In München nimmt eine Familie Flüchtlinge auf. Wie im Film Willkommen bei den Hartmanns

Einen Flüchtling bei sich aufnehmen wie die Familie Hartmann im Kinofilm "Willkommen bei den Hartmanns": Familie Heimerl hat das getan – mit riesigem Effekt. Für alle Beteiligten.
von  Von Anja Perkuhn
"Zieht doch einfach bei uns ein", sagt Anwalt Christian Heimerl (2. v. r.) – seitdem gehören Fikadu (l.) und Tesfu (M.) genauso zur Familie wie Mutter Gudrun (2. v. r.) und Tochter Ruth (r.).
"Zieht doch einfach bei uns ein", sagt Anwalt Christian Heimerl (2. v. r.) – seitdem gehören Fikadu (l.) und Tesfu (M.) genauso zur Familie wie Mutter Gudrun (2. v. r.) und Tochter Ruth (r.). © Petra Schramek

München - Weihnachten wird schwierig, da wird es wohl einen kleinen Konflikt geben, das kann man schon jetzt kommen sehen: Gudrun Heimerl ist nämlich so begeistert von der eritreischen Küche, dass sie zum Fest alles kochen will, was die so hergibt.

Tochter Ruth (17) schaut ein bisschen gequält. „Vielleicht gibt’s ja auch noch was Anderes“, sagt sie, „das ist immer so scharf. Vielleicht mal wieder was Gutes, Deutsches.“ Aber bei den letzten beiden Worten muss sie selbst schon wieder lachen – und alle anderen im Wohnzimmer mit ihr.

"Die Jungs sind alle nett – aber niemanden sonst hätten wir hergeholt"

Irgendwas wird’s schon zu essen geben, und alle werden satt werden bei der Familie Heimerl – bestehend aus den (geschiedenen) Eltern Gudrun und Christian Heimerl, den vier Kindern und den beiden Eritreern Fikadu und Tesfu – eine Geschichte, die an den Erfolgs-Film „Willkommen bei den Hartmanns“ erinnert.

In diesem Herbst sind die beiden Flüchtlinge eingezogen in das Einfamilienhaus in Hechendorf im Landkreis Starnberg. Im Leben der Heimerls angekommen sind sie schon viel früher: 30 Eritreer kamen vor anderthalb Jahren nach Hechendorf, der Gemeinde gesetzlich zugeteilt. Gudrun Heimerl, eine Geigenlehrerin, hat sich bereits als Jugendliche sozial engagiert, „und ich wollte schon lange unbedingt wieder etwas machen, aber auch etwas Neues dabei kennenlernen“, sagt sie.

Bisher hatte sie vor allem mit geistig und körperlich behinderten Menschen und deren Familien gearbeitet, sie und ihr Mann – ein Anwalt – gründeten in den Achtzigern den Münchner „Verein zur Betreuung und Integration behinderter Kinder und Jugendlicher“.

Fikadu Ande (30) zieht als erster bei Familie Heimerl ein. Ob er Angst hatte, dass das vielleicht doch nicht gut geht? Er lacht: "Nein, gar nicht." Foto: Petra Schramek

Als eine Kollegin ihr vom Patenprojekt des Helferkreises erzählte, „habe ich sofort meinen Sohn und meinen Mann ins Boot geholt“. Seit Juni 2015 sind sie aktiv im Helferkreis für die Neuankömmlinge. Sie lernen Fikadu und Tesfu kennen. Gehen spazieren, kochen, spielen Karten. Die Töchter gehen mit ihnen abends feiern, die beiden kommen als Zuschauer zu den Handballspielen von Ruth Heimerl. Als in diesem Herbst dann kurzfristig der Sohn Daniel und die Töchter Mirjam, Lea und Ruth ausziehen, ist das Haus plötzlich sehr groß und sehr leer.

