Immobilien-Markt in München steht unter Schock

Seltenes Phänomen in München: Ein Makler senkt die Preise seiner Immobilien, die er aktuell nicht verkauft bekommt. Was hat es damit auf sich?
von  Leonie Fuchs
Für Käufer ist München inzwischen die zweitteuerste Stadt in Europa, nach Paris, wie kürzlich die Unternehmensberatung Deloitte mitteilte. Aktuell werden (nicht nur deshalb) weniger Immobilien gekauft.
Für Käufer ist München inzwischen die zweitteuerste Stadt in Europa, nach Paris, wie kürzlich die Unternehmensberatung Deloitte mitteilte. Aktuell werden (nicht nur deshalb) weniger Immobilien gekauft. © imago/Heinz Gebhardt

München - Zu verkaufen: moderne Drei-Zimmer-Wohnung mit Garten, 73 Quadratmeter Wohnfläche, Tiefgaragenstellplatz – und all das in Obergiesing, zentral gelegen. Die Immobilie ist bei Makler Reinhart Klessinger (56) derzeit für den reduzierten Preis von 690.000 Euro statt zuvor 750.000 Euro zu haben. Ein wahres "Schnäppchen" – na ja, für Münchner Immobilienpreise eben.

Hohe Zinsen, steigende Energiepreise und Corona: Flaute am Immobilienmarkt

Was für den ein oder anderen Kaufinteressenten bis vor ein paar Monaten noch wie ein verlockendes Objekt klang, ist jetzt schwer loszukriegen. Es herrscht Flaute am Immobilienmarkt, die Nachfrage hat nachgelassen. Die Gründe für das Tief: hohe Zinsen, steigende Energiepreise und Corona.

Die Drei-Zimmer-Wohnung mit Garten und Terasse in Obergiesing von außen. Sie kostet derzeit "nur" 690.000 Euro.
Die Drei-Zimmer-Wohnung mit Garten und Terasse in Obergiesing von außen. Sie kostet derzeit "nur" 690.000 Euro. © Klessinger Immobilien

Die Umsätze des 56-jährigen Maklers sind stark eingebrochen. Normalerweise erhält er täglich zehn neue Kundenanfragen auf seine Inserate, erzählt er. Jetzt seien es noch etwa ein bis zwei pro Woche. Besichtigungstermine gebe es entsprechend kaum noch welche. Um seine Objekte in München und im Umland trotzdem an die Verbraucher zu bringen, habe er reagiert und die Kaufpreise für seine 15 Immobilien gesenkt. Als einen Grund dafür nennt er im Inserat die Zinserhöhung.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im Juli den Leitzins erstmals seit elf Jahren angehoben (AZ berichtete). So sollen Konjunktur und Preissteigerungen gedämpft werden. Auf mittlere Sicht strebt die EZB eine Inflationsrate von zwei Prozent an. Im August stieg diese um 7,9 Prozent gegenüber dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Die Erhöhung des Leitzinses wirke sich nun extrem auf den Immobilienmarkt aus, so Klessinger. "Er hat eine leichte Delle bekommen."

Viele Kunden könnten sich den Hauskauf nicht mehr leisten

Woran das liegt, erklärt Klessinger, der auch die Marktanalysen für den Immobilienverband Deutschland macht, anhand eines Beispiels: Vor der Anhebung des Leitzinses, konnten Banken ihren Kunden günstige Kredite geben. Davon profitierten etwa Familien, die ein Haus kaufen wollten, aber denen das nötige Startkapital fehlte. Für Sparer hingegen hatten die niedrigen Zinsen eher Nachteile, weil sie entsprechend auch weniger Zinsen auf ihr Erspartes erhielten.

Genau anders herum verhält es sich jedoch, wenn der Leitzins hoch ist, wie aktuell der Fall: Anleger erhalten höhere Zinsen. Privathaushalte allerdings, die sich Geld bei der Bank leihen möchten, müssen mit erheblichen Mehrkosten rechnen. "Wollte man vor vier Monaten bei der Bank einen Kredit von 500.000 Euro aufnehmen, lag der Zinssatz bei 0,8 Prozent. Jetzt liegt er bei 3,8 Prozent."

