Hubert Aiwanger liefert die Flugblatt-Antworten: Was nun, Markus Söder?

Die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) in eine schwierige Lage gebracht.
von  Ralf Müller
Spätestens seit der Flugblatt-Affäre herrscht frostige Stimmung zwischen Hubert Aiwanger (li.) und Markus Söder.
Spätestens seit der Flugblatt-Affäre herrscht frostige Stimmung zwischen Hubert Aiwanger (li.) und Markus Söder. © IMAGO / Panama Pictures

München – Gelungen ist dem bayerischen Vizeministerpräsidenten Hubert Aiwanger, gleichzeitig Vorsitzender der Freien Wähler, der versuchte Befreiungsschlag vom vergangenen Donnerstag nicht. Da sind sich fast alle politischen Beobachter und Kommentatoren einig.

Nach einer Exegese der wenigen Sätze, die Aiwanger zur Affäre um ein Nazi-Pamphlet an seiner ehemaligen Schule von sich gegeben hat, machte sich eher Verwirrung breit. Was hat der Politiker nun eigentlich geklärt und wofür hat er sich entschuldigt? Für Dinge, an die er sich nicht erinnern kann?

Entschuldigung "überfällig": Söder drängt Aiwanger zur Beantwortung der offenen Fragen

Seinen Chef, Ministerpräsident Markus Söder (CSU), konnte Aiwanger mit seinem Statement offenbar auch nicht so recht begeistern. Die "Entschuldigung" sei "überfällig" gewesen, bemerkte Söder am Rande eines Termins in Mittelfranken. Es blieben aber "noch viele Fragen offen".

Söder beharrte auf die "zeitnahe" Beantwortung von 25 Fragen, die er Aiwanger bei einer Krisensitzung des Koalitionsausschusses sozusagen als Strafarbeit mitgegeben hatte. "Und zeitnah heißt am besten noch heute, im Laufe des Tages", fügte Söder am Freitag hinzu.

Derart unter Druck gesetzt, sagte Aiwanger: "Wenn die Forderung lautet, bis heute Abend, dann werden wir versuchen, bis heute Abend zu liefern." Er wolle sich keine Vorwürfe machen lassen, fügte er hinzu. Am Freitagabend lieferte Aiwanger die Antworten, eine Reaktion Söders darauf steht allerdings noch aus.

Kritik an der Kommunikationsstrategie von Hubert Aiwanger

Vertreter jüdischer Organisationen und den Antisemitismusbeauftragten des Bundes hatte Aiwanger mit seinem kurzfristig angesetzten Statement auch nicht überzeugt. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hielt ihm vor, keinen Willen zu einer offenen Aufklärung zu zeigen.

Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisierte, Aiwanger schade der Erinnerungskultur in Deutschland, weil er die Vorwürfe nicht vollumfänglich aufkläre. Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter hielt Aiwangers Kommunikationsstrategie für "professionalisierungsbedürftig".

"Lausbub-Geschichten": Freie Wähler stehen weiter hinter Hubert Aiwanger

Nur eines hatte Aiwanger ganz klar gemacht: Er fühlt sich als Opfer. "Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertiggemacht werden." Bei Aiwangers Anhängerschaft kommt die Pose der verfolgten Unschuld bestens an, wie sich am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung in Aschau am Chiemsee zeigte, wo der FW-Chef demonstrativ gefeiert wurde.

Ein Veranstaltungsbesucher wurde von "t-online" mit den Worten zitiert: "Aiwanger ist ein guter Mann. Als er 17 Jahre alt war – das waren alles Lausbub-Geschichten. Die Presse will nur, dass die Grünen die Wahl gewinnen." Auf der Veranstaltung ging Aiwanger auf die Affäre nicht ein, äußerte sich aber in einem Interview mit der "Welt": "In meinen Augen wird hier die Schoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht." Der "SZ", die als erstes über Vorwürfe gegen ihn berichtet hatte, warf er vor, ihn politisch vernichten zu wollen.

Noch will Markus Söder die "bürgerliche Koalition" mit den Freien Wählern fortsetzen

Währenddessen haben die Spekulationen Hochkonjunktur, wie Söder mit dem Fall umgehen werde und was das alles für die Landtagswahl sowie die anschließende Koalitionsbildung bedeuten könne. Der Regierungschef hat eine ganze Reihe von Optionen, wobei die Ansichten darüber auseinandergehen, welche ihm und der CSU nutzen oder schaden könnten.

Auch nach Bekanntwerden der Affäre um das Hetzflugblatt in der Schultasche des jungen Aiwanger hatten sowohl der Betroffene wie auch Söder bekräftigt, ihre "bürgerliche" Koalition nach der Landtagswahl am 8. Oktober fortsetzen zu wollen.

Retourkutsche? So könnte sich Markus Söder Aiwangers Machthunger zunutze machen

Söder wäre es wohl am liebsten, die Freien Wähler zögen ihren Spitzenmann für den Fall, dass er unhaltbar geworden wäre, selbst zurück. Denn mit dem selbstbewussten Aiwanger an der Spitze hatte der CSU-Chef mit seinem Koalitionspartner so manche Probleme.

Ein gewisses Abschmelzen des Freien-Wähler-Ergebnisses würde auch den Appetit des kleineren Koalitionspartners auf Kabinettsposten zügeln. Aiwanger hatte schon mehrfach angedeutet, die Zahl der Minister und Staatssekretäre, die seiner Partei angehören, ausweiten zu wollen.

Söder kommt die erste Deutungshoheit darüber zu, ob die Antworten, die Aiwanger auf den 25-Fragen-Katalog liefern soll, für ihn ausreichen, um seinen Vize im Amt zu halten, oder eben nicht. Es gibt Vermutungen, wonach Söder schon jetzt eine klare Vorstellung darüber hat, wie er mit den Einlassungen seines Stellvertreters umgehen soll.

Aiwanger-Skandal: Grüne, SPD und FPD bringen sich für die Landtagswahl in Stellung

Aiwanger zu entlassen, würde mit Sicherheit einen schweren Konflikt mit den Freien Wählern auslösen, die bislang eisern an ihrem Spitzenmann festhalten. Die Koalition würde in diesem Fall wahrscheinlich platzen, was für den Freistaat ein "Riesenstabilitätsproblem" (Oberreuter) bedeuten würde.

Von den Oppositionsparteien Grüne, SPD und FDP haben sich besonders die Liberalen unter ihrem Landesvorsitzenden Martin Hagen als Ersatz-Koalitionspartner angeboten. Der Haken: In den bisherigen Umfragen rangieren die bayerischen Freidemokraten gerade einmal zwischen vier und fünf Prozent. Hagen ist jedoch optimistisch, auch auf Kosten der Freien Wähler bis zum Wahltag noch zulegen zu können.

Heinrich Oberreuter bewertet solche Avancen, die auch von den Grünen kommen, als moralisch fragwürdig. Wer aus dem "Dreck" von anderen Nutzen ziehen wolle, habe "selbst Dreck am Stecken", so der langjährige Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Oberreuter glaubt, dass letztlich die CSU-Freie-Wähler-Koalition nach der Wahl fortgesetzt wird - mit oder ohne Hubert Aiwanger.

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