Nachts in den Fünf Höfen München: Die AZ begleitet ein ganz besonderes Team

Pflanzen in Gebäuden und an Fassaden sind im Trend. In den Fünf Höfen haben sie schon lange Tradition: Hier hängt einer der größten hängenden Gärten der Welt. Chemie ist tabu, wenn nachts die Pflanzenprofis kommen. Die AZ hat sie begleitet.
von  Nina Job
Thomas Matthijssen (40) rückt Ungeziefer mit natürlichen Feinden zu Leibe: In dem Schächtelchen sind Insekten, die er auf befallene Pflanzenblätter in den Fünf Höfen streut.
Thomas Matthijssen (40) rückt Ungeziefer mit natürlichen Feinden zu Leibe: In dem Schächtelchen sind Insekten, die er auf befallene Pflanzenblätter in den Fünf Höfen streut. © Hannes Magerstädt

München – Ruhe ist eingekehrt in den Fünf Höfen. Eine letzte Boutiquebetreiberin schließt ihren Laden ab, das Licht in den verwaisten Geschäften ist heruntergedimmt, nur vereinzelt schlendert noch jemand durch das Einkaufszentrum im Herzen der Altstadt. Das ist die Zeit für Hans Kammeijer (63) von Planter's Punch und sein Team. Wenn andere Feierabend machen, rücken die Pflanzenprofis an. Sie kümmern sich um das, was in den Fünf Höfen von der Decke wächst.

Acht Meter lange Pflanzen hängen in den Fünf Höfen von der Decke. Nicht jeder weiß, dass sie echt sind - und gute Pflege brauchen.
Acht Meter lange Pflanzen hängen in den Fünf Höfen von der Decke. Nicht jeder weiß, dass sie echt sind - und gute Pflege brauchen. © Hannes Magerstädt

"Wir haben hier einen der größten hängenden Garten der Welt", erzählt der gebürtige Holländer stolz. "Die Fünf Höfe sind ein Gesamtkunstwerk, der hängende Garten ist ein Teil davon." Genau genommen sind die 160 Gewächse gar keine Hänge-, sondern Kletterpflanzen. Es sind Pflanzenarten, die bei vielen daheim im Blumentopf in die Höhe ranken – hier jedoch wachsen sie acht Meter nach unten. Ihre botanischen Namen sind Tetrastigma (Kastanienwein), Philodendron Scandeus (Kletterphilodendron) und Scindapsus pictus (Efeutute).

Mit Lampen wird der Sonnenaufgang simuliert

"Wir tricksen sie aus, sie denken, sie wachsen nach oben", erklärt der quirlige Firmenchef. Das gelingt mit speziellem Licht. 500 sogenannte Pupillen sind rundum installiert. "Wir simulieren mit den Lampen auch den Sonnenaufgang und den Untergang", erklärt Kammeijer. Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre wurden die Fünf Höfe gebaut, Kammeijer war von Anfang an dabei. Er hat den hängenden Garten installiert. 

In den Fünf Höfen stehen die Pflanztröge auf einem Metallgitter. Eigentlich wäre der natürliche Impuls der Pflanzen, nach oben zu wachsen.
In den Fünf Höfen stehen die Pflanztröge auf einem Metallgitter. Eigentlich wäre der natürliche Impuls der Pflanzen, nach oben zu wachsen. © Hannes Magerstädt

Seitdem ist er hier mit seinem Team regelmäßig im Einsatz: Drei Mal in der Woche – und manchmal ganze Nächte lang wird die Pracht gepflegt. Die Mitarbeiter überprüfen, ob alles einwandfrei funktioniert mit der automatischen Bewässerung, der Luftfeuchtigkeit, Temperatur und dem Substrat. Sie fahren auf einer Hebebühne in die Höhe, entfernen vertrocknete Blätter und bekämpfen Ungeziefer. Alles soll perfekt ausschauen und nichts zu Boden rieseln, wenn unter dem hängenden Garten Einkaufsgewimmel herrscht.

