiwilligen Helfer sind mittlerweile nicht mehr da
Warum ist das so?
In der ersten und zweiten Welle hatten wir sehr viele freiwillige Helfer - sie haben uns zum großen Teil inzwischen wieder verlassen und sind in ihre ursprünglichen Berufe zurückgekehrt. Und während wir uns in der ersten Welle fast ausschließlich auf Corona konzentriert und nur Notfälle behandelt haben, versuchen wir den Normalbetrieb jetzt parallel aufrecht zu erhalten und holen weiter verschobene Eingriffe nach. Das alles ohne Pause und Erholung.
Und es ist zu befürchten, dass die Zahlen in der kalten Jahreszeit wieder steigen, oder?
Ich bin kein Epidemiologe, aber wir befürchten schon, dass sich wieder mehr Ungeimpfte anstecken, wenn es jetzt kälter wird und die Menschen in geschlossenen Räumen enger zusammenrücken.
Was unterscheidet die Patienten, die jetzt auf den Intensivstationen liegen, von denen, die in der ersten Welle kamen?
Unsere Patienten sind heute deutlich jünger. Sie sind überwiegend 45 bis 60 Jahre alt, ältere sehen wir gar nicht mehr, da die meisten durch eine Impfung geschützt sind. Anders ist auch, dass die Krankheitsverläufe sehr lang sind.
Viele Patienten bleiben zehn bis 14 Wochen
Warum sind sie länger?
Das liegt am jungen Alter der Patienten. Sie haben mehr Muskelkraft und kommen daher häufig erst später in die Klinik. Dort kämpfen sie länger mit dem Virus. Und wir um sie.
Spielen Vorerkrankungen noch eine große Rolle?
Bei etwa der Hälfte spielen Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes eine Rolle. Aber die anderen haben gar keine Vorerkrankungen.
Wie lange bleiben Ihre Patienten im Durchschnitt?
Die meisten zehn bis 14 Wochen, sie werden invasiv beatmet. Dazu kommt dann noch die Zeit auf der Normalstation und anschließend eine Reha.
Haben Sie auch Patienten, die trotz Impfung schwere Krankheitsverläufe haben?
Nein, wir hatten auf allen Intensivstationen der München Klinik keinen einzigen Impfdurchbruch. Unsere Patienten sind alle ungeimpft.
Und auf der Normalstation?
Dort hatten wir etwa ein Viertel Impfdurchbrüche. Das sind meist Patienten, die Medikamente nehmen müssen, die die Immunabwehr unterdrücken.
Dr. Felbinger über Impf-Verweigerer: "Ich empfinde auch Wut"
Empfinden Sie manchmal Unverständnis oder auch Wut, wenn Menschen so schwer erkranken oder sogar sterben, obwohl eine Impfung das hätte verhindern können?
Ich habe schon Unverständnis. Und ich empfinde auch Wut. Nicht gegenüber Patienten, aber gegenüber Impfgegnern. Wir haben einen Impfstoff, mit dem ganz klar ein schwerer Verlauf verhindert wird.
Erfahren Sie, warum Ihre Patienten nicht zur Impfung gegangen sind?
Ja, das erfahren wir schon. Die Gründe sind vielfältig. In der Mehrzahl ist Angst vor vermeintlichen Nebenwirkungen der dominierende Faktor. Zum Teil ist es auch Unwissen. In seltenen Fällen liegen bei uns auch Impfgegner.
Wovor hatten diese Patienten Angst?
Bei jungen Frauen hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Impfung unfruchtbar machen würde, was Blödsinn ist. Es gibt außerdem den Mythos, dass junge Männer durch die Impfung impotent werden könnten. Auch das ist falsch. Man kann nur an alle appellieren: Lassen Sie sich impfen! Der Nutzen der Impfung überwiegt das Risiko um ein Vielfaches.