Ihr Haus wird verkauft - an den Meistbietenden

Bisher gehörte die Neuhauser Wohnanlage einer Genossenschaft  – was nun auf die Bewohner zukommt, weiß keiner von ihnen
von  Julia Lenders
Ein grüner Innenhof mitten in Neuhausen: Hier sind Irene und Franz Schuder zuhause. Zu gerne wüssten sie, was auf sie zukommt – jetzt, wo die Anlage verkauft wird.
Ein grüner Innenhof mitten in Neuhausen: Hier sind Irene und Franz Schuder zuhause. Zu gerne wüssten sie, was auf sie zukommt – jetzt, wo die Anlage verkauft wird. © Feindt

Bisher gehörte die Neuhauser Wohnanlage einer Genossenschaft – was nun auf die Bewohner zukommt, weiß keiner von ihnen.

MÜNCHEN Irene Schuder lebt schon fast ihr ganzes Leben in der gemütlichen 80-Quadratmeter-Wohnung. Sie war ein kleines Schulmädl, als ihre Eltern im Jahr 1939 in das Haus an der Renatastraße zogen. Jetzt, mit fast 80 Jahren, macht sie sich große Sorgen um ihr Zuhause. Denn das Gebäude, in dem Irene Schuder wohnt, wird gerade verkauft. Was das für die Haus-Bewohner bedeutet? Ungewiss.

Bis voriges Jahr gehörte die Neuhauser Anlage der „Baugenossenschaft München-West des Eisenbahnpersonals”. Der Grund aber, auf dem die 48 Wohnungen stehen, war nie ihr Eigentum. Für den hatte die Genossenschaft nur das Erbbaurecht erhalten – und zwar von der Bundeseisenbahnvermögen-Behörde. Ein weit verbreitetes Konstrukt. Doch jetzt lief der Vertrag aus.

Kurz zuvor hatte die Genossenschaft noch versucht, das Anwesen zu kaufen. Das Bundeseisenbahnvermögen nannte einen Preis. „Aber dann war das dem Finanzministerium zu wenig”, berichtet der Genossenschaftsvorstand Reiner Zander. Das übergeordnete Ministerium muss nämlich ab einer bestimmten Größenordnung seinen Segen geben.

Aus dem Deal wurde nichts – stattdessen gab’s eine Ausschreibung. Jetzt soll die Immobilie an den Meistbietenden verkauft werden. Verhandlungsbasis: 10,3 Millionen.

„Wir hängen praktisch in der Luft”, sagt Irene Schuder. Ihr Opa war ein Bahner, ihr Vater war ein Bahner. Und ihr Bruder brachte es zum Oberbetriebsinspektor. „Das hier ist mein Zuhause”, sagt sie, während sie mit ihrem Mann Franz auf dem Balkon unter ihrer geblümten Markise sitzt. Im Blumenkasten steckt eine goldene Kugel. Eine kleine Wohlfühl-Oase. 778 Euro Warmmiete bezahlen die beiden. „Wir haben Sorge, dass es teuriger wird”, sagt Franz.

Auch die Genossenschaft bietet mit. Vorstand Zander ist zuversichtlich: „Es schaut gut aus.” Letztlich hänge aber alles am Finanzministerium. „Das Problem ist, dass der Bund mit dem Wohnungsbestand spekulativ tätig ist”, ärgert er sich. Die sähen da keine soziale Verantwortung.

Das, was gerade mit dem Anwesen in der Renatastraße und am benachbarten Schäringerplatz geschieht, ist kein Einzelfall. Allein die „Baugenossenschaft München-West des Eisenbahnpersonals” hat noch rund 800 Wohnungen in ihrem Bestand, für die das Erbbaurecht auslaufen wird. Zum Teil dauert das noch bis zum Jahr 2060. Doch egal, wann es so weit ist: Jedes Mal müssen die Bewohner bangen. Weil die Objekte versilbert werden.

Die AZ hat beim Bundeseisenbahnvermögen angefragt: Wie viele Erbbaurechtsverträge insgesamt laufen in Zukunft aus? „Ganz viele”, lautet die pauschale Antwort vom zuständigen Referatsleiters Andreas Marciniak. Er erklärt: Wenn die Genossenschaft aus München beim jetzigen Bieterverfahren ausgestochen wird, hat sie noch eine letzte Möglichkeit. Wenn sie nämlich das Höchstgebot eines anderen Investors übernimmt, bekommt sie den Zuschlag – und nicht derjenige, der zuerst am meisten geboten hatte.

Und wenn sie das nicht kann und sich stattdessen irgendein Großunternehmen durchsetzt? „Der Erwerber wird das Optimum für sich rausholen”, weiß man auch beim Bundeseisenbahnvermögen in Bonn. Einflussmöglichkeiten habe man trotzdem keine. „Die Bundeshaushaltsordnung sieht auch für uns vor, das wir Vermögensgegenstände zum vollen Wert veräußern”, sagt Marciniak. Und der volle Wert – das ist das, was der Münchner Markt hergibt. Etwas gedrechselt fügt der Referatsleiter hinzu: Es gebe keine gesetzlichen Vorgaben, „die soziale Gesichtspunkte in der Frage möglich machen würden”.

Brigitte Limbrunner (63) hat ihre Wohnung in der Anlage erst seit drei Jahren. „Wenn ich gewusst hätte, dass sie verkauft wird, wäre ich nie und nimmer eingezogen”, sagt sie. Man wisse ja, was passiere, wenn die einschlägigen Firmen das Anwesen aufkaufen. „Jeder hier macht sich Gedanken.”

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