Höchste Terrorgefahr in Bayern: Sind die EM-Spiele in der Allianz Arena wirklich noch sicher?

München – Nach dem Anschlag in einer Konzerthalle in Moskau vergangene Woche wächst auch in Deutschland und Bayern die Sorge vor Terroranschlägen. Im Juni steht insbesondere die Fußball-EM im Licht der Weltöffentlichkeit. Neben Millionen von Fans könnte die Sportveranstaltung auch ungeladene Gäste in den Freistaat locken: radikale Islamisten, die das Event für ihre Zwecke missbrauchen wollen. Wie sicher ist Bayern angesichts der aufgeheizten weltpolitischen Gemengelage – mit dem Krieg in der Ukraine, in Gaza und Anschlagsplänen von IS-Fanatikern – wirklich?
Innenminister Joachim Herrmann sieht eine weiterhin sehr hohe abstrakte Gefährdungslage, vor allem durch radikale Islamisten. "Unsere Sicherheitsbehörden sind höchst wachsam. Jedem Hinweis wird akribisch nachgegangen", sagt der CSU-Politiker zur AZ. "Die Einsatzvorbereitungen für die Fußball-EM laufen bei der bayerischen Polizei bereits auf Hochtouren." Vor allem die Polizeipräsidien seien darauf sensibilisiert, Schutzmaßnahmen für Einrichtungen und Veranstaltungen engmaschig zu überprüfen und falls notwendig auch zu erhöhen.
Verhaftungen und vereitelte Terror-Pläne: Gruppierung ISKP gewinnt auch in Europa an Einfluss
Für angespannte Stimmung bei Politikern und Behörden sorgt der radikal-islamistische IS-Ableger Khorasan (ISKP). Die Gruppierung aus der gleichnamigen Region in Zentralasien gewinnt auch in Europa zunehmend an Einfluss. Die Sicherheitsbehörden konnten Anschlagspläne von mutmaßlichen ISKP-Anhängern zum Jahreswechsel auf den Kölner Dom und den Wiener Stephansdom verhindern.
Darüber hinaus wurden vergangene Woche zwei weitere Sympathisanten des Islamischen Staates im thüringischen Gera verhaftet, die einen Anschlag auf das Parlament in Schweden geplant haben sollen. Auch zum Attentat in Moskau, bei dem laut Angaben der russischen Behörden 139 Menschen starben, bekannte sich der ISKP in einem Schreiben.
Mit der Frage, wie stark der Ableger des Islamischen Staates in Deutschland schon strukturell vernetzt ist, beschäftigt sich der Forscher Jannis Jost vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. "Der ISKP will gerne an die Stelle des IS treten, was den globalen Dschihad, auch in Europa, angeht. Wollen alleine ist aber noch nicht Können", sagt der Leiter der Abteilung Terrorismus- und Radikalisierungsforschung zur AZ.
"Hebt Terroranschläge auf anderes Level": Sicherheitsexperte gibt Einschätzung zur Lage in Deutschland
Mit Blick auf die Terrororganisation unterscheidet der Experte zwischen zwei verschiedenen Tätertypen und Radikalisierungsmustern. Ihm zufolge gibt es selbstständige, sich teilweise im Internet über Chatgruppen radikalisierende Einzeltäter – ohne direkte Verbindungen zu größeren Organisationen. In Attentatsvorbereitungen seien die Terrorgruppen dann weder logistisch noch bei der Auswahl des Ziels direkt eingebunden. Trotzdem sei die Existenz einer übergeordneten Organisation wichtig: Die Kriminellen können sich so als "Soldaten in einem größeren Kampf" inszenieren und dadurch auch andere Menschen von ihren Ideologien überzeugen.
Andererseits gebe es radikale Islamisten, die quasi professionell vernetzt sind – wie bei den Anschlägen in Paris 2015. "Das hebt die Terroranschläge dann auf ein anderes Level", meint Jost. Das erfordere allerdings Kommunikation zwischen den Tätern und der Gruppe. "Die Frage ist, ob der ISKP das in Europa zuverlässig kann." Aktuell gebe es ein ideologisches Milieu, das sich online unter anderem in Telegram-Gruppen austauscht, eine "Echokammer", wie Jost sie nennt, in der sich die Teilnehmer radikalisieren und zu Gewalt aufstacheln.
