„Ich wollte kein Terrorist werden“

München - Sami (16, Name geändert) hat vor einem Jahr noch in einem kleinen Steinhaus in der Nähe von Mogadischu in Somalia gelebt. Sein Vater ist Taxifahrer, seine Mutter Hausfrau. Sami hat drei kleinere Brüder und zwei ältere Schwestern. Vier Jahre ist er in seinem Dorf in die Schule gegangen. Dann verschwand der einzige Lehrer, den es gab – und auch der damals 15-jährige Bub musste von einem Tag auf den anderen sein Land fluchtartig verlassen. Nach einem Vierteljahr allein unterwegs durch die Wüste und übers Meer kam Sami im letzten Dezember als „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ nach München – in die Bayernkaserne. Sami spricht Somali, Englisch, ein bisschen Arabisch – und nach neun Monaten in München überraschend flüssig Deutsch. Hier erzählt er seine Geschichte:
Sie lassen uns in Ruhe, solange wir kleine Kinder sind. Aber wenn wir Buben 15 Jahre alt werden, kommen die Kämpfer von Al-Shabaab und holen uns, damit wir andere töten oder uns selbst in die Luft sprengen (Al Shabaab ist ein Terror-Ableger von Al Kaida, der in Somalia einen islamistischen Staat errichten will).
Meine Mutter hat geschrien und geweint: Was wollt ihr von meinem Sohn? Lasst ihn in Frieden! Aber sie haben Waffen, man kann sich nicht wehren. Sie haben alle meine Freunde aus meinem Fußballclub abgeholt. Jeden Einzelnen. Aber ich wollte kein Mörder werden, ich wollte nicht mit denen gehen. Also bin ich geflohen. Ich bin unter einen Lkw geklettert und versteckt bis nach Kenia gekommen. Dort fand ich einen Schlepper, der mich zusammen mit 28 Leuten in den Sudan gebracht hat. Von da ging es weiter durch die Wüste nach Libyen, mal Auto, mal zu Fuß.
Aus Libyen habe ich zum ersten Mal meine Eltern angerufen und ihnen gesagt, dass ich weggelaufen bin. Sie haben sich Geld bei den Nachbarn geliehen und es mir über eine Bank geschickt. Dann fand ich ein Boot nach Sizilien. Wir waren 82 Leute, unterwegs übers Meer, auf der Strecke, auf der so viele Flüchtlinge schon ertrunken sind. Aber ich bin heil angekommen.
In Neapel habe ich einen Zug gesucht, auf dem „München“ stand. Ich habe mich versteckt. Erst in Rosenheim, nach drei Monaten auf der Flucht, hat mich die Polizei entdeckt. Das war im Dezember. Ich hatte große Angst, was jetzt mit mir passieren wird. Aber die Polizisten waren sehr freundlich zu mir. Sie haben mir ein richtiges Ticket für die restliche Strecke nach München gekauft und mir gesagt, wie ich in die Baierbrunner Straße komme. Das war mein erstes neues Zuhause. Hier und später in der Bayernkaserne fand ich viele Jungen, die wie ich allein geflohen sind. Sieben Monate wusste ich nicht, was mit mir passieren wird. Aber alles ist besser, als ein Terrorist werden zu müssen oder als Kind zu sterben.
Vor zwei Monaten hat mein Betreuer mich in eine kleine Wohngruppe vermittelt. Ich lebe da zusammen mit elf Jugendlichen aus Somalia, Afghanistan und Benin. Vier Betreuer passen auf uns auf und helfen uns. Jetzt geht es mir gut. Ich kann dort gut schlafen, ich kann etwas lernen. Das ist ein bisschen wie eine Familie. Ich glaube wieder daran, dass es eine Zukunft für mich geben kann – auch wenn ich viel an meine Mutter, meinen Vater und meine Geschwister zuhause denken muss. Ich weiß nicht, ob sie überleben werden. Mein ältester kleiner Bruder wird jetzt auch 15. Sie werden ihn abholen, ich wünsche ihm, dass er entkommt.
Ich werde ab nächster Woche in die Schule gehen, ich möchte gern den Hauptschulabschluss machen. Das dauert zwei Jahre. Aber ich möchte mich anstrengen und das vielleicht in einem Jahr machen. Dann würde ich gern Zahnarzthelfer werden. Ich glaube, das kann ich schaffen.