Herzchirurg Reichert: "Ich habe großen Respekt vor Kardiologen"

Ab heute treffen sich mehr als 30000 Kardiologen in der Messe. Der Münchner Herzchirurg Bruno Reichart verfolgt die konkurrierende Disziplin mit Interesse, aber auch mit (Selbst-)Kritik.
von  Michael Backmund

Ab heute sind die Meister der Herzen fünf Tage in München: Rund 32000 Mediziner diskutieren in den Messehallen in Riem auf dem Europäischen Kardiologenkongress 2012 die aktuellsten Fortschritte in der Herzmedizin. Der AZ-Kolumnist Bruno Reichart ist einer der weltweit bekanntesten Herzchirurgen. Seit Jahrzehnten verfolgt er den fachlichen Wettstreit zwischen Kardiologen und Chirurgen bei der Suche nach den erfolgreichsten Behandlungsmethoden. Mit Spannung hat er das 500-seitige Programm seiner Kollegen studiert. Im AZ-Gespräch spricht Reichart über seine Bewunderung für die Leistungen der Kardiologie und prophezeit ein Zusammenwachsen der beiden medizinischen Fachdisziplinen in den nächsten zehn Jahren.

AZ: Herr Professor Reichart, was zeichnet einen guten Kardiologen aus?

PROF. BRUNO REICHART: Einen guten Kardiologen macht aus, den Herzchirurgen so lange zu verhindern, wie es geht. Für die Patienten ist es auch angenehmer, wenn sie durch Medikamente oder einen Herzkatheter-Eingriff therapiert werden. Einen guten Kardiologen zeichnet aber auch aus, dass er weiß, wann er an seine Grenzen kommt, um dann einen guten Herzchirurgen zu Rate zu ziehen – und zwar rechtzeitig, bevor der Patient als Notfall auf dem OP-Tisch landet.

Interessiert den Herzchirurgen die Kardiologe überhaupt?

Ja selbstverständlich. Ich habe aber manchmal den Eindruck – das ist nun eine kleine Kritik an den kardiologischen Freunden –, dass wir mehr von der Kardiologie verstehen als sie von der Chirurgie. Ich habe den leisen Verdacht, dass sie manchmal gar nicht so genau wissen, was wir eigentlich machen.

Also Konkurrenz, Hassliebe oder Partnerschaft?

Hassliebe kann man nicht sagen. Es besteht schon eine Konkurrenz in den Methoden. Da muss ich an uns Herzchirurgen auch Selbstkritik üben: Wir haben uns jahrelang zu wenig um die Technologien der Kardiologen gekümmert, haben sie verspottet, lächerlich gemacht. Wenn man heute die Herzkranzgefäße über einen Schlauch, also einen Katheter, aufdehnen und der Patient am übernächsten Tag wieder heim gehen kann, dann ist das schon etwas! Es sollte im Sinne des Patienten ein fairer Wettstreit um die jeweils besten Behandlungsmethoden sein. Und die besten Kardiologen, die ich kenne, haben immer einen guten Draht zum Chirurgen. Und wollen beraten werden und die Fälle gemeinsam diskutieren.

Gab es in Ihrer langen Laufbahn einen Moment, an dem Sie neidisch waren auf die Kardiologen?

Nein. Im Gegensatz dazu, was man von mir behauptet, habe ich großen Respekt vor den Kardiologen.

Was bewundern Sie an ihnen am meisten?

Ihre Tatkraft, immer wieder neue Dinge zu erproben, neue Stents und Medikamente auszuprobieren, die in der Tat Operationen und Transplantationen hinausschieben.

Also nur Bewunderung?

Das Einzige, wovor ich warne: Viele Kardiologen machen sich zu sehr von Industriegeldern abhängig. Die Studien sind in der Regel alle von der Pharmaindustrie gesponsert. Kardiologen und Herzchirurgen sollten sich lieber gemeinsam mehr mit der eigenen Grundlagenforschung und ihrer Umsetzung in den klinischen Alltag beschäftigen. Zu oft wird von der Industrie das fertige Produkt angeboten, das der Kardiologe dann am Patienten erprobt. Der erste Schritt fehlt: „Translationale Medizin“, was auch ein Motto des Kongresses ist, bedeutet den ersten Schritt als Mediziner und Forscher vom Labor über den Tierversuch zur Therapie am Menschen selbst zu begleiten.

Früher konnte man verengte Herzkranzgefäße nur mit Bypässen operieren – wie haben Sie die Erfindung des Ballonkatheters und später die Möglichkeit der Stents erlebt?

Das war ein Meilenstein der Medizingeschichte, eine echte Sensation. Ich habe den Mediziner und Forscher Dr. Andreas R. Grüntzig persönlich kennen gelernt. Damals haben ihn alle noch für verrückt erklärt. Trotzdem gelang es ihm am 16. September 1977 erstmals am Universitätsspital Zürich, dem herzinfarktgefährdeten Patienten Dölf Bachmann die verengten Herzkranzgefäße mittels eines von ihm entwickelten Ballonkatheters zu erweitern – die sogenannte Dilatation.

Was genau hat das bedeutet?

