„Ich bin nicht verpflanzbar“

MÜNCHEN - "Ich bin mit Haut und Haar der Kommunalpolitik verpflichtet", sagt Christian Ude. Seit 15 Jahren ist er Oberbürgermeister von München. Der 60-jährige SPD-Politiker im AZ-Interview über die Landtagswahlen im Herbst, die Führungskrise der CSU und über seine eigene Zukunft – in München und auf Mykonos.
AZ: Sie sind mit einem fulminanten Ergebnis zum OB wiedergewählt worden, das Transrapid-Projekt ist geplatzt und die CSU ist blamiert. Was fehlt Ihnen noch zum Glück?
CHRISTIAN UDE: Überhaupt nichts. Wobei mein persönliches Glück gar nicht so sehr von politischen Abstimmungsergebnissen abhängt als vielmehr von den Lebensumständen und meinem privaten Leben. Aber da schaut es genauso fröhlich aus, weil ich nach dem Wahlkampf jetzt wieder mehr Zeit fürs Privatleben – zumindest an einigen Stunden des Wochenendes – habe und überhaupt eine sehr große Entspannung eingetreten ist.
Trotzdem ist nach der Wahl wieder vor der Wahl. Laut Umfragen droht der CSU bei der Landtagswahl der Verlust ihrer absoluten Mehrheit ...
...das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen.
Die CSU hat alle Steilvorlagen geliefert, die sich eine Opposition nur wünschen kann. Dennoch glaubt niemand so recht an die SPD im Freistaat.
Ich bin ohne jeden Zweckoptimismus fest davon überzeugt, dass die SPD beachtliche Zuwächse erzielen wird. Ich habe die CSU noch nie so schwach gesehen. Ich erlebe zum ersten Mal, dass sie regelrecht zerbröselt. Dass ihr Leuchtturmprojekt ein Scherbenhaufen ist. Dass sie an kleinsten Aufgaben wie dem Rauchverbot scheitert. Und dass sie dank der Landesbank die Kompetenz bei Wirtschaft und Finanzen verliert, die man ihr in der Vergangenheit selbst als Gegner nicht absprechen konnte. Und dann macht noch der Ministerpräsident Fehler, die ich nicht fassen kann, wenn er etwa sein totales Einlenken beim Transrapid mit einer Schimpfkanonade begleitet, die es bisher bei einem Landesvater nicht gegeben hat.
Trotzdem kommt die Landes-SPD nicht auf die Füße. Fehlt ihr ein Christian Ude?
Die SPD tut sich in den Städten leicht – und da hat es manchmal mit mir überhaupt nichts zu tun, wie man in Nürnberg sieht oder in dem sensationellen 80-Prozent-Ergebnis in Fürth. Aber im ländlichen Raum und in Kleinstädten tut sich die SPD sehr schwer, weil es dort keine Strukturen gibt. Keine Universitäten. Keine Großbetriebe mit organisierter Arbeitnehmerschaft. Das sind Strukturen, mit denen ich genauso wenig zurande käme wie andere. Aber bei Franz Maget erlebe ich mit Vergnügen, dass sein Bekanntheitsgrad gestiegen ist. Dass er glänzende Sympathiewerte hat. Und auch als Redner im Landtag, als parlamentarischer Oppositionsführer immer besser wird.
Die Schwäche der Landes–SPD liegt also nur an räumlichen Strukturen?
Die letzten Verluste sind sicherlich auch erklärbar mit dem Entstehen der Partei „Die Linke“. Und das ist nun ganz und gar kein bayerisches Problem, sondern es war und bleibt in Bayern schwächer als anderswo. Die Linke wird nach meiner festen Überzeugung bei der Landtagswahl die Fünf-Prozent-Hürde nicht packen. Aber trotzdem wird sie 2 bis 3 Prozent erhalten – auf Kosten der SPD. Deswegen ist es schon ein erster Erfolg, wenn man trotzdem die Stimmenzahl hält. Und es ist ein großer Erfolg, wenn man aufstockt.
Und wenn's nicht klappt?
Ich bin sicher. Weil es bei der CSU Zerbröselungserscheinungen gibt, einen Autoritätsverfall der Spitze, den man bei einer neu etablierten Spitze noch nie überlebt hat. So ging es vielleicht Streibl in seinen letzten zwei Wochen, aber danach war er auch weg. Während Huber und Beckstein ja gerade erst angetreten sind und sich schon in einer Verfallsphase befinden. Das hat es bei dieser sehr machtbewussten Partei bislang nie gegeben.