Zudem verlangen viele Kreditgeber Eigenkapital von ihren Kunden. Die Stadtsparkasse etwa empfiehlt auf ihrer Webseite: "Mindestens 20 bis 30 Prozent der Gesamtkosten für den Erwerb Ihrer Immobilie sollten durch eigenes Kapital abgedeckt werden." Viele Kunden könnten sich den Hauskauf nicht mehr leisten, sagt Klessinger. "Ein junges Pärchen nimmt natürlich den Taschenrechner in die Hand und entscheidet sich in dieser aktuellen Lage lieber fürs Mieten."

Andere Kunden wiederum, die das passende Vermögen auf dem Konto haben, spekulierten nun darauf, dass im kommenden Jahr der Markt noch weiter einbricht und die Immobilienpreise weiter tiefer fallen.

Münchner Makler: "2021 war das beste Immobilienjahr"

Zum Glück hat der Makler vor der Zinserhöhung noch Grundstücke verkauft und nun einen Finanzpuffer, erklärt er. Das letzte Corona-Jahr 2021 sei "der Wahnsinn" gewesen - "jeder wollte kaufen!" Durch die Corona-Pandemie seien viele Menschen daheim geblieben und hätten häufiger über eine räumliche Vergrößerung nachgedacht, vermutet er. "2021 war das beste Immobilienjahr seit meiner 16-jährigen Laufbahn als Immobilienmakler." Klessinger habe 30 Prozent mehr Umsatz gemacht als in den Vorjahren.

Doch bereits im April 2022 – vor der EZB-Leitzinserhöhung – seien viele Banken nervös geworden und hätten ihre Zinsen erhöht. "Seitdem läuft's träge."

Neben dem Zinsanstieg sind viele Menschen auch durch die explodierten Energiepreise und die Pandemie verunsichert. "Sich räumlich zu vergrößern und ein Haus zu kaufen, bedeutet natürlich in Zeiten von hohen Energiepreisen auch, dass mehr Kosten auf einen Käufer zukommen", sagt Rudolf Stürzer, Rechtsanwalt und Vorsitzender vom Immobilien-Verbund "Haus + Grund München". Auch Corona trage nach wie vor zur allgemeinen Verunsicherung bei und drücke auf die Stimmung.

"Schnäppchenpreise" bei Immobilien seien vorübergehender Trend

In den Inseraten achtet Makler Klessinger bereits darauf, Besonderheiten eines Grundstückes, die für seine Kunden aktuell besonders interessant sein könnten, mit anzugeben. In der Obergiesinger Drei-Zimmer-Wohnung sei etwa ein modernes Blockheizkraftwerk verbaut worden, das Wärme und Strom produziert. Somit sind Bewohner unabhängig vom Gas. "So etwas muss man in Zeiten des Ukraine-Krieges und hohen Energiekosten natürlich mit reinschreiben."

Er verkaufe auch Objekte, in denen eine Gasheizung eingebaut sei. "Da sagt der Kunde inzwischen freilich 'das bringt ma' nix'." Auf der anderen Seite seien Häuser mit Ölheizung nun plötzlich wieder angesagt.

Die "Schnäppchenpreise" bei Häusern seien jedoch ein vorübergehender Trend, so Stürzer. Der Experte rät Immobilienbesitzern, die ein Haus verkaufen möchten, abzuwarten. "Der Markt ist im Augenblick im Schockzustand. Die Menschen sind geschockt von den Zinsen, den Energiepreisen und Corona."

Die Lage werde sich beruhigen, meint der Experte. Denn gerade in Ballungszentren wie München, in denen in den nächsten Jahren ein großer Bevölkerungszuwachs erwartet wird, bleibe die Nachfrage nach Grund immer groß. Im Gegenteil: problematisch sei auf Dauer die Wohnungsknappheit. Und bei großem Zuwachs sei die Nachfrage wieder hoch. In der Folge steigen auch die Immobilienpreise wieder an.

Auch Makler Klessinger empfiehlt, den Markt zu beobachten und erst im Frühjahr nächsten Jahres wieder Objekte zu verkaufen. Doch über die Entwicklung kann man nur spekulieren: "Ich kann mir auch gut vorstellen, dass der Leitzins wieder fällt. Dann kann es für Kaufinteressenten wiederum kontraproduktiv sein, zu warten. Dann steigen die Immobilienpreise wieder." Er zumindest hoffe darauf.

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