"Ich bin manchmal immer noch überrascht": Paartherapeutin aus München redet Klartext
München - Die Paar- und Sexualtherapeutin aus München hat rund 20 Jahre Erfahrung in ihrem Beruf und schreibt auch Bücher. Die AZ wollte von ihr wissen, was sie schon alles erlebt hat, wie hoch die Scham anfangs ist und ob es noch etwas gibt, was sie überrascht.
AZ: Frau Melzer, Sie bezeichnen sich auf Ihrer Internetseite als "Expertin für alle heiklen Fragen des Lebens im Bereich Sexualität und Partnerschaft". Welche sind das zum Beispiel?
HEIKE MELZER: Paare kommen aus sehr unterschiedlichen Gründen. Sie wollen etwas für sich tun, etwa eine bessere Kommunikation, eine andere Gesprächskultur, einen anderen Umgang mit Streitigkeiten finden. Oder die Sexualität ist ins Stocken geraten, der eine will mehr, der andere weniger - oder es gibt Funktionsstörungen. Oder aber es hat eine Affäre gegeben und die Beziehung steht unter dem Damoklesschwert der Untreue. Manche kommen auch präventiv.

Haben die Menschen anfangs Scham, Details zu erzählen, oder wird der Umgang mit dem Thema Paartherapie offener?
Die Menschen sind unterschiedlich. Ich gebe die Struktur der Sitzung vor, das gibt ihnen Sicherheit. Denn es ist die Kunst des Paartherapeuten, die Diskussion so zu strukturieren, dass die Klienten in der Lage sind, sich zu öffnen und auch Tabu-Themen anzusprechen. Ich gehe nicht sofort ins Problem, sondern stelle erst einmal ungewohnte Fragen.
"Wie geht es Ihnen heute? Anfängerfehler!"
Welche etwa?
Eine meiner liebsten: "Was ist ein gutes Ergebnis, wenn Sie heute gehen? Was wäre ein Erfolg?" Auf gar keinen Fall frage ich: "Wie geht es Ihnen heute?" Das ist ein Anfängerfehler! Ebenso nicht: "Was haben Sie für ein Problem?" Dann buddeln sie Löcher, aus denen sie nicht mehr rauskommen. Ich habe es lieber, wenn die Leute bei mir auch mal lachen.
Nehmen Sie Nervosität wahr, wenn die Paare über Ihre Beziehung sprechen sollen?
Beziehungen sind emotional. Es wird schon mal geweint, geschwitzt, oder sie gehen oft auf die Toilette. Am Ende sind sie dann relaxter und fragen: "Ist die Zeit schon zu Ende?"
Paartherapeutin: "Ich brauche kein Fernsehen"
Wie viel muss man als Paar an sich arbeiten, wie viel als Einzelperson?
Veränderung findet bei einem selbst statt. Dadurch lässt sich dann auch die Dynamik der Partnerschaft aushebeln. Ich meine damit: Impulse setzen, die den Partner aus den alten, automatisierten Denkweisen herausbringen. Bildlich gesprochen: Wenn Sie immer nur Eier, Mehl und Butter verwenden, können Sie immer nur Rührkuchen machen. Wenn Sie Käsekuchen wollen, brauchen Sie auch Quark. Ein Beispiel: Überraschen Sie einen Langschläfer mit einem Frühstück am Bett anstatt immer wieder mit Vorwürfen, er solle endlich aufstehen. Die Wunder passieren nicht im Wellness-Urlaub, sondern im Alltag.
Verwundern Sie manche Fälle nach so vielen Jahren noch?
Also, ich brauche kein Fernsehen (lacht). Ich bin manchmal immer noch überrascht und äußere das auch. Zum Beispiel hat ein Mann einmal gesagt, ich erinnere ihn an seine Schwester und die habe er umbringen wollen. Den habe ich abgelehnt. Oder es war auch schon einmal die Geliebte des Mannes meiner Freundin da. Auch hier musste ich abbrechen, weil ich nicht mehr neutral sein konnte.
"Ich mache den Teppich hoch"
Gibt es ein Mittel für alle?
Ich habe im übertragenen Sinne einen Werkzeugkasten - pro Problem habe ich diverse Werkzeuge parat. Ich verstehe mich hier als Optionskellner - ich serviere Lösungen, die mal mehr oder weniger angenommen werden. Ich versuche, blinde Flecken aufzudecken. Ich stelle unbequeme und unerwartete Fragen, versuche, Steine ins Rollen zu bringen. Wenn ein Paar immer nur alles unter den Teppich kehrt, mache ich eben den Teppich hoch.
Was fragen Sie anfangs zum Beispiel noch?
Wie sich das Paar kennengelernt hat. Das ist eine sehr spannende Frage, nicht nur wegen der Antwort, sondern auch wie sich die Paare dann verhalten in der Therapie. Positiv ist, wenn sie ihre Haltung dabei verändern, sich anschauen, mal lächeln. Manchmal sind sie wie versteinert, wenn sie hereinkommen. Wenn es so bleibt, ist es schwierig. Wenn sich beim Erzählen des Kennenlernens die Stimmung verändert, ist das ein gutes Zeichen. Es ist wichtig, die Menschen aus dem Problem herauszuholen.
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