Immer auf das Schlimmste gefasst

Ihr Spezialgebiet sind Strahlen, Biowaffen und chemische Kampfstoffe: Die Feuerwehrmänner von der Analytischen Task Force (ATF) und ihre „Wunderwaffen”
Natalie Kettinger |
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Fertig für den gefährlichen Einsatz: ein Feuerwehrmann mit Maske, Overall und Gefahrstoffdetektor.
Staffler Fertig für den gefährlichen Einsatz: ein Feuerwehrmann mit Maske, Overall und Gefahrstoffdetektor.

MÜNCHEN Radioaktive Strahlung, biologische Kampfstoffe, chemische Gifte – Björn Maiworm und seine Kollegen sind auf das Schlimmste vorbereitet. Die Männer gehören zur Analytischen Task Force (ATF) der Münchner Feuerwehr, einer High-Tech-Truppe, die seit Juli 2010 im Einsatz ist. Ihr Auftrag: die Identifikation unbekannter, oft unsichtbarer und im Extremfall tödlicher Substanzen.

„Einen normalen Chemie-Unfall hat die Feuerwehr eigentlich im Griff”, sagt Björn Maiworm. „Allerdings gab es früher ein großes Problem: Die Analytik war langwierig. Es mussten Proben genommen, an externe Labore geschickt und die Ergebnisse abgewartet werden.” Eigene Test-Möglichkeiten hatte nur die Bundeswehr. Der Sarin-Anschlag auf die Tokioter U-Bahn 1995 und die Antrax-Attacken nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 waren Auslöser dafür, diesen Zustand zu ändern.

An sieben Standorten wurden ATF-Spezialeinheiten aufgebaut, das Einsatzgebiet jedes Teams erstreckt sich auf einen Umkreis von 200 Kilometern. Allein die Ausstattung der Münchner Truppe ließ sich der Bund eine Million Euro kosten, außerdem kommt er für den Unterhalt der Gerätschaften jährlich mit 50000 bis 70000 Euro auf. Zum Basis-Equipment gehört ein oranger Schutzanzug aus Spezialkunststoff und ein Metallkoffer mit Messinstrumenten: das Film-Dosimeter wird mit einem Klipp am Overall befestigt und dokumentiert, welcher radioaktiver Strahlung der Träger ausgesetzt war. Das Alarm-Dosimeter fängt lautstark an zu piepen, wenn der Grenzwert für „normale Einsätze” von 15 Millisievert pro Stunde überschritten wird. Zur „Abwehr von Katastrophen” wie jetzt in Fukushima wird diese Marke auch in Deutschland auf 100 Millisievert pro Stunde angehoben, zur „Rettung von Menschenleben” sind gar 250 Millisievert erlaubt

. „Katastrophen-Dosis” nennen Experten diesen Wert. Bislang ist die Münchner ATF erst zu einem A-Einsatz gerufen worden: zum Transport eines krebskranken Kindes, das im Sterben lag. Gegen die Schmerzen hatten die Ärzte ihm radioaktives Jod 131 gespritzt. Sein kleiner Körper strahlte noch in einem Meter Entfernung. Björn Maiworm und seine Kollegen sollten die Kontamination des Krankenwagens überprüfen. Als sie sich die Trage vornahmen, auf der das Kind gelegen hatte, knatterten ihre Messgeräte.

„Der Wert lag um ein Zehnfaches oberhalb der Freigrenze. Aber Jod 131 hat eine relativ kurze Halbwertszeit von acht Tagen. Deshalb haben wir den Krankenpflegern den Tipp gegeben, das Ding einfach vier Wochen in den Keller zu stellen.” Schutzanzug und Dosimeter finden sich auf jedem Löschzug – genau wie zwei Geräte, die vor Chlor, Blausäure, Ammoniak, Kohlenmonoxyd und Nitrose-Gasen warnen.

Die Analytische Task Force besitzt noch weitere „Wunderwaffen”: das Gas-Chromatograph-Massenspektrometer zum Beispiel, „unsere chemische Allzweckwaffe”, wie Björn Maiworm sagt. Die Maschine, die auf den ersten Blick an einen Industrie-Staubsauger erinnert, kennt 700000 chemische Stoffe und analysiert eine Probe in nur 20 Minuten. Noch schneller ist „Hazmat”, ebenfalls ein Spektrometer: Innerhalb von Sekunden erkennt er Nerven- und Kampfstoffe, Explosives, sogar Rauschgift. Nur bei Salzen muss Hazmat passen. Abgerufen werden diese Daten im Ernstfall von den 60Messtechnikern, die zur ATF gehören. Für ihre Deutung sind 15 Auswerter zuständig, die alle einen wissenschaftlichen Hintergrund haben.

„Bei uns gibt es Chemiker, Physiker und einen Geologen”, sagt Björn Maiworm. Er selbst hat Physik studiert. Auch für den Fall, dass die Mannschaft die Eigenschaften einer Substanz mal nicht parat hat, ist gesorgt: Ihr Einsatzleitwagen ist mit PCs, Laptop und Internet-Zugang ausgerüstet – und mit einer Gefahrstoff-Datenbank. Ein Mausklick und auf dem Bildschirm erscheinen die möglichen Risiken für Mensch und Umwelt, Giftigkeit, Brennbarkeit und denkbare Abwehrmaßnahmen. Einrichtungen, von denen Risiken ausgehen könnten, sind registriert: Jede Klinik und jede Arztpraxis in München, in der mit Radioaktivität gearbeitet wird, jedes Labor in dem mit gefährlichen Erregern oder Chemikalien hantiert wird.

Trotzdem erleben die ATF-Experten immer wieder Überraschungen. Vergangenes Jahr etwa, als sie mit „Sigis” über die Wiesn wachten. Das Fernerkundungssystem identifiziert Schadstoffwolken in der Luft mit einer Infrarotkamera, selbst wenn sie fünf Kilometer weit weg sind. Auf einem Bildschirm erscheinen dann an der betroffenen Stelle blinkende rote Quadrate. An einem besonders schönen Oktoberfest-Tag leuchteten die Vierecke plötzlich über der Wirtsbudenstraße. Die ATF-Wächter wurden erst blass und brachen dann in Gelächter aus: Sigis schlug Alarm, weil die Ausdünstungen der Bierzelt-Besucher zu einem erhöhten Ethanolwert in der Luft geführt hatten.

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