Hitchcock in Grünwald: Münchner Film-Institution wird geboren

München - Mit der Erfindung des Cinématographen 1895 hatten die Brüder Lumière wohl nicht im Traum daran gedacht, dass sich um das Medium Film eine milliardenschwere Industrie entwickeln würde. Neben den Hollywood- und den britischen Pinewood-Studios gibt es auch in München einen sehr bekannten Standort für Film, der heuer sein 100-jähriges Jubiläum feiert.
Die Bavaria Filmstadt am südlichen Rand von München ist eine Institution und zählt zu den erfolgreichsten Filmproduktionsstätten Europas. Auf über 300.000 Quadratmetern werden in zehn unterschiedlich großen Studiohallen preisgekrönte Filme und TV-Shows gedreht. Die Anfänge des Geländes reichen zurück bis zu den Zeiten des Stummfilms.
Bavaria Filmstadt wurde als "Emelka" gegründet
Gegründet wurde die Filmstadt am 1. Januar 1919 von Peter Ostermayr unter dem Namen "Emelka", nach der Abkürzung MLK für Münchner Lichtspielkunst AG. Sie hatte lediglich eine Studiohalle, das "Glasatelier". Da das elektrische Licht noch nicht ausreichend entwickelt war, um ein ganzes Filmset auszuleuchten, besaß das Studio eine gläserne Decke und gläserne Wände. Somit konnte für einen Dreh das Tageslicht genutzt werden.
Das erste Filmstudio auf dem Gelände, das Glasatelier, im Jahr 1920. Foto: Bavaria Film
Die Verfilmung des Romans "Der Ochsenkrieg" von Ludwig Ganghofer war der erste Stummfilm, der 1920 in der neuen Produktionsstätte am damaligen Geiselgasteig gedreht wurde. Darin geht es um einen Streit zweier Familien über das Weiderecht von 17 Kühen, der 1420 in einem Kleinkrieg endet. Franz Osten, der ältere Bruder des "Emelka"-Gründers Peter Ostermayr, führte bei dem Film Regie. Es war die Geburtsstunde einer Münchner Film-Institution, die im Laufe der Jahre einigen Weltstars zu ihren Erfolgen verhalf.
Grünwald: Hier beginnt die Karriere des Weltstars Alfred Hitchcock
Darunter war auch Alfred Hitchcock. 1925 begann der weltberühmte Regisseur seine Karriere in der "Emelka". Im Alter von nur 26 Jahren drehte der damals unbekannte Engländer mit "The Pleasure Garden" seinen ersten Spielfilm überhaupt. Auf Verlangen der Zensurbehörde musste der vorhergesehene deutsche Titel "Garten der Lust" in "Irrgarten der Leidenschaften" geändert werden.
Die Produzenten waren von dem Ergebnis so begeistert, dass Hitchcock bereits 1926 seinen zweiten Spielfilm "The Mountain Eagle" auf dem späteren Bavaria Filmgelände drehte. Er gilt heute allerdings als verschollen, es existieren lediglich ein paar Standfotos vom Set. Hitchcock selbst empfand sein Werk, in dem es um die unerwiderte Liebe eines Ladenbesitzers zu einer Lehrerin geht, als schlecht.
Ein Bild vom Set "Mountain Eagle" aus dem Jahr 1926: Alfred Hitchcock (ganz unten im Bild) mit Filmkollegen. Foto: Bavaria Film
Neue Technik, neue Studios
Ein schwerer Hagelschauer zerstörte 1928 das gläserne Dach des "Glasateliers". Anstatt das Dach zu ersetzen wurde an der Stelle ein ganz neues Studio mit festen Wänden errichtet - ohne Glasdach. Die Scheinwerfertechnik hatte sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt, weshalb man nicht mehr auf natürliches Tageslicht für einen Dreh angewiesen war.
Im darauffolgenden Jahr baute die "Emelka" ein zweites Studio, welches direkt an das im Vorjahr errichtete anschloss. Durch die technischen Neuerungen musste sich das Unternehmen auch auf die Veränderung in der Filmindustrie einstellen und baute passend zur Entstehung des Tonfilms ein Tonatelier. Doch das Ende der Stummfilmzeit brachte für die "Emelka" erhebliche Probleme. In den ersten zehn Jahren wurden im Geiselgasteig lediglich sieben Stummfilme gedreht. Das Schlachtenepos "Waterloo", das von der Entscheidungsschlacht gegen Napoleons Truppen handelt, ist 1929 eine der letzten Produktionen ohne gesprochenen Dialog. Mit 3.505 Metern Filmlänge und einer Laufzeit von 126 Minuten hatte der Film selbst für Stummfilme ein gewaltiges Ausmaß.
Das Ende der stummen Figuren: Der Film bekommt Ton
Bereits ein Jahr später hielt 1930 mit "In einer kleinen Konditorei" der erste Münchner Tonfilm Einzug in die Welt des bewegten Bildes. Für einige Schauspieler bedeutete diese Entwicklung das Ende ihrer Karrieren, da sie den Sprung von Stumm- in Tonfilme nicht schafften.
Für die Münchner Komiker-Legende Karl Valentin und seine Frau Liesl Karlstadt war die Umstellung allerdings überaus erfolgreich. 1932 spielten beide in "Die verkaufte Braut" von Max Ophüls in ihrem ersten Tonfilm mit und drehten auch später noch weitere Filme am Geiselgasteig, wie "Die Orchesterprobe" und "Die Erbschaft".
Finanziell verkraftete die "Emelka" die technische Umrüstung auf den Tonfilm nicht und musste im November 1932 Konkurs anmelden. Das Filmgelände wurde von Wilhelm Kraus, der bereits zuvor große Aktienanteile des Unternehmens gekauft hatte, ersteigert.
So wurde aus der "Münchner Lichtkunst AG" die "Bavaria Film AG". Mit dem neuen Hauptaktionär konnte die Umstellung von Stumm- auf Tonfilm dann weiter vorangetrieben werden.
Lesen Sie in Folge zwei der neuen AZ-Serie: Münchner Filme in der NS-Zeit.