Immer Ärger mit den Helden

Sommertheater im Englischen Garten: George Bernhard Shaws selten gespieltes „Helden“-Stück ist zurzeit jedes Wochenende im Amphitheater zu bewundern. Für die Münchner Sommertheater-Inszenierung zeichnet Ulrike Dissmann verantwortlich.
Wir schreiben das Jahr 1885. Es herrscht Krieg zwischen Serbien und Bulgarien. Nach einer verlorenen Schlacht befinden sich viele Serben auf der Flucht, darunter der ganz und gar unpatriotische Schweizer Berufssoldat Bluntschli. Mitten in der Nacht verschlägt es ihn in das Schlafzimmer der jungen Bulgarin Raina. Der erste Schock legt sich, als ihr der kühle Realist erklärt, dass er anstatt Patronen, Pralinen in seiner Munitionstasche trägt. Hilfsbereit gewährt ihm Rania Unterschlupf. Doch als ihr Verlobter, der Kriegsheld Saranof nach Hause kommt, gerät die junge Frau in Erklärungsnot.
George Bernhard Shaws selten gespieltes „Helden“-Stück ist zurzeit jedes Wochenende im Amphitheater des Englischen Gartens zu bewundern. Für die Münchner Sommertheater-Inszenierung zeichnet Ulrike Dissmann verantwortlich. Für Dissmann schließt sich damit ein Kreis, denn bereits 1990 brachte sie mit einfachsten Mitteln und viel Eigenkapital eine Shaw-Komödie („Pygmalion“) zur Amphitheater-Aufführung.
Vieles hat sich in der Zwischenzeit getan. Im Zentrum jeder Produktion stehen jetzt ihre eigenkomponierten Songs: „Wir entwickeln die Lieder während der Probenarbeit. Ich singe auf Kassette und gebe sie dann unserem musikalischen Hochtalent Ramon Bessel. Für mich bilden die Songs die Brücke in die Gegenwart. Sie bereiten aber auch die Pointen vor.“ Im Gegensatz zu früher ist das Theater auf eine Spielfläche von drei mal vier Metern angewiesen: „Vor fünf Jahren setzte sich eine Dame mit Hund in die Mittelgasse, wo wir auftreten. Der Hund riss sich los und griff die Schauspieler an. Wir können das nicht verhindern, und der grüne Teppich, den wir jetzt auslegen bedeutet: hier nicht.“ Not macht erfinderisch. Statt spektakulärem Bewegungstheater stehen Sprache und Kostüme im Mittelpunkt der Inszenierungen.
Gleich geblieben ist jedoch die Liebe zur klassischen Komödie. „Diese Stücke haben sich bewährt. Ganz nach dem Sprichwort: die Banalität des Aktuellen. Wen interessieren in fünf Jahren denn noch die Vaginamonologe.“ Moderne, provokative Inszenierungen sind nicht ihre Sache: „Mich langweilen Videoinstallationen auf der Bühne. Ich brauche dort auch keinen nackten Mann – und wie masturbieren geht, weiß ich. Zu uns kommen deshalb auch viele Leute, die sonst nicht mehr ins Theater gehen.“ Mit Nachdruck verweist sie darauf, dass ihr Sommertheater für Werktreue steht: „Ein gutes Stück braucht keinen Regisseur, der noch etwas hinzufügt . Deswegen übersetze ich alle Stücke nochmal neu, um die alten, häufig fehlerhaften Übersetzungen zu korrigieren.“
Dissmanns konzentrierte, detailversessene Arbeit überträgt sich auf den Umgang mit den Schauspielern: „Ulrikes Arbeitsweise hat mich an das Sommertheater gebunden. Nur hier werde ich in meinen Möglichkeiten und Grenzen gesehen“, pflichtet Ensemblemitglied Sebastian Korp bei. Geschenkt wird einem in der Schauspielausbildung (das Casting läuft von Januar bis Ende März) nichts: „Natürlich ist das Theater auch eine Form der Diktatur. Ich kann ja auch nicht zu Sir Simon Rattle gehen und sagen: ich will die Stelle langsamer spielen.“
2009 plant Dissmann eine Aufführung von Shakespeares „Wie es euch gefällt“ – „falls mich nicht der Blitz erschlägt“.
Florian Koch