Intensiv-Kindermediziner erzählt: "Die Angst fährt auch bei uns immer mit"

Intensivmediziner Florian Hoffmann (43) hat selbst wenig mit Covid-Infizierten zu tun - doch er hat sehr mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen.
von  Lea Kramer
Florian Hoffmann arbeitet in der Haunerschen: Seit Corona bringen Eltern ihre Kinder erst viel später in die Klinik, berichtet er.
Florian Hoffmann arbeitet in der Haunerschen: Seit Corona bringen Eltern ihre Kinder erst viel später in die Klinik, berichtet er. © Daniel von Loeper

München - Seit mehreren Jahren arbeite ich als Oberarzt auf der Interdisziplinären Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität. Zudem engagiere ich mich in der bundesweiten Fachgesellschaft der Intensiv- und Notfallmediziner (DIVI). Wir waren als Mediziner auf vieles vorbereitet, aber die Pandemie hat uns dann doch überkommen. Wir haben immer mit einem Massenanfall von Verletzen gerechnet, aber nie mit so etwas.

Coronavirus schafft neue Klinik-Strukturen

Das hat natürlich meinen Arbeitsalltag in der Klinik schon verändert. Wir mussten Infizierte oder Covid-Verdächtige strikt trennen. Dafür mussten wir erst Strukturen schaffen. Gerade im Frühjahr gab es noch keine verlässlichen Schnelltests. Ergebnisse kamen teils erst nach 48 Stunden.

Wenn ein Kind mit Fieber und Husten in die Notaufnahme kam, mussten wir uns überlegen: Was machen wir nun mit dem Kind? Wir haben uns angewöhnen müssen, jedes fiebrige Kind als potenziell Corona-positiven Patienten zu sehen. In der Regel sehen wir in der Notaufnahme täglich 80 bis 100 Kinder.

Abläufe in der Kinderklinik durch Pandemie langsamer

Alleine das Anziehen der erforderlichen Schutzkleidung - von der wir anfangs nicht genug hatten - braucht Zeit. Das heißt, der Gang in ein Zimmer hat früher drei Sekunden gebraucht. Und jetzt sind wir einige Minuten beschäftigt. Das macht unsere Abläufe unglaublich viel langsamer und aufwendiger.

Es könnte sein, dass wir jetzt, wo die Zahlen steigen, wieder in Materialengpässe geraten. Das will ich natürlich nicht hoffen. Ich nehme an, dass die Welle noch bis März dauern wird. Ich habe bereits von Kollegen in anderen Bundesländern gehört, dass zum Beispiel Handschuhe knapp werden. Das versetzt mich schon in Sorge und bestimmt meinen beruflichen Alltag mit.

Auch Klinikpersonal hat Angst vor Ansteckung

Diese Sorgen darf man nicht unterschätzen, denn auch das Klinikpersonal hat Angst, sich anzustecken. Wir haben Mitarbeiter, die schon etwas älter sind oder Grunderkrankungen mitbringen. In den letzten Wochen hat es in deutschen Krankenhäusern immer wieder Klinikpersonal gegeben, dass sich auf Intensivstationen bei Patienten angesteckt hat.

Die Angst fährt auch bei uns immer mit. Es gibt Mitarbeiter, die zur Risikopopulation gehören, die gesagt haben, in dieser Situation kann ich nicht in die Arbeit kommen. Oder Kollegen werden unter Quarantäne gestellt. In der Krankenpflege gab es bereits vor der Pandemie schon einen schlimmen Personalmangel. Das trifft ganz besonders auch auf die Kindermedizin zu. Wir hatten schon vorher Probleme, die wenigen Betten, die wir hatten, überhaupt aufrecht zu erhalten. Eine Pflegekraft weniger heißt dann auch, dass im Zweifel die Versorgung der Patienten leidet und es gefährlicher wird.

Weniger Kinder kommen in die Klinik

Wir spüren diese Angst vor Ansteckung übrigens auch bei den Eltern unserer Patienten. Die Anzahl der Kinder, die uns vorgestellt wird, geht dramatisch nach unten. In der ersten Welle kamen an manchen Tagen gerade mal fünf Patienten in die Notaufnahme - statt 100. Die, die aber kamen, waren im Verhältnis deutlich kranker. Es waren viele Krankheiten dabei, die wir in diesem ausgeprägten Stadium vorher nicht mehr gesehen hatten. Die Eltern haben uns gegenüber dann erklärt, dass sie sich schlicht nicht getraut hätten, in die Klinik zu kommen.

Es wäre fatal, wenn Kinder wegen der Angst vor Ansteckung zu Schaden kommen. Denn: Corona ist in der Kindermedizin weltweit eigentlich kein Thema. Kinder, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, gibt es nur wenige. Das sind alles kleine Fallserien. Wir haben in der ersten Welle etwa zwei Kinder stationär aufgenommen, insgesamt hatten wir vielleicht zehn Fälle.

Social Distancing zwischen Kindern und Eltern

Die Corona-Fälle, die wir jetzt haben, sind die Eltern. Mittlerweile können wir nur noch ein Elternteil mit auf die Intensivstation lassen. Diese Begleitperson muss einen Corona-Test machen. Da haben wir schon einige Positive rausgefischt. Dieses Social Distancing belastet das Familiengefüge, aber auch uns alle in der Klinik. Eigentlich wollen wir ja, dass schwer kranke Kinder mit ihren Eltern zusammen sind. Die Vertrauensbasis wird auf eine harte Probe gestellt.

Ich hoffe, dass wir es schaffen, die Menschen wieder zur Vernunft zu bringen. Das Gefahrenbewusstsein für diese Erkrankung ist im Sommer etwas verloren gegangen. Ich hoffe, dass wir durch die Kontaktminimierung schaffen, diese Welle zum Abebben zu bringen. Zwei Prozent der Infizierten werden intensivpflichtig, das werden in den kommenden Wochen viele Hundert Menschen sein.

Auch wenn wir ein tolles System haben, müssen wir die Zahl nach unten bringen, damit wir weiterhin alle Patienten behandeln können. Dafür braucht es von allen noch mal persönliche Einschränkung.

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