Sicherheitsberater erwartet weitere Festnahmen vor der Europameisterschaft in München
Besonders viel Schaden anrichten können die Täter bei Großveranstaltungen wie der Europameisterschaft, meint Axel Wochinger. Er ist Geschäftsführer eines Unternehmens am Starnberger See, das Risikoanalysen erstellt, um dadurch Firmen und ihre Mitarbeiter in Deutschland, aber auch in Ländern mit geopolitischen Verwerfungen zu schützen. Die Einschätzung des Fachmanns: "Es würde mich nicht wundern, wenn es vor der EM zu Festnahmen kommt, weil Personen etwas planen."
Seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA bergen Events mit vielen Besuchern allgemein ein erhöhtes Gefährdungspotenzial, meint Wochinger. "Man sollte bei Großveranstaltungen Aufmerksamkeit walten lassen, was um einen herum vor geht", so sein Ratschlag. "Die Gesamtlage ist aber nicht so, dass man in Panik verfallen müsste. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nicht."
Bayerns Verfassungsschutz mit Prognose: Terrorlage könnte sich weiter verschärfen
Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass der Schutz der EM oberste Priorität habe. Es findet laut dem Bundesinnenministerium eine intensive Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Ländern, Nachbar- und Transitstaaten statt. Die Gefährdungseinschätzung hat sich bisher laut dem Ministerium nicht verändert. Sie sei bereits seit Ende 2023 sehr hoch.
Bayerns Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat bereits Ankündigungen von Terrororganisationen wie Al-Qaida, dem IS und seinen Ablegern in "jüngster Vergangenheit" beobachtet, die sich gegen westliche und jüdische Ziele richten, bestätigt die Behörde der AZ. "Aus solchen Aufrufen kann sich nach Bewertung des LfV eine Verschärfung der abstrakt hohen Gefährdungslage ergeben, vor allem vor dem Hintergrund der in diesem Jahr in Bayern stattfindenden Großereignisse, vorrangig der Fußball-Europameisterschaft." Mit dem ISKP sei ein weitestgehend eigenständig operierender dschihadistischer Akteur in Europa aktiv – mit hohem Gefährdungspotenzial.
Trotz der bedrohlichen Situation hält der Sicherheitsexperte Wochinger einen Besuch der EM-Spiele für unproblematisch. "Es gibt keine Gründe ein gutes Fußballmatch nicht anzuschauen." Jeder müsse letztlich selbst entscheiden, was man sich zumutet. Ein Boykott aus Sicherheitsgründen sei jedoch "unzweckmäßig", so das Fazit des Experten.
Kritik von der Union: Debatte um Schutz der EM erreicht den Deutschen Bundestag
Mittlerweile erreicht die Debatte um den bestmöglichen Schutz der Europameisterschaft auch das politische Berlin.. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte bereits in der „Rheinischen Post“ Kontrollen an allen deutschen Grenzen zum Fußballfest an. „Das ist notwendig, um dieses internationale Großereignis bestmöglich zu schützen“, sagt die Spitzenpolitikerin.
Zuvor hatte die Grenzkontrollen bereits SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese gefordert. „Die frühzeitig von unseren Sicherheitsbehörden vereitelten Anschlagsplanungen an Silvester sowie die Festnahme von zwei Syrern in der vergangenen Woche haben deutlich vor Augen geführt, wie sehr auch wir im Visier entsprechender islamistischer Terrorzellen sind“, sagt der Bundestagsabgeordnete zur AZ.
Kritik wurde aus der Union laut. Die stellvertretende Fraktionschefin, Andrea Lindholz (CSU), verlässt sich zwar auf die Polizei und den Verfassungsschutz, doch nicht auf die Ampelregierung. „Sie gibt den Sicherheitsbehörden bislang nicht alle rechtlich zulässigen Instrumente an die Hand“, sagt die Politikerin der AZ. Ihr zufolge braucht es eine gesetzliche Mindestspeicherfrist von Daten. Zudem erschwere ein im Dezember beschlossenes Gesetz den Einsatz von V-Männern.