Immer mehr Beweise belasten den Onkel
Die Spurenauswertung bringt immer neue belastende Indizien im Mordfall Chiara und Sharon.
München - Sein genetischer Fingerabdruck am Tatort, Kratzwunden an der Hand dazu Speichelspuren und Hautschuppen - die Liste der Indizien, die Thomas S. belastet wird immer länger. Trotzdem hüllt sich der 50-jährige Postbote weiterhin in Schweigen. Sein Verteidiger will abwarten, bis die Auswertung der Spurenanalyse abgeschlossen ist. „Wir sind fast fertig“, erklärte ein Polizeisprecher.
Die Staatsanwaltschaft München wollte am Freitag nicht bestätigen, wie weit die Auswertung der sichergestellten DNA-Spuren im Doppel-Mordfall von Krailling inzwischen fortgeschritten ist. Berichte über neue DNA-Spuren dementierte der Sprecher der Staatsanwaltschaft München II, Ken Heidenreich.
Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen und dem Befund der Gerichtsmedizin muss sich zumindest eines der Mädchen heftig gegen den Täter gewehrt haben. Darauf deuten die Verletzungen hin. Auch der Angreifer erlitt Verletzungen, offenbar Abschürfungen und Kratzer. Der Soko Margarete ist es gelungen DNA-Spuren sicherzustellen, Blut, Speichel, Hautschuppen. Auch DNA des tatverdächtigen Onkels wurde sichergestellt. Man habe tatrelevante Spuren, heißt es bei den Ermittlungsbehörden. Polizei und Staatsanwaltschaft bekräftigten auch am Freitag erneut, dass der in U-Haft sitzende Onkel als dringend tatverdächtig einzustufen ist.
Hinweise auf einen zweiten Täter wurden auch nach zweiwöchigen, intensiven Ermittlungen noch nicht gefunden. Berichte, wonach die Ehefrau von Thmoas S. von den Mordplänen ihres Mannes gewusst haben könnte, bestätigten sich nicht. Nach Auskunfgt der Polizei steht sie nicht in Verbindung mit dem Verbrechen.
Thomas S. sitzt unterdessen in Stadelheim in U-Haft. Er verweigert weiter jede Aussage. Sein Mandant werde kein Geständnis ablegen, betont Rechtsanwalt Karl Peter Lachniet. Der Verteidiger will abwarten, bis die Auswertung der Spurenanalyse abgeschlossen ist. Bisher liegen ihm noch nicht die vollständigen Ermittlungsunterlagen vor. Erst wenn dies der Fall ist, will Lachniet entscheiden, ob er einen Haftprüfungstermin beantragt.
So leidet die Familie des Verdächtigen
Christian Lüdke ist Kriminalpsychologe und Trauma-Experte, ein Spezialist für Kinder und Jugendpsychiatrie.
Herr Lüdke, der mutmaßliche Mörder Thomas S. hat selbst vier Kinder. Wie werden die auf die Nachricht reagieren, dass ihr Vater womöglich ein Mörder ist?
DR. CHRISTIAN LÜDKE: Das kommt sehr drauf an, wie vorsichtig oder stark konfrontativ ihnen diese Nachricht übermittelt wurde. Es kann sein, dass sie zunächst überhaupt keine Reaktionen zeigen und in eine gefühlsmäßige Vollnarkose verfallen. Die Trauma-Symptome zeigen sich dann oft Tage oder Wochen später: Sie verstummen plötzlich. Reden nicht mehr. Ziehen sich total in sich zurück. Oder sie werden aggressiv.
Welche psychosomatischen Folgen kann es geben?
DR. CHRISTIAN LÜDKE: Starke Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Übelkeitsgefühle. Schlimm sind auch plötzliche Ängste davor, allein zu sein – weil die Kinder die Taten des Vaters plötzlich auf sich übertragen.
Sie fühlen sich nachträglich vom Vater bedroht?
DR. CHRISTIAN LÜDKE: Da kommt der Gedanke auf: Er hätte uns ja auch töten können. Und, vielleicht noch schlimmer: Macht Mama vielleicht auch so etwas?
Könnten die Kinder Schuldgefühle entwickeln?
DR. CHRISTIAN LÜDKE: Das passiert oft, ja. Sie machen sich Vorwürfe wie: Wäre ich nicht krank geworden oder wäre ich ein lieberes Kind gewesen, wäre das alles nicht passiert.
Welche Hilfe brauchen diese Kinder jetzt?
DR. CHRISTIAN LÜDKE: Man muss ihnen ganz deutlich sagen, dass sie überhaupt nichts dafür können – dass all das, was passiert ist, nichts mit ihnen zu tun hat. Sie brauchen diese Entlastung unbedingt. Der Alltag sollte möglichst schnell weitergehen.
Alltag im selben Umfeld, in der selben Schule, im gewohnten Haus in Peißenberg?
DR. CHRISTIAN LÜDKE: Unbedingt sogar. Wenn man sie jetzt aus ihrem normalen Umfeld reißt, würde man sie ja wie Täter behandeln. Als seien sie böse und müssten jetzt weg aus ihrem Dorf. Das wäre wie ein Stigma: Sie würden sich ja geächtet und vertrieben fühlen.
Auch die Peißenberger Nachbarn stehen unter Schock.
DR. CHRISTIAN LÜDKE: Sicherlich. Das grundlegende Vertrauensgefühl im Ort ist total erschüttert. Einige werden Schuldgefühle haben und sich fragen: Hätte ich das verhindern können? Aber: Eine solche Tat kann man nicht verhindern. Niemand hätte das gekonnt. Der Täter hat sein Vorhaben sicherlich nicht offen angekündigt. Und Fantasien eines Menschen kann niemand sehen