„Ich kann noch gar nicht ins Altersheim gehen“

Kabarettist Dieter Hildebrandt spricht mit Claus Fussek über Pflegeheime und kritisiert den Umgang der Gesellschaft mit älteren Menschen
von  Abendzeitung
Dieter Hildebrandt, Kabarettist, Schauspieler und Buchautor.
Dieter Hildebrandt, Kabarettist, Schauspieler und Buchautor. © Petra Schramek

MÜNCHEN - Kabarettist Dieter Hildebrandt spricht mit Claus Fussek über Pflegeheime und kritisiert den Umgang der Gesellschaft mit älteren Menschen

„Die Alten sind selber schuld, sie werden zu alt – und erheben dann noch Forderungen.“ Die launigen Worte des Kabarettisten Dieter Hildebrandt (82) waren zwar als Scherz gemeint. Doch sie beschreiben mit satirischer Schärfe die Situation in Deutschlands Pflegeheimen.

Hildebrandt fordert eigentlich Selbstverständliches für alle Senioren: Mal an die frische Luft gehen, eine Katze streicheln oder eine Tasse frischen Bohnenkaffee aus einer Porzellantasse genießen. Zusammen mit Pflege-Experte Claus Fussek bezog der Kabarettist gestern im Presseclub Stellung, bevor er am Abend beim Pflegestammtisch im Löwenbräukeller aus seinem Buch „Nie wieder achtzig“ las.

Fussek geht es um grundlegende Mängel in Pflegeheimen: „Manche Menschen bekommen nicht zu essen und zu trinken, weil sie zu langsam essen“, sagt er. Dann würden sie schnell gefüttert oder eine Magensonde bekommen. Gleichzeitig liefen im Fernsehen Kochsendungen.

„Ich verstehe nicht, dass kein Aufschrei durch die Gesellschaft geht“, sagt Claus Fussek. Wenn im Zoo oder im Gefängnis Zustände wie in manchen Pflegeheimen seien, wären alle empört.

Die Pflegekräfte könnten kaum etwas für die Missstände: „Wenn man zu zweit 30 Menschen versorgen muss, kann man das nicht schaffen“, sagt Claus Fussek. Er könne ihnen höchstens vorwerfen, dass sie den Mund halten.

Der Vorkämpfer für eine würdevolle Pflege im Alter berichtetet von einer Dame, die sich nicht traute, genügend zu trinken, weil sie Angst davor habe, zu läuten, um aufs Klo gehen zu können. Dabei sei gute Pflege sogar günstiger, das zeigten die zahlreichen positiven Beispiele.

Zwar sei der Umgang mit älteren Menschen manchmal nicht einfach. „Das sehe ich ja auch an mir, ich werde im Alter nicht liebevoller“, sagt Dieter Hildebrandt, „aber das muss man als Pfleger aushalten.“

Beschwerden und Kritik werden in guten Heimen sogar positiv aufgenommen: „Ein Heimleiter erzählte mir mal: Wenn die alten Frauen sich nicht mehr über das Essen beschweren, muss ich den Arzt rufen“, sagt Claus Fussek.

Dieter Hildebrandt kritisiert, dass Alter und Pflege in der Öffentlichkeit kaum zur Sprache kommt. „Im Wahlkampf ist zu diesem wichtigen Thema kein Wort gefallen“, sagt er.

Obwohl es immer mehr Ältere gebe und die Menschen immer älter werden, hätten sie die kleinste Lobby und könnten nicht mehr gestalten. „Alte Menschen sind in der Mehrheit und die Mehrheit sollte eigentlich bestimmen könne“, sagt er. Bereits in der Schule müsse Solidarität mit den Älteren gelehrt werden.

Schon als Hildebrandt 1985 in seiner Sendung „Scheibenwischer“ die Themen Pflege und Alter aufgreifen wollte, stieß er auf Bedenken, als er diesem Problem eine ganze Sendung widmen wollte. „Das kam bei den Fernsehverantwortlichen nicht gut an“, sagt er. Angeblich weil es für die Quote schlecht gewesen sei. „Ich musste mich darüber hinwegsetzen“, sagt Hildebrandt.

Als Hildebrandt dann in einer Scheibenwischer-Sendung einen Pfleger darstellte, der Alkoholiker wurde, wurde er von den Pflegeverbänden kritisiert. „Du hast wenig Mittel, keine Zeit und viel Stress, dann ist es doch im Grunde zu verstehen, dass man trinkt“, sagt der Kabarettist. Man müsse eben überlegen, welche Gruppen ungerecht behandelt werden und dies dann thematisieren.

Auch Dieter Hildebrandt, der in seinem Buch „Nie wieder achtzig“ auf sein kabarettistisches Schaffen zurückblickt, hat sich mit dem Gedanken, in ein Heim zu gehen, auseinander gesetzt. Schon bei seiner Mutter legte er Wert auf eine gute Betreuung: „Ich hatte ein gutes Gewissen, dass sie in einem guten Heim war“, sagt er. Sie habe ihre Möbel und damit ein Stück ihres alten Lebens mitnehmen können.

„Viel bleibt mir für die Zukunft nicht mehr“, sagt Hildebrandt. Er werde nicht als Abgeordneter kandidieren oder eine Firma gründen, er habe aber viel Freude und arbeite an seinem neuen und gleichzeitig letzten Buch. Dieter Hildebrandt denkt momentan noch nicht daran, in ein Heim zu gehen. „Ich habe immer noch Rückenwind und jeden Abend eine neue Veranstaltung. Ich komme nicht auf die Idee, diese abzusagen, also kann ich noch gar nicht ins Altersheim gehen.“

Christian Hellermann

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