Hirntumor: Leben mit Krebs im Kopf
MÜNCHEN Acht Jahre kämpfte der Sohn von Wiesnwirt Toni Roiderer gegen Tumore im Gehirn. Am Wochenende starb Markus mit nur 33 Jahren. Heute wird er in Straßlach beigesetzt. Der Münchner Neurochirurg Jörg-Christian Tonn hat Markus Roiderer im Klinikum Großhadern bis zuletzt betreut, hat die Schmerzen erträglich gemacht. In der AZ spricht Tonn über die Krankheit Gehirntumor – und wie man dagegen kämpfen kann.
AZ: Herr Professor Tonn, wie häufig erkrankt jemand in Deutschland an einem Hirntumor?
JÖRG-CHRISTIAN TONN: Es gibt pro Jahr fünf bis sechs Neuerkrankungen mit einem Tumor des Gehirngewebes pro 100000 Einwohner. Das sind nicht so viele. Brust- oder Prostatakrebs sind beispielsweise wesentlich häufiger.
Können auch junge Menschen erkranken?
Ja, Menschen um die 30 Jahre haben häufiger die etwas günstigere Form eines Tumors, ein Tumor Grad zwei. Wir unterscheiden vier Stufen, wobei Stufe 1 ein gutartiger Tumor ist. Im Laufe des Lebens können diese Tumore bei jungen Menschen aber aggressiver werden.
Was dann?
Das hängt von der genauen Beschaffenheit des Tumors ab. Die ist sehr individuell. Gutartige Tumore kann man sehr lange stabilisieren. Sie können bis zu 15 Jahre ruhen. Manchmal verschwinden die hirneigenen Tumore auch für immer. Früher gab man den Patienten wenige Monate, heute ist die Lebenserwartung deutlich höher geworden.
Wie behandeln Sie?
Manche Tumore können wir operativ unter dem Mikroskop entfernen. Wir arbeiten so genau, dass umliegende Gehirnfelder wie das Sprachzentrum oder die Sehrinde erhalten bleiben. Ansonsten entnehmen wir Gewebe, untersuchen es und entscheiden dann, wie wir mit Bestrahlung- oder Chemotherapie weiter verfahren.
Was sind erste Symptome?
Einseitige Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, ein starker Leistungsabfall, Kopfschmerzen. Dazu muss man aber sagen: Ein Hirntumor ist die seltenste Ursache für Kopfschmerzen. Man sollte sich auf keinen Fall verrückt machen, wenn mal einmal Kopfweh hat oder sich abgeschlagen fühlt. Das ist höchstwahrscheinlich kein Tumor. Wenn aber ein Erwachsener plötzlich einen epileptischen Anfall hat, sollte man auf jeden Fall einen Facharzt aufsuchen, um einen Gehirntumor auszuschließen.
Ist der Krebs genetisch bedingt?
Nein, es gibt eine Vielzahl an Mechanismen, die zur Entstehung führen können, aber einen bestimmten Schalter haben wir noch nicht gefunden. Es ist auch keine Schädigungen von außen, wie etwa Handystrahlung, gesichert bewiesen. Es ist nicht so einfach wie bei Rauchern, die wesentlich häufiger als Nichtraucher an Lungenkrebs erkranken.
Etwas wuchert im Kopf, im Denken - das nimmt die Patienten doch auch psychologisch mit, oder?
Ja, die Erkrankung ist mit einer großen Angst behaftet. Deshalb arbeiten im Spezialisten-Team auch Neurochirurgen mit Neurologen, Nuklearmedizinern, Neuropathologen und Bestrahlungsexperten eng zusammen. Auch psychologisch werden bei uns die Patienten, aber auch ihre Angehörigen betreut. Das ist ganz wichtig: dass die Familie frühzeitig eingebunden wird. So kann man Ängste nehmen.
Können die Patienten ein normales Leben führen?
Viele ja. Sie arbeiten, fahren in den Urlaub, machen Sport. Nur Autofahren ist bei Patienten mit Anfällen rechtlich nur unter bestimmten Auflagen erlaubt. Die Hirn-Forschung hat in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht. So kann ich sagen: Man kann etwas tun. Man kann einen Hirntumor über Jahre bekämpfen.
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