„Ich bin wirklich entsetzt“
MÜNCHEN - „Das kann fatale Folgen haben“: Michael Petzet über die Streichliste der Münchner Denkmalschützer. Von 20 historischen Ortskernen sollen 14 den Schutz verlieren. Der Icomos-Präsident spricht von „großem Dilettantismus“.
Was passiert mit den denkmalgeschützten Häusern in München? Wie berichtet, sollen sehr viele Gebäude in der Altstadt, die auf der vom zuständigen Landesamt geführten Denkmalliste stehen, von dieser gestrichen werden und damit den speziellen Schutz verlieren. Und der Kahlschlag geht weiter: Auch die Mehrzahl der bislang als Ensemble geschützten alten Dorfkerne in den Stadtviertel sollen nicht mehr schützenswert sein. Treffen soll es unter anderem Allach, Aubing, Daglfing, Feldmoching, Moosach, Thalkirchen, Untermenzing, Ramersdorf, Untersendling.
Die AZ befragt dazu einen Experten: Michael Petzet (75) führte 25 Jahre lang das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, ehe er 1999 Präsident der Welt-Denkmalorganisation Icomos wurde, die die Welterbeliste führt und die Unesco berät. Petzet hat somit eine Zuständigkeit, die vom Wiederaufbau der Riesen-Buddhas in Afghanistan über den Kampf um die Kölner Stadtsilhouette bis zur Rettung der Maya-Tempel in Mexiko reicht. Zu Themen in seiner Heimat hielt sich der ranghöchste Denkmalschützer der Welt bislang eher zurück. Nun aber ist sein Entsetzen über die Entwicklung in Bayern so groß, dass er im AZ-Interview Stellung bezieht – so kritisch und hart wie noch nie zuvor.
„Offenbar fehlt es hier an der notwendigen Qualifikation“
AZ: Herr Petzet, der Denkmalschutz hat viele Gegner, aber nun wollen die Denkmalschützer selbst viele Häuser und in München sogar ganze Dorfensembles aus der Denkmalliste streichen. Was ist denn in ihre bayerischen Ex-Kollegen gefahren?
MICHAEL PETZET: Natürlich braucht auch die bayerische Denkmalliste immer wieder mal eine Revision. Was mich aber entsetzt, ist die Form, in der hier revidiert wird, diese sogenannte Nachqualifizierung. Dafür bräuchte man erfahrene Leute, die feststellen können, was im Rahmen des Gesetzes jeweils schützenswert oder charakteristisch ist. Wenn ich mir aber den ersten Bericht in der AZ vom 17. Juli über die geplanten Streichungen in der Denkmalliste anschaue, dann frage ich mich schon, ob das so in Ordnung sein kann. Offensichtlich versucht hier im zuständigen Landesamt eine Gruppe von unerfahrenen Leuten unter einer unerfahrenen Leitung eine fragwürdige Aktion vom Zaun zu brechen.
Die aus der Liste gestrichenen Objekte sind angeblich entstellt oder nicht mehr als Denkmäler erkennbar. Erinnert das nicht an einen Arzt, der seinem Patienten auf der Intensivstation die lebenserhaltenden Maschinen abschaltet mit den Worten „Jetzt ist es eh schon egal!“?
Der Vergleich hinkt, denn das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hatte eine hervorragende Abteilung für Inventarisation. Da arbeiteten sehr gut Leute, die über viele Jahre hinweg die Liste erstellt haben. Nun aber, bei dieser sogenannten Nachqualifizierung, wird viel zu flüchtig gearbeitet, werden die Dinge meist nur von außen gesehen.
Und wenn ein Denkmal tatsächlich stark an Wert verloren hat?
Das muss man eben prüfen, von Fall zu Fall. Ein Beispiel aus der Maximilianstraße: Dort soll ein Haus aus der Liste gestrichen werden, von dem nun mal nach dem Krieg nur noch die Fassade stand und das später großteils rekonstruiert wurde. Das ist ein sehr wichtiger Bau für München, aber es soll offenbar nur noch gewichtet werden, wie viel originale Bausubstanz vorhanden ist. So kann ich an das Objekt nicht herangehen, denn so übergeht man den Entwurf, die historische Bedeutung und das Gesamtkonzept Maximilianstraße. Hier hat eine falsch programmierte Truppe offenbar einen Denkmalbegriff, der mit praktischer Denkmalpflege nichts zu tun hat. Außerdem: Ich kann nicht jahrelang im Einvernehmen mit den Eigentümern guten Denkmalschutz betreiben, und dann plötzlich sagen: Jetzt wird dein Haus wieder von der Liste gestrichen. Da geht es ja zum Beispiel auch um Fragen der steuerlichen Abschreibung, die eine gleichmäßige Behandlung aller Fälle voraussetzt.
Dieser Ihrer Meinung nach falsche Denkmalbegriff bedeutet, dass nur das noch schützenswert sein soll, was absolut im Original aus früheren Jahrhunderten vorhanden ist, und alles andere nicht?
