Höllentrip Oktoberfest: Film über die Wiesn
München Wenn Regisseur Ben von Grafenstein über diese
Dreharbeiten spricht, verwendet er Wörter wie „Wahnsinn“ und
„Irrsinn“ in Serie. An 15 von 16 Tagen des Jubiläumsoktoberfestes
2010 drehte Grafenstein mit seinem Team mitten im ganz normalen
Wiesnbetrieb den Film „Kasimir und Karoline“: im Lärm von
Musikkapellen und Fahrgeschäften, im dichten Gedränge, zwischen
aufgedrehten und betrunkenen Menschen. Am Samstagabend feierte das
Werk auf dem Filmfest München Premiere.
Der Film erzählt einen dramatischen Tag im Leben von Kasimir und
Karoline: Das junge Münchner Paar will sein Zweijähriges feiern -
mit einem ausgelassenen Oktoberfestbesuch. Doch was mit innigen
Küssen unter Fahrgeschäften beginnt, entwickelt sich nach und nach
zu einem Höllentrip für die Protagonisten und die Menschen, denen
sie begegnen. Das größte Volksfest der Welt wird zur bedrohlichen
und bedrückenden Kulisse für menschliche Dramen.
Arbeit unter Extrembedingungen
„Höllentrip“ ist auch eines der Wörter, das Grafenstein für die
Dreharbeiten verwendet. Mit einem vergleichsweise kleinen Team und
handlichen Kameras mischten sich Regisseur und Schauspieler unter
die Oktoberfest-Besucher. „Wir haben versucht, sehr unauffällig zu
drehen“, schildert Grafenstein. Eine Arbeit unter Extrembedingungen:
„Man muss alles andere ausblenden, muss den Lärm aus den Ohren
kriegen.“
Karoline-Darstellerin Christina Hecke spricht von einem
„Nahkampf“. „In dieser Humba-Humba-Tralala-Atmosphäre ist es
schwierig, die Seele aufzumachen.“ Und Filmpartner Golo Euler
(Kasimir) fügt hinzu: „Die Stimmung ist irre, so viele Menschen sind
aufgewühlt oder betrunken. Das kriegt man als Schauspieler alles ab
und nimmt man mit.“
Neben Euler und Hecke sind Max Tidof („Comedian Harmonists“) als
schmieriger Musikproduzent Rauch, Robert Gwisdek als Kasimirs
krimineller Kumpel Merkl und Ester Kuhn als dessen Freundin Erna zu
sehen. Letztendlich sei alles „erstaunlich reibungslos“ gelaufen,
sagt Produzent Martin Lehwald. „Mit der Zeit stumpft man ein
bisschen ab.“
Eindringliche Bilder
Lehwald betont, der Film solle kein „Psychogramm“ des Phänomens
Oktoberfest sein. „Wir haben versucht, nicht das Gleiche zu tun wie
Magazinbeiträge und nicht in Wunden zu piksen.“ Und doch hat der
Film die Atmosphäre des Wahnsinns Oktoberfest eindringlich
eingefangen. Kameramann Ralf Noack steuerte intensive Bilder bei.
Mal folgt eine wackelige Handkamera den Protagonisten, vielfach
zerfließt das Bild in Unschärfen.
Der Film ist eine moderne Adaption des gleichnamigen
Theaterstücks von Ödön von Horvath, das 1932 uraufgeführt wurde. Der
Autor selbst siedelte sein Volksstück „auf dem Münchner Oktoberfest
und zwar in unserer Zeit“ an. Drehbuchautor Michael Klette
adaptierte es für die Verfilmung im Auftrag von ZDF.Kultur, passte
Szenen und Dialoge an, verlegte die Handlung in die Gegenwart.
Vom ursprünglichen Stück übriggeblieben sei der „Kern der
Geschichte“, ansonsten stecke aber „relativ wenig“ Horvath im Film,
erläutert der Regisseur: „95 Prozent des Dialogs sind nicht
Horvath.“
Temporeich und packend
In der Verfilmung ist Kasimir Kfz-Elektriker, der von einem
großen Autokonzern entlassen wurde. Dass er keine gesicherte Zukunft
mehr hat, schlägt ihm nicht nur aufs Gemüt, sondern auch auf die
Potenz. Seine Beziehung zu Karoline geht den Bach herunter, mündet
in einem Drama. Am Ende stehen Gewalt und viele Tränen.
Der temporeiche und packende Film schließt mit einem Monolog von
Karoline – einem der Original-Zitate von Horvath: „Man hat halt oft
so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit
gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei
gewesen.“
Auf dem Filmfest ist „Kasimir und Karoline“ noch zweimal zu sehen
(Montag, 14.00 Uhr und Mittwoch, 9.30 Uhr). „Wir hoffen, den Film
bald ins Kino zu bringen“, sagt Produzent Lehwald. Auf jeden Fall
wird er aber im Herbst auf Arte gezeigt.