Holz für die Stadt: Wie München an sein Baumaterial kam

Karl Stankiewitz
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Die zerstörte Frauenkirche im Februar 1945: Der halbe gotische Dachstuhl ist noch intakt. Der Wiederaufbau erfolgt, wie der Bau 1468-88 auch, mit Hölzern aus dem Oberland. Die harte körperliche Arbeit der Flößer auf der Isar zeigt das Foto rechts aus dem Jahr 1905.
Ullstein/Walter Frentz Die zerstörte Frauenkirche im Februar 1945: Der halbe gotische Dachstuhl ist noch intakt. Der Wiederaufbau erfolgt, wie der Bau 1468-88 auch, mit Hölzern aus dem Oberland. Die harte körperliche Arbeit der Flößer auf der Isar zeigt das Foto rechts aus dem Jahr 1905.

Wie der Baustoff für das alte München im Isarwinkel gewonnen worden ist - eine sehenswerte Ausstellung erinnert daran noch bis zum Samstag.

München - "S'Buidleck" nennt er sein Geschäft in der Marktstraße von Lenggries. Schon im Alter von 16 Jahren, als er noch Lehrbub bei Fotografen war, hat Claus Eder angefangen mit dem Sammeln von historischen, wenn auch vergilbten oder beschädigten Fotos von alten Postkarten, Negativen, Dias und Glasplatten (sein Urgroßvater war ein Pionier der Plattenfotografie) sowie gemalte und gezeichnete Dokumente.

Insgesamt hat er jetzt etwa 50.000 solcher Bilder, die der Bayer als "Buidln" bezeichnet. Hinzu kamen allmählich noch handschriftliche und gedruckte Schriftsachen und allerlei sonderbare Objekte.

So entstand, angereichert noch durch allerlei Objekte, ein einzigartiges Sammelsurium zur Geschichte des Isarwinkels - einer der wohl bild-schönsten und interessantesten Gegenden Oberbayerns. Von Zeit zu Zeit holt Claus Eder einige ausgewählte Schätze aus der Schatzkiste und platziert sie in Heimatbüchern und -kalendern oder präsentiert und beschreibt sie in den anheimelnden Show-Räumen seines Ladens. Soeben hat er wieder eine Ausstellung eröffnet: Sie heißt "Holzwirtschaft und Jagd in Altfall". Und sie dokumentiert nun nicht mehr nur die kleine Heimat im Gebirg, sondern auch ein Stück Entstehung der größten aller Isarstädte.

Tatsächlich bestand ja das mittelalterliche München größtenteils aus jenem Baumaterial, das droben am Fluss, in den schier unerschöpflichen Nadelwäldern südlich von Lenggries, seinerzeit gewonnen wurde. Laut Michael Schattenhofer, dem langjährigen Direktor des Stadtarchivs, waren Münchens Häuser im 14. Jahrhundert noch weitgehend aus Holz gebaut und mit Schindeln von Lärchen gedeckt. Auch die erste Isarbrücke samt Mauthäusl stammte vom Bergwald.

Aus Stein bestanden nur die Stadtbefestigung, die Kirchen und wenige öffentliche Gebäude wie das Rathaus und das Rechts- und Dinghaus auf dem Marktplatz. Aber auch deren Dachstühle waren aus Holz gezimmert. Allein für die 1468 bis 1488 erbaute Frauenkirche brauchte Meister Heinrich 630 Festmeter Rundholz. Insgesamt wurden im Isarwinkel jedes Jahr ungefähr 25 000 Festmeter geschlagen, verfrachtet und verkauft.

Auf welch ausgeklügelte, mühsame und abenteuerliche Weise diese sogenannte "Holzbringung" geschah, das dokumentiert das Buidleck von Claus Eder authentisch und eindrucksvoll.

Im Winter wurde das Holz mit Schlitten abtransportiert

Es war ja eine eigene Welt mit eigener Sprache und einem sehr eigenen Menschenschlag. Historische Aufnahmen zeigen erst mal selbstgebaute Kobeln, wo die Holzknechte nach zwölftägiger Schwerstarbeit schliefen, ihre eigenen Lieder sangen, kartelten, ihren Schmarrn kochten; Lebensmittel und anderes schleppten sie mit der Krax hinauf in den Bergwald.

Dem Fotografen stellten sie sich mit Krempstiefeln bis zum Bauch, mit Hack, Spaltkeil, Steigeisen, Schepser (Schäleisen), Sapie (Wendehaken), Wiegesäge, ein Seil um den Bauch gebunden und im Notfall von Kameraden gesichert. Bei Steinschlag banden sie sich statt eines Schutzhelms ein Kissen auf den Kopf. Gerückt und gestreift, so die Fachausdrücke, wurden die gefällten Stämme von stämmigen Pferden. Später übernahm eine Bockerlbahn einen Teil des Abtransports.

