Immer noch Schulfreunde – und das seit 70 Jahren

Kurz nach dem Krieg haben sie zusammen den Schulabschluss gemacht: Seither treffen sich die ehemaligen Klassenkameraden der Winthirschule. In der AZ erinnern sie sich (nicht nur) an damals.
von  Daniel von Loeper
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München - München war zerstört vom Krieg, die Menschen waren arm, Schuhsohlen aus Pappe. In dieser umbruchreichen Zeit haben sie sich kennengelernt: die Schüler der Winthirschule in Neuhausen. Vor 70 Jahren haben sie gemeinsam die achte Klasse abgeschlossen – und damit die Schule beendet.

Seither treffen sie sich einmal im Jahr zum Stammtisch. Seit einigen Jahren im Ratskeller. Die AZ war bei ihrem jüngsten Treffen dabei und hat nachgefragt, wie es so war damals, welche Erinnerungen die Schüler von damals noch heute prägen – und natürlich, was aus ihnen später geworden ist.

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Werner Eger (83): "Die schwere Zeit hat zusammengeschweißt. Wir waren größtenteils aus Arbeiterfamilien. Ich bin mit meinem Vater zum Hamstern zum Bauern gegangen – dann haben wir getauscht und teils gebettelt um etwas Mehl, Butter, Eier. Es war eine ärmliche Zeit. Wir hatten Schuhe mit Pappsohlen. Doch wir haben überlebt. Die Jugend war trotzdem schön. Man musste sich zwangsläufig gegenseitig helfen. Beruflich war ich Frachtbetriebsleiter bei der Lufthansa. Und ich bin mittlerweile 59 Jahre mit meiner Frau Lisa verheiratet. Wir hatten uns 1958 bei der Münchner 800-Jahr-Feier mit Fackelzug kennengelernt. Wie es uns gelungen ist, so lange zusammen zu bleiben? Meine Erfahrung ist: Es muss immer ein bisserl Spannung da sein – und wenn es mal blitzt und ein Gewitter gibt, dann ist das auch in Ordnung."

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Ludwig Stemmer: "Wir hatten super Glück in der Schule mit unserem Lehrer Franz Trenner – er hat uns Buben sehr gut betreut. Wir konnten neben Vermittlung von Wissen auch kulturelle Betreuung genießen. So haben wir Jazz-Konzerte am Bahnhof miterlebt. Die Jobaussichten waren jedoch mies. Ich bin noch in eine weiterbildende Schule gegangen. Doch den Kontakt zu meinen Schulspezies habe ich nie verloren. Ich lernte Zimmermann und bin später Spediteur geworden. Als Buben waren wir beim Zelten am Starnberger See und am Ammersee. Dabei war ich das Gespött der Gruppe, weil ich von meinem Vater durchsichtige Netzunterhosen getragen habe. Wir hatten früher kaum etwas zum Anziehen. Unseren Stammtisch haben wir mittlerweile jährlich im Ratskeller. Ich esse dort am liebsten Milzwurst mit gemischtem Salat. Natürlich unterhalten wir uns dann auch über unsere Frauen. Die meisten sagen zu ihrer Frau Kätzchen oder Schätzchen – doch ich bezeichne meine Frau Marie-Louise als meinen Haustiger. Wir beide teilen gleiche Interessen – das ist die Basis für eine dauerhafte Beziehung. Außerdem bin ich ganz gut im Kochen – und bereite ihr beispielsweise gerne eine Wildpastete zu."

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Georg Breit (85): "Ich bin der Älteste der Gruppe. Wir waren eine Rasselbande und haben viel miteinander gerauft und liebten das Abenteuer. In der Zeit nach dem Krieg spielte man mit allem, was da war. Und man musste sich durchsetzen.
Am meisten bewegt hat mich in meiner Jugend das Streben nach Vorwärtskommen – ich wollte eben auch noch was anderes essen als Kartoffeln. Ich habe später als Elektromeister gearbeitet und machte schon mit 16 Jahren meinen Führerschein. Mich haben Autos und Technik schon immer fasziniert."

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Heinrich Landstorfer (84): "Ich habe die Jugendzeit als sehr einfach erlebt – keiner hatte etwas. Dann kam der Krieg. Doch wir waren dennoch zufrieden und hatten unseren Spaß. Ich war in der Volksschule und habe dann Herren- und Damenschneider gelernt. Wir hatten einen starken Zusammenhalt. Es ging ums Überleben. Brot und Schuhsohlen habe ich vom Militär geholt. Wir haben nie gehungert – irgendwie ging es schon. Wir sind damals in Neuhausen aufgewachsen. Mittlerweile lebe ich am Westkreuz in Pasing. Als Bursche habe ich viel Sport gemacht – über 50 Jahre Judo und acht Jahre Musado – eine koreanische Kampfsportart. Vor fünf Jahren wurde ich Weltmeister im Musado. Und auch heute trainiere ich noch einmal die Woche Kampfsport. Doch das einschneidenste Erlebnis war für mich, als ich mir in meiner Jugend eine Vespa zugelegt habe: Ich wollte mobil sein und gefragt bei den Hasen."

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