Diese Methode hat die Behandlung der Koronaren Herzkrankheit, der häufigsten Erkrankung unserer Bevölkerung, revolutioniert: Grüntzig schob mit seinem Team erstmals einen kleinen Ballon mittels einer Plastiksonde über die Beinarterie zu den Herzkranzgefäßen vor. Dann wurde das verengte Gefäß des Patienten erweitert und die Versorgung des Herzanteils mit Sauerstoff wiederhergestellt. Im Nachhinein betrachtet, hätten wir Herzchirurgen bereits damals damit beginnen sollen, enger mit den Kardiologen zusammenzuarbeiten. Aber nachher ist man immer schlauer.

Was erwarten Sie vom Kardiologenkongress 2012?

Es ist ein Mammutkongress. Alle strittigen Fragen der Kardiologie mit ihren rasanten Entwicklungen werden kontrovers diskutiert. Live-Eingriffe aus aller Welt werden gezeigt, es gibt Seminare zum Erlernen neuer Technologien. Das Kongressbuch ist ganze 500 Seiten dick!

Welche Entwicklungen sind besonders spannend?

Ein großes Thema sind der so genannte „perkutane Klappenersatz“. Also der Ersatz defekter Aortenklappen mittels eines über die Leistenarterie eingeführten Katheters. Mich persönlich hat es auch fasziniert, dass es bereits Herzschrittmacher gibt, die keinen Schrittmacherdraht zum Herzen mehr brauchen, sondern ohne Sonde die Impulse direkt an die Herzspitze „funken“. Spannend ist auch das so genannte Taschenformat-Herzecho: Der Arzt hat das kleine Gerät wie ein Stetoskop in seiner Tasche, hält es dem Patienten an die Brust und kann so direkt sehen, wie Herz und Klappen funktionieren.

Ein großes Thema ist auch die Prävention ...

Ja. Das zunehmende Problem der Fettleibigkeit macht gerade die ganzen schönen Erfolge des Nicht-Rauchens zunichte. Die Leute rauchen weniger, aber sie werden dicker und bewegen sich zu wenig. Deshalb ist auch die Behandlung des Bluthochdrucks ein großes Thema des Kongresses. Denn Hypertonie, Diabetes, Herzschwäche hängen zusammen, sie sind eine Einheit.

Worauf kommt es an?

Es ist wichtig, früh damit zu beginnen, sein Idealgewicht zu halten und sich täglich 15 bis 30 Minuten zu bewegen. Und die, die durch ihre Gene benachteiligt sind, wofür niemand etwas kann, müssen zusätzlich durch Medikamente vor Bluthochdruck und Arteriosklerose geschützt werden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gendermedizin: Wie kann man verhindern, dass Frauen zum Beispiel im Falle eines Herzinfarkts immer noch häufiger sterben? Spannend sind auch die Hybrideingriffe am Herzen.

Was versteht man darunter?

Dass der Kardiologe und der Herzchirurg zusammen arbeiten: Zum Beispiel macht der Chirurg einen Bypass zum wichtigsten Herzkranzgefäß und der Kardiologe setzt in weiteren Gefäßen noch Stents. Das ist ein Hybrideingriff – sinnvoll und effektiv.

Warum sind solche Kongresse wichtig?

Ich bin ein Vertreter davon, dass die Fortbildung von Ärzten nicht von der Pharmaindustrie durchgeführt wird, sondern die einzelnen Methoden und ihre Probleme auf Kongressen kritisch von Kollegen vorgestellt werden. Besonders spannend sind Panels, bei denen Spitzenmediziner ihr Wissen und ihre Methoden im Überblick vorstellen.

Was wünschen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen für den Kongress?

Spannende Vorträge. Auf Kongressen gibt es nichts Schlimmeres als langweilige Vorträge, das ist Zeitverschwendung.

Was unterscheidet aktuell einen Kardiologen von einem Herzchirurgen?

Im Moment ist der Herzchirurg vielleicht noch ein paar Prozent mehr energischer im Zupacken. Ein Chirurg operiert und muss aufschneiden. Der Kardiologe ist der Prototyp eines modernen Internisten, der mehr und mehr auch selbst operiert. Ich glaube, dass es in zehn Jahren den Unterschied gar nicht mehr so gibt.

Wie sieht Ihre Vision für die Herzmedizin dann aus?

Meine Vision in zehn Jahren ist es, dass sehr viele Patienten von Ärzten und Ärztinnen behandelt werden, die sowohl kardiologische Methoden wie Herzkathetern, Dilatieren, Stenten beherrschen, als auch bis zu einem gewissen Level herzchirurgische Eingriffe machen können. Die Technologien von beiden Fachdisziplinen in einer Hand sind sehr wünschenswert. Denn der Kardiologe braucht den Chirurgen und der Chirurg braucht den Kardiologen. Das Simpelste wäre es also, wenn man beides in einem Hirn zusammen fassen könnte. Das wird kommen, davon bin ich überzeugt.

Was bedeutet das konkret?

Die beiden Fachdisziplinen der Kardiologie und Herzchirurgie müssen noch enger zusammen wachsen. Die Zukunft sind gemeinsame Hybrid-OP-Räume, in denen man sowohl minimalinvasive Eingriffe, wie auch herzchirurgische Operationen mit einer Herz-Lungenmaschine durchführen kann. Und zwar an einem Ort, in einem Zentrum, in einem Raum. Meine Vision eines guten Herzspezialisten ist ein interdisziplinärer Interventionist! Das wird die Zukunft sein.

 

 

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