"In fünf Jahren wird die Hälfte der Flüchtlinge Arbeit haben"

München - Rund 2.600 Geflüchtete (von aktuell 7.700) in den Asylunterkünften in München sind laut Sozialreferat "anerkannt" – was bedeutet: Sie haben ein Bleiberecht. Sie dürfen sich eine Wohnung suchen. Sie haben Arbeitslosengeld II beantragt und: Sie dürfen arbeiten.
Weitere "Anerkannte" sind schon länger hier (so etwa seit dem Irakkrieg 2003) und leben bereits in Wohnungen. Um deren Integration in den Arbeitsmarkt kümmert sich die "Zentraleinheit Flüchtlinge", eine Abteilung des Jobcenters in der Franziskanerstraße. Wer sucht Arbeit? Wie gut sind die Menschen vermittelbar – und wohin? Und welche Probleme tun sich dabei auf? Das erklärt Jobcenter-Chefin Anette Farrenkopf in der AZ.
So geht als süddeutsche Brotbackkunst: Bäckerlehrling Ghebru Aregay aus Eritrea (l.) lässt sich von seinem Meister Marcus Staib ins Backhandwerk einweisen. Foto: Stefan Puchner/dpa
AZ: Frau Farrenkopf, Sie haben in Ihrer Kartei 10 250 anerkannte Flüchtlinge, die in München arbeiten möchten. Woher kommen diese Menschen?
ANETTE FARRENKOPF: Überwiegend aus den acht zugangsstärksten Asylherkunftsländern. Also Irak, Syrien, Afghanistan, Somalia, Eritrea, Iran, Nigeria und Pakistan.
Stimmt es, dass es überwiegend junge Männer sind?
Im Prinzip ja. Es sind etwas mehr Männer als Frauen, so um die 55 Prozent. Und bei den Frauen hat jede Vierte noch sehr kleine Kinder, kann also nur bedingt arbeiten. 60 Prozent dieser Menschen sind jünger als 35 Jahre. Ein gutes Viertel sogar jünger als 25.
Die Münchner Wirtschaft hofft auf potenzielle Facharbeiter unter diesen Migranten. Sind Sie fündig geworden?
Das Thema ist eine Herausforderung. Unter den Flüchtlingen sind nur wenige hochqualifizierte Leute. Trotzdem gelingt es uns, pro Jahr rund 2000 Flüchtlinge in den Münchner Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Nur wenige Hochqualifizierte wie etwa syrische Ärzte, meinen Sie?
Richtig. Es gibt sie vereinzelt, wie neulich, als wir einen syrischen Zahnarzt vermittelt haben. Auch IT-Fachkräfte und Ingenieure aller Fachrichtungen, die fließend Englisch sprechen, können wir schnell vermitteln. Aber letztlich ist es so: Nur drei Prozent sind Experten wie Ingenieure oder Ärzte. Knapp 17 Prozent können wir als Fachkraft einsetzen, zum Beispiel als Geselle in Handwerksbetrieben. Aber drei Viertel der Leute können maximal Helferarbeiten machen, weil sie oft keinen Berufsabschluss haben, teilweise sogar keinen Schulabschluss.
Kann München denn so viele ungelernte Helfer brauchen?
Es gibt schon eine Menge Bedarf. Die gesamte Hotellerie und Gastronomie in München sucht, Küchenhelfer zum Beispiel. Auch Lagerhelfer werden gebraucht und Mitarbeiter in Reinigungsunternehmen. Aber natürlich versuchen wir, so viele Leute wie möglich zu qualifizieren und gerade junge Leute für eine Ausbildung zu gewinnen.
"Bei Somaliern und Eritreern ist die Altenpflege populär"
Welche Branchen suchen qualifizierte Mitarbeiter?
Verkehrs- und Logistikunternehmen, der Handel, das Handwerk. Auch das Lebensmittel- und Gastgewerbe – etwa Kellner oder Köche. Das gilt auch für Einrichtungen der Altenpflege.
Deckt sich das mit den Berufswünschen der Migranten?
Teilweise. Bei Männern ist der Sicherheitsbereich beliebt. Junge Männer möchten gern Automechaniker oder Mechatroniker lernen, da haben wir aber kaum Bedarf, weil es genug Münchner Bewerber gibt. Viele wollen aber auch ein anderes Handwerk lernen. Interessanterweise ist bei den Eritreern und Somaliern die Kranken- und Altenpflege populär. Da ist aber keine schnelle Integration möglich, weil sich die Leute erst qualifizieren müssen.
