Hier geht's Ihnen an den Kragen: Zu Besuch in einem Münchner Traditionsgeschäft

München - Die resolute Verkäuferin fackelt nicht lang. Sie runzelt die Stirn – und schüttelt den Kopf. "Des mag i ned", verkündet sie. Die rote Schleife und das dunkelblaue Jackett passen nicht zusammen.
Eine schwungvolle Handbewegung – und die Fliege fliegt, in hohem Bogen, rüber zu einem Haufen, auf dem sich die aussortierten Fliegen stapeln.
Ohne Hochzeiten gäbe es das Krawattengeschäft in München nicht mehr
Ihr Kunde steht auf der anderen Seite der Theke und muss schmunzeln. Er wird in zwei Wochen heiraten, zu seinem maßgeschneiderten Anzug fehlt ihm nur noch die passende Halsverzierung – und Elisabeth Maier hat eine riesige Auswahl.
"Ich könnte mein Gschäft nicht mehr führen, wenn die Hochzeiten nicht wären", sagt Maier. "Es gibt halt nicht mehr so viele, die Krawatten tragen. Bei gewissen Firmen ist es eher verpöhnt", erklärt sie. Dabei habe man doch ein ganz anderes Auftreten, wenn man Krawatte trägt. Maier selbst trägt eine Perlenkette, roten Lippenstift – und Hausschuhe. Aber die sieht ja keiner, wenn sie da so hinter ihrem Ladentisch steht, in der Nähe vom Künstlerhaus am Stachus.
In Zeiten des Homeoffice trägt niemand mehr Krawatte
Auch dass mehr Leute daheim im Homeoffice arbeiten, sei schlecht für ihr Geschäft. "In den 90er Jahren, ja, da habe ich ein Riesengeschäft gemacht, da haben alle Krawatten getragen!", sagt sie. Dann seien Krawattenläden wie Pilze aus dem Boden geschossen, etwa in der Perusastraße – Bestlage. Eine große Konkurrenz für Maier: Als die Leute bei den neuen Läden Schlange standen, war ihr "altes" Geschäft in der Maxburgstraße – aus dem Jahr 1955 – uninteressant. Und heute? Ist nur noch ihres übrig.
Der Grund: "Als die Krawatte nicht mehr angesagt war, sind die alle eingegangen, weil die Mieten so teuer waren", erklärt sie. Die 15 Designer, die sie damals führte, gibt's alle nicht mehr. Jetzt verkauft sie Italo Ferretti, eine italienische Luxusmarke, und noch ein paar deutsche und italienische Firmen. 65 bis 169 Euro kosten ihre Krawatten.
Inhaberin Maier sagt: "Es gibt nicht mehr viele, die Krawatte tragen"
Aber warum trägt eigentlich keiner mehr Krawatte? "Die Meisten sagen: Der Chef trägt keine, dann trag' ich auch keine. Ich kann ja ned besser ausschauen als der Chef", mutmaßt die 73-Jährige. "Es gibt wenige, die anders denken. Die Meisten san feig' und traun sich ned. Oder sie san halt gschlampert", sagt sie über Krawattenverweigerer.
"Die Farbe ist schön, das Muster gefällt mir nicht", sagt der immer noch fliegenlose Bräutigam über das nächste Exemplar. "Hinweg!", sagt Maier entschlossen und schmeißt es auf den immer größer werdenden Haufen. Ein silber schimmerndes Modell gefällt dem Bräutigam - ihr Abflug verschiebt sich erstmal.
Beim Ankleiden wird im "Krawatten Hoff" schon mal auf die Brust gehauen
Fragt sich bloß noch, wie aus dem Stoffband jetzt eine ordentliche Schleife wird. "Kein Problem, ich binde Ihnen das vor! Wie viele Sekunden haben Sie noch?" fragt Maier, sie selbst hat das Binden von Vorlagen gelernt. Gummizug mag leichter sein, aber davon hält sie nichts.
Ihrem Kunden pressiert's. Und ein Einstecktuch braucht's auch noch. Kein Problem für das Energiebündel an Verkäuferin. Sie zieht eine hölzerne Schublade nach der anderen auf, hebt sie zum Teil sogar komplett heraus und stellt sie auf den Tresen, um endlich das passende Hochzeitsaccessoire herbeizuzaubern.