Der turbinengetriebenen Draisine vertrauten sich sogar Prinzregent Luitpold und Reichspräsident Hindenburg an; sie fuhr noch bis 1956, nachdem das alte Dorf Fall vom Sylvensteinspeichersee überflutet war, hinüber zum Tiroler Bächental, wo heute begehrtes Steinöl gewonnen wird.

Das entrindete Papier-, Brenn- oder Langholz wurde zunächst aufgegantert auf freien Almen entlang der Dürrach, des Krottenbachs, des Schrombachs und anderer Isarzuläufe. Dort wurden sie von Händlern begutachtet, um ganterweise an große Münchner Bauunternehmer frei verkauft zu werden.

Ein Teil wurde auch schon auf dem Ganterplatz weiterverarbeitet, zum Beispiel zu Schwellen für den Eisenbahnbau, der die ganze Tradition schließlich zum Erliegen brachte. Wurzel- und gebündeltes Astholz ging an Köhler, die in Vorderriß noch bis 1930 ihre rauchenden Meiler betrieben.

Im Winter brachten die Holzknechte ihr Material auf großen Hornschlitten zu Tal. Aufgeladen wurde so viel "wia ganga is", berichten Veteranen. Einmal in Fahrt, waren diese Schnabler kaum zu bremsen, jeder Fahrfehler konnte tödlich enden.

Obendrein schufen diese Waldarbeiter gewaltige, in ihrer Art einzigartige Bauwerke . Sie gruben Loiten, um Wasser auf trockene Bodenrinnen zu führen.

Sie schaufelten Gräben für Riesen, kunstvolle Holzrinnen durch Schlauchten. Sie zimmerten Klausen mit Wehren, Stützen und Toren, wo das Gebirgswasser aufgestaut und dann sturzartig abgelassen wurde. Sie errichteten Rechen, um Treibholz aufzuhalten.

Der vielleicht gefährlichste Beruf im ganzen Oberland

Nicht minder mühe- und gefahrvoll als die Arbeit im Wald war der Transport auf dem Wasser. Eine der am meisten gefürchteten Engstellen war die Faller Klamm. Es brauchte eine Riesenportion Geschick und Mut, verkeilte Stämme aus so einem Fuchs zu lösen, das heißt verkeilte Stämme mit Grieshaken, langen Stangen, frei zu stoßen. Kaum ein anderer Beruf im bayerischen Oberland war seinerzeit mit höheren Risiken behaftet als der - bis heute keineswegs ganz verschwundene - Beruf der Holzer, Trifter und Flößer. Davon zeugen viele Marterl am Wald- oder Straßenrand und Votivtaferln in Kapellen. Das Los der Familien indes verrät ein Vers des Tölzer Flößermeisters Hansgirgl Zischten: "A Flößerweib is arm dro; Im Winter koa Geld und im Sommer koan Mo."

Die große Bürgerstadt jedenfalls profitierte davon. Jahr für Jahr wurden die Fichten- und Lärchenstämme auf 1800 bis 4000 Flößen vom grenznahen Isarwinkel über Tölz, wo in der Regel noch kühles Bier und andere Waren zugeladen wurden, bis hinunter nach München und teilweise noch weiter geschwemmt - auf diesem ungezähmten Gebirgsfluss, den die Kelten als "Reissende" kannten. Auf den nachhaltigen Rohstoff waren ja nicht allein Baumeister und Maurer angewiesen, sondern auch Bierbrauer und Branntweinbrenner, Kistler, Wagner, Drechsler, Bäcker, Schäffler und nicht zuletzt die 15 mittelalterlichen Badstuben.

Noch im Jahr 1864, als die Eisenbahn schon bis Wien dampfte und das ganze Traditionsgewerbe zum Erliegen brachte, passierten die Hauptstadt nicht weniger als 11 135 Flöße, die freilich nicht alle aus dem Isarwinkel kamen. Angelegt wurde immer an der Zentrallände, die sich nahe der heutigen Ludwigsbrücke befand (und kaum merklich markiert ist). Von hier aus trieb man sie auf kleinen Isarbächen weiter zum riesigen Holzlager im Lehel, wo heute zwei Museen bayerische Kulturgeschichte präsentieren.

Ein Museum würde Eder auch gern einrichten. Die Sammlung könnte sich zusammensetzen aus der gegenwärtigen Ausstellung, die noch bis morgen, Samstag, 24. Februar, geöffnet ist, und einer früheren über "Das alte Fall"; beide zusammen will der Lenggrieser Fotograf demnächst auf Wanderschaft schicken.

Freitag 15 bis 18 Uhr, Samstag 10 Uhr bis 16 Uhr, Marktstraße 5, Lenggries

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