"Ich hätte ihm das nicht zugetraut"
Ingolstadt - Als Sebastian Q. im Ingolstädter Rathaus mehrere Geiseln nimmt, liegt das Gerichtsurteil gegen ihn auf den Tag genau drei Wochen zurück. Das Landgericht Ingolstadt hat gegen den Stalker gerade erst eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verhängt. Eine Unterbringung in der Psychiatrie wurde nicht angeordnet (AZ berichtete). Warum? Ist der 24-Jährige falsch eingeschätzt worden?
Die AZ hat den Richter Paul Weingartner gefragt. Der bleibt auch nach dem Geiseldrama im Rathaus bei der Aussage: „Das Urteil ist voll richtig. Da gibt es nichts zu deuteln.“ Für eine Zwangseinweisung in eine Psychiatrie hätten schlicht die gesetzlichen Voraussetzungen gefehlt.
Was einen dennoch zunächst stutzig machen kann, ist das schriftliche Gutachten, in dem sich ein Sachverständiger aus Haar mit Sebastian Q. beschäftigt. Auch der Münchner Psychiater Norbert Nedopil hat es gelesen. Der Professor berichtet, der Gutachter habe darin klar gesagt, „dass der Täter keine gute Prognose hat“ (siehe Interview unten). Wie passt das zusammen? Warum kam der junge Mann trotzdem frei?
Richter Weingartner bestätigt, dass in dem bereits zu Prozessbeginn vorliegenden schriftlichen Gutachten noch die Rede davon gewesen sei, dass „erhebliche Straftaten“ von Sebastian Q. zu erwarten sind. Doch während des Prozesses habe der Gutachter seine Gefahrenprognose dann geändert. Bis dahin habe dieser auch gar nicht gewusst, wie die Taten im Einzelnen abgelaufen seien. „Man kann nie nur nach dem schriftlichen Gutachten gehen“, sagt Weingartner. Die endgültige Beurteilung erfolge erst bei der Hauptverhandlung.
Drei Psychiater und eine forensische Psychologin seien dabei gehört worden. Im Ergebnis habe es schließlich bloß noch geheißen, dass von Sebastian Q. Delikte zu erwarten seien, „die in den Bereich von Beleidigungen, Bedrohung und im schlimmsten Fall von erneuten Nachstellungen“ fallen. Für eine Unterbringung reiche das nicht. Und auch der Staatsanwalt habe keine Zwangseinweisung mehr gefordert, weil die Taten dafür nicht schwerwiegend genug gewesen seien.
Richter Weingartner sagt über Sebastian Q.: „Ich hätte ihm das nicht zugetraut.“ Keiner habe gedacht, „dass der so ausrastet“. Zumal die Vorstrafen des 24-Jährigen nicht gravierend gewesen seien. Er hatte mal mit einer fremden Scheckkarte Geld abgehoben. Ein Diebstahl brachte ihm zwei Tage Jugendarrest ein. Und vor neun Jahren zerkratzte er das Auto eines Lehrers. Der junge Mann ist nach der Einschätzung des Richters zwar jemand, „der ständig rumstänkert“. Vor Gericht habe er sich aber halbwegs zusammengerissen.
Paul Weingartner bilanziert: „Das Einzige, was man sagen kann, ist, dass wir leider keinen Hellseher dabei hatten.“