"Ich war feige": Goebbels-Sekretärin mit 106 gestorben
München - Mitte 2015 empfängt Brunhilde Promsel die AZ-Reporterin in ihrem Ein-Zimmer-Apartement in einem Schwabinger Altenheim. Sie ist schon 104, die Kräfte der kleinen, zierlichen Frau schwinden. Zu debattieren, darauf hat sie noch Lust. Nur wenn es um die Vergangenheit geht, wird sie wortkarg. "Die Zeit des Nationalsozialismus verdrängt sie am liebsten", notiert die Reporterin anschließend.
"Ich schwamm damals fast schon im Geld"
Einiges hat Brunhilde Promsel dann doch noch erzählt. Die gebürtige Berlinerin, die für den NS-Rundfunk arbeitete – und ab 1942 als eine der Vorzimmerdamen für Joseph Goebbels im Reichspropagandaministerium, damit dem engsten Zirkel um Hitlers Hetzer angehörte.
Im Mai 2015, im Altenheim-Zimmer, ist diese Zeit plötzlich wieder nahe. Promsel nennt das Propagandaministerium vertraut "Promi". Wichtig für sie sei gewesen, gut zu verdienen. "Ich schwamm im Geld", sagt sie. Der Job habe ihr "sehr gut gefallen". In die Partei war sie schon für die Stelle beim Rundfunk eingetreten, am ersten Tag bei Goebbels habe sie sich "ein schlichtes Kostüm angezogen und ein Parteiabzeichen geborgt".
Über den Propagandaminister spricht sie eher negativ – und begründet das mit persönlichen Erinnerungen. Andere würden erzählen, er sei ein netter Gastgeber gewesen. Sie nicht. "Er war ein steifer Spazierstock."
Einmal war sie mit Kollegen in die Goebbels-Villa nach Schwanenwerder eingeladen. Sie Freude sich darauf, die Familie kennenzulernen. Doch als Brunhilde Promsel zum Essen kam, waren weder Frau noch Kinder da. Sie erinnert sich, dass sie angewiesen wurde, die Gans schnell aufzuessen – es sei unhöflich, sollte sie noch nicht fertig sein, wenn Goebbels sein Essen beendet. Sie erinnert sich auch, dass der Minister sie nicht beachtete. "Der Herr hat nicht ein einziges Mal das Wort an mich gerichtet." Die hochbetagte Frau kann es noch immer nicht fassen. Nicht einmal gefragt habe er, ob es ihr gefällt und ob sie Verwandte im Krieg habe. "Diese Frage hat man zu jener Zeit einfach stellen müssen." Beim Abendessen habe er Predigten und Tiraden gehalten – "als ob er eine Tausender-Menge vor sich hat".
Auch so hat sie ihren Chef erlebt. Promsel war bei der Sportpalast-Rede ("Wollt ihr den totalen Krieg?") dabei. Sie saß auf der Tribüne, vor ihr ging Goebbels auf die Bühne. "Noch heute ist das für mich eines der eindrücklichsten Bilder aus dem Dritten Reich", sagt sie. Vor einigen Jahren hat sie erklärt: "Vielleicht waren wir gar nicht mal so entsetzt, weil wir es schon gewöhnt waren, dass so geschrieben wurde."
18. Februar 1943: Goebbels propagiert im Berliner Sportpalast den "totalen Krieg". Foto: Bundesarchiv
Da war klar: "Alles würde furchtbar enden"
Die Wahl ihrer Worte ist präzise, sie formuliert immer noch scharf, erinnert sich auch an vieles aus dem Alltag. Mit dem Finger skizziert sie auf dem Tisch, wo ihr Arbeitszimmer war – und wo das ihres Chefs. Wenn Goebbels im Zimmer war, musste sie aufstehen – und stets stehenbleiben.
"Völlig unpolitisch" sei sie gewesen, hat sie vor Jahren dem "Spiegel" mal gesagt. Zu einem Panzerschrank habe sie zwar Zugang gehabt, aber sie habe es nie gewagt, in die dort lagernden Akten zu schauen. "Ich hatte einfach noch diese Vorstellung, wenn ein Chef mir vertraut, dann soll er nicht enttäuscht werden." Erst in den letzten Monaten des Regimes sei sie an "Geheim" gestempelten Presseberichten aus dem Ausland hängengeblieben, die über ihren Schreibtisch liefen. "Das waren Informationen, die einem klarmachten, alles würde furchtbar enden."
Das Ende von Joseph Goebbels am 30. April 1945: Nachdem er seine Familie und sich getötet hatte, wird seine Leiche verbrannt. Foto: imago
Die letzten Tage vor der Kapitulation verbrachte sie im Keller des Ministeriums – wegen des Beschusses. Sie aß Spargel aus Dosen. "Brot fanden wir keines, dafür viel Wein."
Nach der Kapitulation kam sie für fünf Jahre in russische Gefangenschaft, anschließend arbeitete sie für den SWR in Baden-Baden, später als Sekretärin für den BR. Auch im Ruhestand blieb sie in München. Der Regisseur Christian Krönes hat mit ihr den Dokumentarfilm "Ein deutsches Leben" gedreht, der im April ins Kino kommt. Im Film sagt sie, sie habe nichts vom Massenmord an den Juden gewusst – und sie habe keinen Widerstand leisten können. "Ich gehöre zu den Feigen." Am Montag teilte Krönes mit, dass Brunhilde Promsel im Alter von 106 Jahren gestorben ist.
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