"Entschuldigung!," platzt es aus der Krawattenspezialistin heraus. Sie hat dem Herrn gerade ein Tuch in die Brusttasche gesteckt und mit der flachen Hand – ohne Vorankündigung – fest drauf gehauen. "Die Herren lachen meistens, wenn ich draufhau, aber was bleibt mir anderes über!", rechtfertigt sie sich. Bauschig dürft's halt nicht sein, sonst gebe es einen "zu starken Busen".
Ein weißes Telefon mit Wählscheibe klingelt an der Wand. Maier hebt ab. "Lieber Herr, ich kann jetzt nicht! Das Geschäft ist voll!", so würgt die Ladenchefin den Anrufer ab und hängt gleich wieder ein. Ja, hier geht's ganz schön zu - aber das ist nicht immer so.
Auch dem Paketboten wird im "Krawatten Hoff" Schokolade angeboten
Wenn weniger los ist in ihrem Retro-Laden, in dem seit 1955 fast alles unverändert ist, serviert sie gern mal Dallmayr-Kaffee und Wasser, mit oder ohne Sprudel. Das habe sie im Blut, weil ihre Großmutter Wirtin war.
"Mögen'S a Toffifee?", flötet sie selbst dem Paketboten hinterher, der ihr gerade ein längliches Packerl übergeben hat – die Frage nach dem Inhalt erübrigt sich. Vor allem abends sei das Geschäft oft voll, sagt Maier. Die Leute kämen halt nach der Arbeit. In der Früh dagegen oft tote Hose. Aber Maier weiß, sich die Zeit zu vertreiben.

Sie stöbert dann in einem der vielen Bücher, die sie auf ein Regalbrett an der Wand gestellt hat. Im Moment liest sie Geschichtsbücher: Die Entstehung des Weltstaatensystems, Kaiser Friedrich II., Weltgeschichte 1 und Weltgeschichte 2. Nur Gedichte, damit hat sie's gar nicht. Auch Richelieu und Voltaire steht dort auf den Bücherrücken – Maier spricht perfekt Französisch. Aus gutem Grund.
Ihre Familie hatte in Niederbayern eine Ziegelei, ein Sägewerk und eine Brauerei. Dort einzusteigen? "Auf die Idee wär ich nie gekommen!", sagt sie. Stattdessen hat sie Englisch und Französisch für's Lehramt studiert, zwölf Semester lang. Dann brach sie ihr Studium ab. "Weil ich so depressiv war", erklärt sie. Eigentlich wollte sie Tänzerin werden. In der Disco habe sie einen Mann kennengelernt, mit dem sie ein paar Mal ausgegangen sei. "Er hat mir dann eine Freundin vorgestellt", erzählt sie. Und das war die damalige Besitzerin des Krawattengeschäfts.
1979 übernimmt Elisabeth Maier das Krawattengeschäft
Nach dem Uni-Aus hat sie angefangen, hier mitzuarbeiten. "Dann kriegt die 'nen Brief aus Amerika!", erzählt Maier. Geschrieben hatte ihn ein Millionär, der ihre Vorgängerin auf dem Oktoberfest kennengelernt hatte. Jetzt wollte er, dass sie rüberkommt nach Amerika und ihn heiratet - was ihre Chefin dann auch gemacht hat. "Dann hab ich das Geschäft übernommen", erinnert sich Maier. Das war 1979.

"Zammtackern oder ned?" fragt Maier den Bräutigam und zeigt auf die Belege, die ihr Karten-Lesegerät gerade ausgespuckt hat. Zammtackern. Dann verabschiedet sich der Bräutigam samt Fliege und Einstecktuch für 160 Euro.
Jetzt bleibt Elisabeth Maier allein zurück in ihrem Geschäft in der Maxburgstraße. Zeit zum Lesen? Erstmal nicht. Der bunte Verhau auf der Theke – Krawatten, Einstecktücher, Schutzfolien, Pappkartons – räumt sich nicht von alleine weg. Und dann wäre da noch der große Haufen an aussortierten Fliegen.
Fachgeschäfte in München sterben aus: Das sagt die Stadt
Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) ist daran gelegen, möglichst viele inhabergeführte Geschäfte in der Innenstadt zu haben – und zu erhalten. So unterstütze die Stadt die Fachgeschäfte: "Auf die Vermieter der Läden können wir keinen Einfluss nehmen, aber wir können die Fußgängerzonen qualitätsvoll gestalten", so Baumgärtner. Er nennt Sauberkeit und eine niedrige Kriminalitätsrate als wichtige Faktoren für eine hohe Besucherfrequenz.
Umfragen hätten gezeigt, dass es den Menschen darauf ankäme. Es sei auch Verständnis bei den Vermietern notwendig, die Mieten nicht beliebig zu steigern. Der Vermieter des "Krawatten Hoff" sei der Freistaat Bayern, der die Miete auf einer vernünftigen Höhe belässt. Das bestätigt auch die Inhaberin.