Genau, und das ist fatal – gerade in einer Stadt wie München, die im Krieg enorm zerstört worden ist. Man muss den Zusammenhang, den historischen Wert berücksichtigen. Man muss sehr überlegen, welche Reste zu bewahren sind und welche nicht. So wie das hier geschieht, kann ich nicht an ein wiederaufgebautes Altstadtensemble herangehen.
Es stellt sich die Frage, wer diese Aktion eigentlich will?
Mein Eindruck ist, dass das eigentlich niemand will. Die Nachqualifizierung stellt ein in Bayern sehr bewährtes System der Denkmalerfassung infrage. Bislang war der Freistaat ein Vorbild für viele Länder, jetzt mache ich mir als Icomos-Präsident doch einige Sorgen.
Also eine Art wissenschaftliche Verirrung?
Ich muss es wohl so hart sagen: Es liegt wohl vor allem an der dilettantischen Leitung dieser Aktion...
Gleichwohl ist die Referatsleiterin eng vertraut mit dem Generalkonservator, also wird die Aktion doch sicher vom gesamten Amt getragen.
Man wird wohl davon ausgehen müssen. Das Ganze kostet ja auch noch erhebliche Mittel, pro Jahr sicher an die 500000 Euro. Aber gerade beim Umgang mit den Münchner Dorfensembles kann man sehen, dass offenbar die notwendige Qualifikation fehlt. Man kann nicht ein paar Tage durch den Landkreis Starnberg fahren und dann sagen: Da ist neu verputzt worden – runter von der Denkmalliste.
Sie sind seit vielen Jahren Welt-Denkmalpräsident, haben sich zu Münchner oder bayerischen Fragen fast nie geäußert. Jetzt sind ihre Antworten sehr deutlich – ist die Lage wirklich so schlimm?
Ich habe mich in München und Bayern immer vornehm zurückgehalten, aber jetzt bin ich wirklich entsetzt. Wie man hier plötzlich mit dem schwierigen und wichtigen Instrument der Denkmalpflege umgeht! Man muss mal dran denken, wie sich der Landesdenkmalrat unter Erich Schosser in jahrzehntelanger Arbeit um diese Themen verdient gemacht hat. Und jetzt wird das plötzlich alles so angegangen. Man fragt sich, warum sich nicht mal mehr der Landesdenkmalrat äußert? Ob er unter der neuen Leitung des CSU-Abgeordneten Ludwig Spaenle eingeschlafen ist?
Wie bewerten Sie die Massivität des Eingriffs bei den Münchner Dorfensembles?
München hat an die 70 Ensembles, davon 20 mit historischen Dorfkernen. Ich meine, dass für das Millionendorf München die Sorge um die Dorfreste eine Herzensangelegenheit sein müsste. Aber von den 20 sollen 14 gestrichen werden! Bei fünf will man die Umgrenzung stark reduzieren! Und nur ein einziges bleibt unverändert: der Weiler Pipping. Da bleibt wirklich sehr, sehr wenig übrig.
Hat die Denkmalliste überhaupt noch eine Zukunft?
Es läuft, wenn ich mir das Münchner Beispiel ansehe, auf eine Art Demontage hinaus. Und ich glaube nicht, dass die Politik sich so etwas wünschen kann. Interessant ist ja auch, dass nichts hinzugefügt wird – man könnte ja mal über das eine oder andere bedeutende Werk der Nachkriegszeit oder des 20.Jahrhunderts nachdenken. Aber es wird nur reduziert.
Wie gut kennt der Welt-Präsident die alten Münchner Dorfkerne überhaupt noch?
Etwas, aber natürlich nicht mehr unter all den fachlichen Gesichtspunkten. Meist sind die Dorfkirche und bestimmte bäuerliche Anwesen noch vorhanden. Diese Dorfkerne sind oft wesentlich älter als die Stadt München selbst. Und ich bin der Meinung, dass ein Haus, das an diese dörfliche Vergangenheit erinnert, für die Großstadt ein wichtiger Punkt ist, auch wenn es auf dem Land sicher das eine oder andere bessere bäuerliche Denkmal gibt. Aber so kann sich die Weltstadt München an ihre Geschichte erinnern.
Schon gibt es besorgte Anfragen aus anderen Welterbe-Städten
Muss also jetzt der Denkmalschutz vor den Denkmalschützern geschützt werden?
Das Landesamt für Denkmalpflege leistet hervorragende Arbeit. Es geht hier aber um eine Verirrung in der Strategie. Ein falscher Denkmalbegriff, der fatale Folgen haben kann. Inzwischen kommen schon besorgte Anfragen aus anderen Welterbe-Städten, ob man in Zukunft Stadthäuser aus der Denkmalliste streichen will, deren Erdgeschoss für ein Geschäft oder Gewerbe ausgekernt wurde? Dann müssen wir halb Bamberg streichen! Wohin sollte das führen? Ich kann es leider nicht anderes sagen, aber das alles ist großer Dilettantismus. Ich bin seit 50 Jahren in der Denkmalpflege – und ich finde keinen anderen Ausdruck dafür.
Interview: gr
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- Ludwig Spaenle