Besonders aufwendig ist es, wenn Pflanzen ausgetauscht werden, elf Stück sind es jedes Jahr. Beim AZ-Besuch sitzen mehrere Mitarbeiter auf dem Fußboden im Treppenhaus und entflechten erstmal vorsichtig die langen Zweige. Erst dann können sie die neuen grünen Bewohner in einen der Pflanztröge einfädeln, die auf einem massiven Metallgitter stehen – etwa zwölf Meter über den Köpfen der Passanten. Die Mitarbeiter von Planter's Punch kennen nicht nur jede Pflanze, sie kennen auch jedes Blatt. Denn ein Mal im Jahr wird von jedem der Schmutz und Staub abgewaschen. Das ist wichtig für die Gesundheit der Pflanzen, erklärt Kammeijer. Er hat für die Reinigung eine spezielle Technik entwickelt. Wie genau er und seine Leute das anstellen, will er aber nicht verraten. "Betriebsgeheimnis", sagt er lachend.

Schädlinge saugen den Lebenssaft aus den Blättern

Bevor es losgeht, müssen erst die Schaufenster aufwendig verkleidet werden, damit sie keinen Schmutz und kein Wasser abbekommen. Je zwei Nächte im Frühjahr und zwei Nächte im Herbst dauert die Aktion. Etwa 200 Arbeitsstunden kommen da zusammen. Nun im Frühjahr ist auch die Zeit, Ungeziefer wie Wollläusen, Spinnmilben, Dickmaulrüsslern und anderem Getier an den Kragen zu gehen. Da sind die Tierchen besonders aktiv. Denn vor allem in der Wachstumsphase knabbern sie Blätter an oder saugen den Lebenssaft aus Blattadern; sie können Pflanzen so zusetzen, dass sie eingehen.

Hans Kammeijer hat 1990 mit einem Pflanzenverleih in Giesing begonnen. Zu seinen Kunden gehören die Stadtwerke und mehrere große Firmen.
Hans Kammeijer hat 1990 mit einem Pflanzenverleih in Giesing begonnen. Zu seinen Kunden gehören die Stadtwerke und mehrere große Firmen. © Hannes Magerstädt

Schädlingsbekämpfung ist das Spezialgebiet von Thomas Matthijssen (40) von Planter's Punch. "Manche Schädlinge legen mehrere Hundert Eier", erklärt der Pflanzenfachberater, während er auf der Hebebühne steht. Meter um Meter fährt er nach oben und inspiziert die Blätter einer Efeutute. Er hat Wollläuse entdeckt. Chemie einzusetzen, kommt für ihn nicht infrage. "Vor 20 Jahren gab's noch Mittel, die so giftig waren, dass man seinen Partner damit umbringen konnte", sagt er. "Mit sowas will man nicht arbeiten. Ich wollte gesunde Kinder!" Sein Chef setzt schon seit Jahrzehnten auf natürliche Fressfeinde.

Thomas Matthijssen hat eine unscheinbare kleine Schachtel in der Hand, die am Morgen per Express mit der Post gekommen ist. Darin stecken Hunderte Florfliegenlarven. Sie stammen von der Firma Katz Biotech bei Berlin, die Milliarden solch nützlicher Insekten züchtet. Matthijssen öffnet die Schachtel nur zentimeterweise und streut die Tierchen auf die befallenen Blätter - und sofort geht das Gemetzel los. "Die Larven der Florfliege fressen direkt los. Das sind echte Freaks! Die fressen sich auch gegenseitig und sogar ihre Babys", sagt der Experte. Manchmal landet auch eine auf seiner Hand, dann zwickt's ein bisschen.

Auf die Plätze - fertig - fressen! Hungrige Florfliegenlarven stürzen sich auf Wollläuse. Gibt's nichts anderes, fressen sie sich auch gegenseitig.
Auf die Plätze - fertig - fressen! Hungrige Florfliegenlarven stürzen sich auf Wollläuse. Gibt's nichts anderes, fressen sie sich auch gegenseitig. © Hannes Magerstädt

Rund 40.000 Florfliegen, Marienkäfer, Schlupfwespen und andere Tierchen landen jeden Monat in den Fünf Höfen auf den Pflanzenblättern. Davon bekommen die Menschen, die dort einkaufen und arbeiten, nichts mit. "Man sieht die Nützlinge ja nicht. Und man hört sie auch nicht beim Schmatzen." Matthijssens Einsatz ist für heute beendet, seine Kollegen werden noch die halbe Nacht weiterpflanzen. Da bleibt ein Touristenpärchen stehen. Die beiden bitten um ein Foto mit den lianenartigen Pflanzen über ihren Köpfen. Schon eine Schau, dieser gepflegte hängende Garten.

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