"Im Hinterhof erschossen" - Morddrohungen gegen Flüchtlingsrat

Am Max-Joseph-Platz demonstrieren viele Münchner gegen die CSU-Asylpolitik. Die Organisatoren sind massiv bedroht worden. Der Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrates im AZ-Interview.
von  Natalie Kettinger
„Es war uns wichtig, klar zu zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind“: Die Demonstranten gestern Abend vor der Oper. Matthias Weinzierl (kleines Bild): „Uns wurde angedroht, dass wir im Hinterhof erschossen werden“
„Es war uns wichtig, klar zu zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind“: Die Demonstranten gestern Abend vor der Oper. Matthias Weinzierl (kleines Bild): „Uns wurde angedroht, dass wir im Hinterhof erschossen werden“ © Kettinger

Altstadt - Tausende Münchner haben gestern vor der Oper gegen den rigiden Kurs der CSU in der Asylpolitik demonstriert. Unterstützt wurden sie dabei von Musikern, Kabarettisten, Schriftstellern, Parteien und Verbänden. Die AZ hat mit einem der Veranstalter, dem Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrates, Matthias Weinzierl, gesprochen.

AZ: Herr Weinzierl, im Winter hat „Bellevue di Monaco“ mehrmals erfolgreich zu Kundgebungen für Toleranz und Weltoffenheit aufgerufen. Dann wurde es plötzlich still um das Bündnis. Was war los?

MATTHIAS WEINZIERL: Wir haben die letzten Monate darum gebangt, dass unser Flüchtlingsprojekt in der Müllerstraße vorangeht. Wir mussten etliche Male nachfragen. Da waren unsere Kräfte gebunden.

Nun haben Sie die Münchner doch wieder auf die Straße gerufen – warum?

In den letzten Wochen wurden sehr populistische Töne angeschlagen. Gleichzeitig wird fast täglich berichtet, dass es einen Brandanschlag auf eine Unterkunft gegeben hat, dass Leute wie bei Kitzingen gegen Flüchtlings-Unterkünfte auf die Straße gehen. Wir haben das Gefühl, dass das Ganze aus dem Ruder läuft und dass es wichtig wäre, dazu eine laut vernehmbare Gegenstimme zu formulieren. Es findet eine stetige Vergiftung des Klimas statt, und das halten wir für sehr gefährlich. Als jemand, der seit den 1990er Jahren Flüchtlingsarbeit macht, hat man ein bisschen das Gefühl, aus einem bösen Traum aufzuwachen – und wieder in diese Zeiten zurückkatapultiert worden zu sein.

Sie haben sich im Aufruf zur Demo erstmals direkt an Personen gewandt: „Seehofer, Scheuer, Söder und Hermann – hört auf zu zündeln!“

Es war uns wichtig, klar zu zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind. Diese Pauschalisierung, die gerade in großem Maße stattfindet, ist keinesfalls hinzunehmen – diese Geschichte mit den Abschiebelagern in Grenznähe; und diese Äußerungen, dass es sich bei allen Flüchtlingen aus dem Westbalkan um Sozialschmarotzer handelt, die kann man nicht unkommentiert stehenlassen, weil sie nichts mit der Realität zu tun haben.

Wie sieht die aus?

Es gibt in diesen Ländern eine große Gruppe – die Roma –, die massiv diskriminiert wird. Da darf man nicht einfach darüberhinweggehen. Natürlich sind unter den Leuten vom Westbalkan auch viele, die im Asylverfahren nicht gut aufgehoben sind. Aber man muss sich darüber klar sein, dass in diesen Regionen eine große Perspektivlosigkeit herrscht und viele Menschen nicht wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen. In Deutschland haben wir währenddessen einen Fachkräftemangel. Das ist doch verrückt! Im Kosovo liegt die Arbeitslosenquote bei über 70 Prozent. Aber allein um einen Termin bei der deutschen Botschaft in Prishtina zu bekommen, muss man vier Monate warten. Da muss die Politik reagieren.

Wie?

Es muss für diesen Personenkreis eine Möglichkeit geben, ein Arbeitsvisum zu bekommen. Das hat ja auch Herr Kretschmann (grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, d. Red.) gefordert. Wer in diesem Bereich allerdings einfache Lösungen propagiert, pauschalisiert und Stimmung macht, trägt die Mitverantwortung, wenn wir einen Stimmungsumschwung bekommen.

Spüren Sie diesen Stimmungsumschwung persönlich?

Jedes Mal, wenn solche populistischen Äußerungen fallen, laufen bei uns vom Flüchtlingsrat die Postfächer voll mit Pöbeleien. Am Wochenende waren sogar Mordrohungen dabei. Das macht schon Angst. Deshalb haben wir die Polizei eingeschaltet.

Von wem kamen die Mails?

In der Regel sind die anonym. Diesmal wurde uns angedroht, dass wir in den Hinterhof geführt und mit verbundenen Augen erschossen werden, dass man uns permanent die Schnauze polieren sollte und ähnliches. Unschön. Aber ich glaube nicht, dass wir die einzigen sind, die solche Mails bekommen. Wenn die Realpolitik vereinfacht und polemisiert, dann ist das immer ein Freibrief für diejenigen, die sich sonst nicht trauen würden, ihre menschenverachtende Meinung zu verbreiten. Die fühlen sich dann bestätigt.

Zurück zum Anfang: Die Ausschreibung zum Flüchtlingsprojekt in der Müllerstraße, um das sich das Bündnis Bellevue di Monaco bewerben will, ist am Mittwoch ein Thema im Stadtrat.

Wir hätten uns das schon sehr viel früher gewünscht, weil wir lieber heute als morgen mit dem Projekt anfangen würden. Aber jetzt stellen wir uns der Ausschreibung – und hoffen, dass wir eine Chance haben. So ist das halt: warten, sich vorbereiten, Unterstützer sammeln.

Wie groß ist die Genossenschaft denn mittlerweile?

Wir haben bereits über 200 Genossinnen und Genossen, aber es wurden deutlich mehr Anteile gezeichnet. Es dürften derzeit um die 300 sein. Ein Anteil kostet 500 Euro – da ist auf der Haben-Seite schon was vorhanden.

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