Wollen Sie nicht auch mal in der Landespolitik mitmischen?
Ich bin immer entschlossen gewesen seit meiner Grundschulzeit, im Münchner Rathaus zu arbeiten, ich habe nie von Parlamenten in anderen Städten geträumt und ich bin mit Haut und Haar der Kommunalpolitik verpflichtet. Als Präsident des Städtetags mache ich auch gerne Bundespolitik, aber halt nur, wenn es um kommunale Themen geht, von denen ich wirklich etwas verstehe.
Wenn die Münchner Sie gewählt haben, Herr Ude, haben Sie nicht wirklich SPD gewählt – sondern eben Sie. Wie schwer wird es der Nachfolger von Christian Ude haben?
Ich tue mich ja ganz schwer, meine eigene Rolle wieder zurechtzurücken und kleinzustutzen, aber es liegt nicht an meiner Person allein. Wo immer die SPD vor Ort in guter Verfassung ist, kann sie auch punkten. Und in München ist die SPD in guter Verfassung. Sie ist zehn Mandate stärker als die CSU. Das hat es jahrzehntelang nicht gegeben.
Bei Fragen nach ihrem künftigen Nachfolger antworten Sie gerne ausweichend. Dabei haben Sie doch bestimmt einen Favoriten im Auge, oder?
Selbstverständlich, aber ich halte es für absurd, sechs Jahre vor der nächsten Wahl eine Person als Kronprinz oder Kronprinzessin zum öffentlichen Abschuss und zum innerparteilichen Verschleiß frei zu geben. Ich kann nur darauf verweisen, dass die Zahl der in Frage kommenden Persönlichkeiten, denen man es zutraut, eine Wahl zu gewinnen, immer größer wird. Der Parteivorsitzende hätte immer den ersten Zugriff, und Franz Maget wäre deshalb immer der ideale Nachfolger gewesen, wenn mir in den letzten 15 Jahren etwas zugestoßen wäre. Ich habe seit einigen Jahren eine deutliche jüngere Stellvertreterin mit Christine Strobl. Und es gibt einen Fraktionsvorsitzenden, der gerade den 50. Geburtstag hatte - also auch als nachrückende Generation angesehen werden kann.
Sie haben im Höchstfall noch sechs Jahre im Amt – viele Beobachter gehen allerdings von nur drei Jahren aus.
Im Höchst- und Mindestfall sechs Jahre.
Was wollen Sie unbedingt noch schaffen? Ein Lieblingsprojekt?
Ich kann's leider nicht auf ein Projekt zusammenbündeln. Ich nenne den Wohnungsbau – München leidet wegen seiner Attraktivität immer unter Wohnungsmangel. Ich nenne den Ausbau der Krippenbetreuung, wo wir unter den westdeutschen Großstädten schon an der Spitze liegen, aber immer noch hinter dem Bedarf sind, der dank des Babybooms steigt und steigt. Dann nenne ich die großen Kulturprojekte, die wir meistern müssen. Vom Deutschen Theater über das Lenbachhaus und das Stadtmuseum bis zum Gasteig. Das sind für Sanierungen und Erweiterungen dreistellige Millionenbeträge. Und dann möchte ich, dass in meiner Amtszeit nicht nur ein jüdisches Zentrum entsteht, das am Jakobsplatz vollendet wurde. Sondern auch eine Moschee für die Münchnerinnen und Münchner islamischen Glaubens.
Und dann Mykonos?
Ich denke gar nicht daran, erst nach dem Ruhestand dort hinzugehen, sondern ich werde es in den Ferien immer jetzt schon tun. Und ich werde immer nur in den Ferien dort sein. Ich kann mir ein Leben außerhalb Münchens nicht mal vorstellen. Ich bin eine Großstadtpflanze und nicht verpflanzbar. Dass ich meinen Lebensmittelpunkt verlagere, war immer vollkommen ausgeschlossen. Ich habe nicht einmal den Stadtbezirk gewechselt in den letzten 60 Jahren. Ich habe zum 50. Geburtstag noch sagen können, ich hatte bis dahin nicht einmal den Metzger gewechselt. Es war derselbe, wo ich schon als Kind das Wurstradl geschenkt bekommen habe. Nur jetzt gibt es den Metzger leider nicht mehr.
Julia Lenders