Idee für Verkehrswende in München: Keine Autos, dafür XXL-Straße für Radler und Fußgänger?

Oslo, Kopenhagen, Florenz – so packen andere europäische Städte die Verkehrswende an und sehen gut dabei aus. München kann sich daran ein Beispiel nehmen, findet ein Verkehrsexperte.
von  Christina Hertel
In Oslo nutzen auch Händler die Parkplätze als Auslage für ihre Waren. Außerdem werden dort die Parklets, wie die Möbel auch in München heißen, aufwendiger bepflanzt als hier.
In Oslo nutzen auch Händler die Parkplätze als Auslage für ihre Waren. Außerdem werden dort die Parklets, wie die Möbel auch in München heißen, aufwendiger bepflanzt als hier. © TUM

München - Theoretisch finden wohl fast alle folgende Vorstellung gut: Wenn es mehr Grün in der Stadt gäbe und weniger Blech, wenn die Menschen mehr Platz hätten, um sich auf öffentlichen Plätzen auszuruhen, zu ratschen, sich zu treffen. Wenn die Vorstellung aber Realität werden soll, siegen bei vielen die Bedenken. Wo sollen die Menschen parken? Stecken dann alle im Stau fest?

Marco Kellhammer, der am Lehrstuhl für Urban Design der TU München arbeitet, hat sich Verkehrsprojekte in Europa angesehen und für die AZ drei herausgesucht, von denen München etwas lernen kann. Festhalten will er vorher aber eines: Eins zu eins übertragen lassen sich die Projekte auf München freilich nicht. Sie könnten eher als Inspiration dienen.

Fahrzeugverkehr reduzieren: In Olso ist alles diesem Ziel untergeordnet

Als erstes Beispiel fällt Kellhamer Oslo ein. Die norwegische Hauptstadt hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden. Ein kleines Paradox, schließlich verdient Norwegen sein Geld vor allem durch den Verkauf von Öl und Gas. Zuhause setzt Norwegen auf erneuerbare Energien. Auf den Straßen fahren praktisch nur noch Elektro-Autos. Schon ab 2025 sollen gar keine Verbrenner mehr zugelassen werden.

Oslo hat eine größere Strategie beschlossen, sagt Kellhammer. Und in diesem Kontext hat sich die Stadt Projekte ausgedacht, die alle ein Ziel haben: den Fahrzeugverkehr möglichst zu reduzieren. Zum Beispiel in dem ehemaligen Arbeiterviertel Grünerløkka, das als eines der angesagtesten der Stadt gilt. Dort sind Kneipen, Clubs, kleine Läden für Designerstücke, aber auch Secondhand-Mode.

Beispiel Oslo: Die Tram, Radfahrer und Fußgänger teilen sich die Straße

"In einer Straße teilt sich die Tram den Platz mit Radlern und Fußgängern", sagt Kellhammer. Autos dürfen – bis auf Taxis – nicht mehr reinfahren. So ist die Straße zu einer Flaniermeile geworden und gut angebunden sind die Menschen trotzdem. Diese Straße in Oslo sei mit der Ohlmüllerstraße in München vergleichbar, sagt Kellhammer. Das ist die Straße, die in der Au zur Reichenbachbrücke führt. Hier fahren die Tram, aber auch Autos. Und die Atmosphäre sei dadurch stressiger als in Olso.

In Oslo teilen sich Trambahn, Passanten und Radler bestimmte Straßen.
In Oslo teilen sich Trambahn, Passanten und Radler bestimmte Straßen. © TUM

Grundsätzlich sei es auch in München möglich, durch eine Fußgängerzone eine Trambahn fahren zu lassen, glaubt Kellhammer. "Denn in der Altstadt bei der Theatinerstraße ist das ja bereits der Fall." Widerstände habe auch die grüne Stadtregierung in Oslo erlebt, sagt Kellhammer. "Aber grundsätzlich haben sich die Osloer mit den Plänen identifiziert."

Die Straße in Oslo gefällt, weil das Mobiliar hochwertig ist, das die Stadt ausgewählt hat

Ein Grund dafür könnte sein, dass die Stadt auch für temporäre Projekte recht hochwertiges Stadtmobiliar entwickelt hat, das von April bis Oktober stehenbleibt. Also nicht nur während der Sommermonate wie in München.