Welche Berufswünsche haben Frauen?
Friseurin steht sehr weit oben, wobei die Bewerberinnen aus arabischen Ländern gern nur Frauen frisieren möchten.
Die Afghanin Reyhane Heidari (l.) arbeitet mit Claudia Frick und Eva-Madeleine Fiedler bei der Schneiderei „Stitch by Stitch“. Hier sieht man sie an ihrem Messestand auf der Handwerksmesse im März. Foto: Sven Hoppe/dpa
Das Münchner Handwerk sucht dringend Lehrlinge. Finden Sie unter den Flüchtlingen passende Bewerber?
Da gibt es einige. Viele Junge möchten erstmal Helferjobs machen, weil man da gleich Geld verdienen und an die Familie schicken oder Schulden begleichen kann. Aber wir ermuntern sie, langfristiger zu denken und eine Ausbildung zu machen. Voraussetzung ist da aber, dass sie Deutsch können. Für die Berufsschule brauchen sie ein hohes Sprachniveau, also mindestens A2-Level, besser B2. Das Jobcenter nutzt hier ausbildungsbegleitende Hilfen, besonders Sprachförderung.
Wie viele haben das nötige Sprachniveau?
Erst gut 40 Prozent. Die können wir sofort in Betriebe vermitteln – als Lehrlinge beim Metzger, Bäcker, Schreiner, Maler, Maurer, Koch oder Friseur. Ein Drittel der Migranten spricht aber noch gar kein Deutsch.
Welchen Weg gibt es dann?
Zunächst Integrationskurse und Deutschkurse, dann Bewerbungscoachings, Praktika und psychologische Begleitung. Am besten funktioniert das Sprachelernen während einer beruflichen Tätigkeit.
Wie erleben Sie die Bereitschaft der jungen Leute, da engagiert mitzumachen?
Sehr viele sind unheimlich fleißig, weil sie ein Ziel haben und etwas erreichen möchten. Es macht Freude, ihren Weg zu beobachten – wie gerade bei einem Jungen aus Afghanistan.
Erzählen Sie doch mal.
Er hat auf der Flucht immer wieder als Elektrohelfer gearbeitet. Mitte 2013 kam er nach Deutschland. Er war wissbegierig, lernte schnell Deutsch und machte danach ein Praktikum als Gleisbauer bei der Deutschen Bahn. Seine Chefs entdeckten, dass ein guter Elektroniker in ihm steckt. Nun fördert das Jobcenter seine Umschulung zum Elektroniker für Betriebstechnik bei der Bahn. Er hat seine Zwischenprüfung sehr gut bestanden. Im Sommer 2018 soll er fertig werden.
"Viele sind unheimlich fleißig – weil sie ein Ziel haben"
Es gibt aber auch Betriebe, die klagen darüber, dass junge Flüchtlings-Praktikanten bald hinwerfen.
Für viele sind die Anforderungen natürlich schwer. Gerade für die Jungen, die in den Herkunftsländern auf keiner Schule waren, die schon in der Muttersprache kaum lesen und schreiben können und die es nicht gewöhnt sind, sich einen ganzen langen Tag lang auf eine Sache zu konzentrieren. Oder die durch ihre Fluchtgeschichte traumatisiert sind.
Was tun Sie in solchen Fällen? Gibt es Lösungen für Menschen mit solchen Problemen?
Ja, in den sozialen Betrieben in München zum Beispiel. Dort können sie im geschützten Rahmen mit sozialpädagogischer Begleitung arbeiten. Und danach eine begleitete Ausbildung machen. Es ist mitunter ein langer Weg, weil wir auf jeden dieser Menschen einzeln eingehen und oft an vielen Schrauben gleichzeitig oder nacheinander drehen müssen.
Handwerksmeister Steffen Rottluff (r.) zeigt seinem Azubi Ashraf Hussain, wie man ein Gewinde schneidet. Der Pakistani lernt Anlagenmechaniker (in Chemnitz). Foto: Jan Woitas/dpa
Wie sehen Sie die Perspektive für die aktuell 10.250 arbeitsuchenden Flüchtlinge?
Darunter sind auch Schüler und Frauen mit kleinen Kindern, die aktuell nicht arbeiten können. Ich schätze, dass wir die Hälfte in den nächsten fünf Jahren in Jobs vermitteln können. Das finde ich eine hoffnungsvolle Zahl.