Immer was zu lachen mit Sigi

Einst als Verkehrswelle gestartet, schrieb der Sender schon Radio-Geschichte. Die gute Laune ist wieder ansteckend, es gibt mehr Hörer
Matthias Maus |
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Glory Days. Thomas Gottschalk und Günther Jauch in der Nachmittag-Radio-Show.
BR/Foto Sessner Glory Days. Thomas Gottschalk und Günther Jauch in der Nachmittag-Radio-Show.

Einst als Verkehrswelle gestartet, schrieb der Sender schon Radio-Geschichte. Die gute Laune ist wieder ansteckend, es gibt mehr Hörer.

München - Oh doch, Matthias Matuschik kann ernst werden. Fast böse sogar: „Ich bin absolut dagegen, dass man die Witzbremse zieht”, sagt er, „bloß weil es irgendwo Katastrophen gibt". Er darf, er muss das sagen. Frech sein, irgendwie komisch, respektlos, das ist das Geschäftsmodell des 46-jährigen. Und er hat Riesen-Erfolg damit. Er ist ein Star in Bayern3. „Irgendwo ist doch immer Tsunami”, sagt Matuschik. „Ist doch wahr.”

Die Frage hier in seinem Studio, hoch über dem abendlichen München war: Ist es besonders schwer, leicht zu sein, wenn um einen herum Atommeiler schmelzen, Bürgerkriege aufflammen und Kinder ermordet werden? Eigentlich harmlos, aber sie trifft offenbar einen Nerv bei Bayern3. Heute genau seit 40 Jahren sendet Bayern 3, und seit vier Jahrzehnten polarisiert er. Viele regt der Sender an, manche regt er auf.

Es begann als Verkehrswelle, doch dann schrieb man in den verwinkelten Fluren des Rundfunkgebäudes Geschichte. Deutschlands Show-Riesen, Maischberger, Gottschalk Jauch wurden hier groß.

Legändär die Duelle zwischen Gottschalk und Jauch

Und auch Jahrzehnte danach kommt ihm kaum jemand aus im Freistaat. Ob Fan oder Nichthörer: Im Taxi oder im Getränkemarkt, in der Arztpraxis oder orientierungslos am Stauende auf der A8: Irgendwann hört jeder mal diesen „Sigi”, das berühmte Verkehrsfunk-Signal. Gegen das wurde schon 1973 wegen Körperverletzung geklagt. Der Münchner Rechtsanwalt unterlag. Auch irgendwie witzig.

Das war noch vor den großen Zeiten, Später dann, von 1977 mit Unterbrechung bis 1989 war Thomas Gottschalk im Sender, mit „Pop nach acht”. Später im Duett und im Duell mit Günther Jauch („Ich bin hierher getrabt”, – „Auf dem Pferd oder hinterher?”). Fast prärevolutionär die Stimmung, als Gottschalk den Rundfunkrat als „Mischung aus Elferrat und Zentralkomitee” beschimpfte, und düster die Zeiten, als Senderchef Claus-Erich Boetzkes eine ganze Sendung kippte, weil ein Gitarrensolo seinen Grill-Nachmittag störte.
Sie feiern diese Ära, sie erinnern an die Anekdoten – Ex-Moderatorin Sandra Maischberger zum Beispiel an die erste Musiknummer nach Bekanntwerden des missglückten Papst-Attentats 1981: „Im Leben geht mancher Schuss daneben”. Oder die Story von Musikchef Boetzkes, der Billy Joel für eine Country-Sängerin hielt und der auf der CD eine bespielte Rückseite vermisste. Und Sabine Sauer erzählt gerne von ihrer Aufgabe, die Viehpreise durchzugeben: „Schweine verkehren lustlos.”

Das kommt auch heute noch gut, erst recht hier, wo erwachsene Redakteure „Fleischi” heißen, „Körbi” oder „Kauli”. Der kommentiert die Atom-Ausstiegspläne der FDP so: „Wenn wir die AKW stilllegen, warum dann nicht gleich die FDP? Doch das Problem bleibt gleich: Wohin mit dem Restmüll?”
Heute darf man das. Die Zeiten der Anrufe aus der Staatskanzlei seien vorbei, versichern die Radio-Leute. Und genau so wehren sie sich gegen den Ruf, bloß eine Gute-Laune-Fabrik zu sein, in der Scherze ausgestoßen werden wie andernorts Kekse.

„Wir behandeln ja auch die ernsten Themen”, sagt Walter Schmich, und erzählt beispielhaft von der Infosendung am Mittag. „Wir machen so etwas wie die AZ im Radio”.
Wohl kaum einer käme auf die Idee, den Senderchef „Schmichi” zu nennen, doch auch der freundliche 47-jährige kennt den Vorwurf der aufgesetzten Power-Launigkeit, die seinen Sender begegnet: Schmich antwortet mit einer Geschichte: Wir hatten immer die selben Meteorologen, immer die selben Daten. Aber seit wir ,Bayerns bester Wetterbericht’ erfanden, sind wir Marktführer beim Wetter.”

Für Vereinzelte mag der Endlos-Jingle: „Der Soundtrack Deines Leben” eine Reaktionstest sein, wie schnell man umschalten kann. Für eine wachsende Hörerzahl ist es das nicht.
Schmich sitzt in seinem großen Eckbüro und wälzt Statistiken: „Wir sind die großen Gewinner der Marktanalyse”, sagt er mit dem schön bayerisch rollenden Radio-R: Ein Plus von 120000 Hörern auf 2,7 Millionen, das macht den Chef stolz.

Die Hits bleiben kürzer im Ohr als manche Moderation

Auch den Hörer-Vorwurf: „Ihr klingt doch alle gleich,” wollte Schmich nicht auf sich sitzen lassen. „Bei uns gibt es nicht nur 500 bis 600 Songs” sagt er, Und wir wollen auch noch Bands entdecken – so wie damals Raemonn oder Claudia Koreck”. Größtes Bild in Walter Schmichs Büro ist ein überdimensioniertes Plattencover von Steely-Dan-Mastermind Donald Fagen. Jemand, der offenbar was von Musik versteht, dem glaubt man die gute Absicht.

Aber es gibt sie natürlich noch: Die BryanAdamsLadygagaBonjoviEurodisco-Sauce. Schon am Nachmittag kann man sich kaum noch an den Ohrwurm erinnern, den man bei den „Frühaufdrehern” (auch bei wiederholtem Nachdenkten eine völlig sinnfreie Wortschöpfung) gehört hat. Schon eher bleiben Moderatoren-Dialoge hängen: „Du Fleischi, wegen Typen wie Dir gibt’s Fitnessstudios nur für Frauen” – „Oh, da meld ich mich gleich an!”). Zugegeben: In diesem Umfeld wirkt ein Bericht über die Tätigkeit der Reaktorsicherheitskommission nicht mehr ganz so bedrohlich.

In der nächsten Frühaufdreher-Sendung soll es um Hautkrebs gehen, um kostenlose Screening-Tests für Leute ab 35. „Das wissen die meisten nicht”, sagt Redakteur Matthias Engel. Dass der Frühling kommt, das wissen Bayern- 3-Hörer ganz sicher: „Lichtschutzfaktor 35”, posaunt Matuschik. „Es wird 25 Grad. Und für unsere RTL-Fans: 25 ist eine fünf mit einer zwei davor.” Keinem in Bayern hören sie abends zwischen 20 und 22 Uhr mehr zu als ihm.

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