In die Möbel sind zum Teil Pflanzkästen integriert, in denen sogar kleine Bäume wachsen. Die Händler seien auch überzeugt worden, die Parkplätze vor ihren Geschäften aufzugeben, erzählt Kellhammer. Sie dürfen nämlich die Flächen für ihre Marktstände mit nutzen. "Ein Gemüsehändler, den ich getroffen habe, war ganz stolz darauf, dass er jetzt ganz andere Kunden anzieht, die sich früher nicht in seinen Laden getraut haben", sagt Kellhammer.

Oslo hat Geld in öffentliche Möbel gesteckt.
Oslo hat Geld in öffentliche Möbel gesteckt. © TUM

Er hat bei seinem Besuch auch herausgefunden, dass solche Projekte viel besser angenommen werden, wenn sie ganz genau auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohner und Händler zugeschnitten sind.

Vorbild Italien: Wo nur Anwohner bestimmte Straßen benutzen dürfen

Vielleicht haben Sie sich im Italien-Urlaub auch schon mal kurz über dieses Schild geärgert: "zona traffico limitato" steht darauf. Das ist eine begrenzte Verkehrszone, in die ausschließlich Fahrzeuge mit einer Sondergenehmigung einfahren dürfen. Für Touristen ist damit die Zufahrt in der Regel verboten.

In Italien darf nicht jeder überall einfahren.
In Italien darf nicht jeder überall einfahren. © imago stock&people

Nur Anwohner, Lieferanten und Fahrzeuge mit Ausnahmegenehmigung dürfen reinfahren. Die Liste der italienischen Städte, wo das gilt, ist lang: Bologna, Bozen, Florenz, Genua, Mailand, Pisa, Rom und viele andere lassen nicht mehr jedes Auto in die Innenstadt oder in die historischen Viertel fahren." Vorteil dieser Zonen ist, dass Gebäude und Orte für Anwohner und Lieferdienste erreichbar sind", sagt Kellhammer.

Gleichzeitig werde Besuchs- und Publikumsverkehr draußen gehalten. Aber wäre das in München rechtlich überhaupt machbar? Ganz sicher ist sich Kellhammer da nicht. In Italien jedenfalls kontrollieren die Städte mit Überwachungskameras die Kennzeichen aller Fahrzeuge. Es wird automatisch überprüft, ob eine Einfahrtsgenehmigung für das Kennzeichen vorhanden ist. Eine ähnliche Technik will das Kreisverwaltungsreferat verwenden, um Fahrzeuge, die gegen das Dieselfahrverbot verstoßen, zu ermitteln.

Begrünte Kreisverkehre in Kopenhagen: Sicherheit oder Naturschutz?

Nächstes Beispiel, diesmal wieder in Skandinavien: Die Natur, und zwar die wilde, die Heckenscheren-freie, erobert sich Kopenhagen zurück. Zumindest an manchen Orten wie dem Sankt Kjeld's Platz. Früher stand hier kein einziger Baum, erzählt Marco Kellhammer.

Der Platz war ein autoumtoster asphaltierter Kreisverkehr. Und das schaffte Probleme: Bei starkem Regen lief oft die Kanalisation über. Sogar in den Hafen schwappte das schmutzige Wasser, dabei ist dieser normalerweise so sauber, dass man dort baden kann, so schildert es Kellhammer. "Um dieses Problem zu lösen, arbeitet die Stadt intensiv daran, dass Wasser über all versickern kann", sagt Kellhammer.

Früher stand auf diesem Platz in Kopenhagen kein Baum. Nun ist der Kreisverkehr ganz grün.
Früher stand auf diesem Platz in Kopenhagen kein Baum. Nun ist der Kreisverkehr ganz grün. © TUM

Zum Beispiel auch auf dem Sankt Kjeld's Platz. Seit 2019 ähnelt der Platz eher einem Park. 586 neue Bäume hat die Stadt gepflanzt. 25.000 Quadratmeter Straßen und Asphaltflächen, zu einem "grünen Regenwasserschutzgebiet" umgestaltet. Das Wasser kann jetzt ganz langsam in der Erde versickern. Zu Überschwemmungen komme es viel seltner, sagt Kellhamer. Das Besondere an diesem Platz sei auch, dass die Stadt die Natur sich selbst überlassen hat. Und wer hier entlang läuft, fühlt sich eher wie in einem Park als auf einer Verkehrsfläche.

Kellhammer weiß aber auch, dass die großen wuchernden Pflanzen nicht allen gefallen. Nachts, sagt er, fühlen sich manche nicht sicher. Städte müssen also abwägen, was ihnen wichtiger ist: Naturschutz oder das Sicherheitsgefühl.

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