„Ich kenne viele der Jungs, die noch in dem Wohncontainer leben“, sagt Christian Heimerl. „Die sind alle nett. Aber zu niemandem sonst außer Fikadu und Tesfu hätte ich gesagt: Zieht doch einfach bei uns ein.“ Fikadu kommt als Erster, einen Monat später Tesfu, der zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahr lang in einer eigenen Wohnung lebt. „Die Wohnung war gut“, sagt er. „Aber sie war sehr leer. Ich war plötzlich alleine, das war langweilig.“ Er grinst in die Runde am riesigen Naturholztisch. „Das hier ist einfach meine Familie.“

Hatten sie keine Angst, ob das vielleicht nicht gut geht? Fikadu lacht. „Nein, gar nicht.“

Die Zimmer der beiden, deren Miete das Jobcenter anteilig zahlt, sind spartanisch eingerichtet: Bett, Tisch, keine Bilder an der Wand. Nicht besonders heimelig. Aber ihre Fahrräder liegen halb sorgsam, halb achtlos, neben der Heimerlschen Gartenpforte.

Tesfu Gebremedhin (29) hat schon in einer eigenen Wohnung gewohnt. „Die war gut, aber sehr leer“, sagt er. „Das hier ist meine Familie.“ Foto: Petra Schramek

Da, wo früher die Räder der Heimerl-Kinder lagen. „Es bedeutet uns allen sehr viel, dass sie hier sind“, sagt Ruth Heimerl. „Sie sind inzwischen meine Brüder geworden.“ Für drei Jahre haben die zwei jetzt vorerst ein Bleiberecht. Beide arbeiten, Tesfu bisher nur nachmittags, vormittags geht er in einen Integrationskurs. Am Abend bringt Gudrun Heimerl ihnen Deutsch bei – auch wenn sie nicht mehr im Haus lebt, ist sie noch oft hier. Christian Heimerl hilft bei der Post, vor allem bei den Behördenbriefen. Und immer wieder kochen sie alle zusammen – meistens Eritreisch.

Im nächsten Jahr wollen sowohl Tesfu als auch Fikadu eine Ausbildung anfangen. Und wie geht es dann weiter, wie lange bleiben sie hier? Die zwei schauen sich kurz an. Bevor sie antworten können, flüstert Ruth Heimerl halblaut von der Seite ein: „Für immer.“

„Bis immer“, sagt Fikadu und strahlt. „Oder bis übermorgen“, wirft Gudrun Heimerl ein, und alle lachen – es muss einer von diesen familieninternen Witzen sein, die man als Außenstehender nicht versteht.

"Es ist nicht selbstverständlich – und nicht normal"

Was Christian Heimerl aber wichtig ist zu betonen: „Das hört sich alles so wahnsinnig toll an“, sagt er. „Ist es auch. Aber es ist nicht selbstverständlich. Wir haben wahnsinnig viel Glück gehabt, dass alles so passt, dass wir uns so gut verstehen, dass unsere Kinder so aufgeschlossen sind.

Das ist sicher nicht normal und bei jedem so.“ Einfach sei das Zusammenleben, „weil es einfach passt. Deshalb fühlt es sich auch nicht an wie eine große soziale Tat.“ Und dumme Sprüche, auch das hilft beim guten Gefühl, haben sie hier im beschaulichen Hechendorf noch nie gehört.

Den Film „Willkommen bei den Hartmanns“ hat übrigens niemand aus dem Hause Heimerl gesehen. „Ich weiß nicht“, sagt Mutter Gudrun. „Ich dachte, das ist sicher so ein klischeebeladener Film, der mit der Realität nichts zu tun hat.“
Es sei hier so viel verraten: Am Ende passt alles irgendwie zusammen.

Manchmal liegen Fiktion und Wirklichkeit eben nicht so weit auseinander.


Der Film zur Geschichte: "Willkommen bei den Hartmanns"

Eine Grünwalder Familie nimmt einen Flüchtling aus Afrika auf – so beginnt die Geschichte "Willkommen bei den Hartmanns". Während Politik und Gesellschaft in der Realität erbittert über den Umgang mit Asylsuchenden streiten, verteilt Regisseur Simon Verhoeven Seitenhiebe in alle Richtungen, hintergründig, humorvoll.

Mehr als zwei Millionen Menschen wollten die prominent besetzte Flüchtlingskomödie (Senta Berger, Heiner Lauterbach, Elyas M’Barek, Palina Rojinski und Florian David Fitz) schon sehen, seit November steht er in den Kino-Charts weit oben. Er gehört damit zu den meistbesuchten Kinofilmen 2016 in Deutschland.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.