Herr Schießler, was wünschen Sie der Stadt München für 2019?

Der Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler im Interview: Über den besonderen Zauber des Heiligabends, leere Innenstadt-Viertel – und die Frage, was er München 2019 wünscht.
von  Felix Müller
Ein ungewöhnlicher – und ungewöhnlich begeisternder und obrigkeitskritischer – Pfarrer: Rainer Maria Schießler.
Ein ungewöhnlicher – und ungewöhnlich begeisternder und obrigkeitskritischer – Pfarrer: Rainer Maria Schießler. © AZ-Archiv/Daniel von Loeper

AZ: Herr Schießler, hat man an Weihnachten als Pfarrer ruhige Momente – ganz für sich?
RAINER MARIA SCHIESSLER: Feste gibt es nur in Gemeinschaft, nicht alleine. Aber ja, natürlich, ich habe ein paar Menschen, mit denen ich das ganze Jahr eng zusammen bin. Mit denen esse ich an Heiligabend zu Abend, und auch an den Weihnachtsfeiertagen trinken wir Kaffee zusammen. Das kommt nicht zu kurz.

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Worauf freuen Sie sich in der Gemeinde? Auf Heiligabend – oder doch mehr auf die Feiertage, an denen es ruhiger wird?
Der Heilige Abend ist doch nicht stressig! Hier einen Gottesdienst zu halten, das kann ich nicht Arbeit nennen. Das sind Höhepunkte, Momente, in denen ich mich fallenlassen kann.

Inwiefern?
Ich bin umgeben von hervorragender Kirchenmusik, ich habe Jugendliche um mich herum, die mich jedes Jahr überraschen mit ihrer Gestaltung. Heuer machen sie einen Poetry Slam aus dem Weihnachtsevangelium, das kann ich mir noch gar nicht vorstellen. Ich gebe ihnen da volle Freiheit.

Und dann wird der Pfarrer an Heiligabend überrascht?
Genau! Ich habe keinen Stress. Auch vor Heiligabend nicht.

Echt nicht?
Echt nicht.

Wissen Sie schon, was Sie an Heiligabend predigen?
Mir ist heuer sehr wichtig, darüber zu sprechen, dass man überall mit Vorschlägen befeuert wird, wie man Weihnachten feiern soll. Ich nehme Beispiele aus der Werbung raus; Du musst zu Lidl. Du musst das richtige Kondom kaufen.

Was sagen Sie denn den Leuten: Wie sollen Sie Weihnachten feiern?
Damit die Festtage Festtage werden, sollte man zulassen, was in dem Stall in Bethlehem geschieht. Dass die Liebe greifbar wird, dass wir in die Liebesschule Gottes gehen. Das muss man sich gefallen lassen. Aber um mitzufeiern, muss man nicht schwerfromm sein.

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Nein?
Wenn jemand zu mir sagt, er feiert Weihnachten gerne, weil er Gemeinschaft mag und die Stimmung und das gute Essen und weil er Menschen mag, dann haben wir doch schon eine Schnittmenge. Nur wenn er dann rausgeht und sagt: Das ist doch schon Weihnachten. Dann sage ich: Nein, das ist es noch nicht. Weihnachten ist die Tatsache, dass ich eine unglaubliche Nähe Gottes spüren und von ihr reden darf.

Im Glockenbachviertel, um Ihre Kirche, brennt an Weihnachten in kaum einer Wohnung das Licht. Die gut verdienenden Zugezogenen fahren weg zu ihren Familien, dahin, wo sie hergekommen sind.
Ich merke das an zwei Dingen: Es sind ab dem 23. unglaublich viele Parkplätze frei. Und: Viele unserer Familien mit Kindern sind an Weihnachten nicht da. Die fahren nach Spanien, nach Österreich, überall hin. Wo halt ihre Familien sind.

Ihre Kirche ist trotz der fehlenden Stammgäste an Weihnachten aber nicht leerer als sonst, oder?
Im Gegenteil. Wir müssten anbauen!

Wie gehen Sie damit um, dass an Weihnachten viele in die Kirche kommen, die das ganze Jahr nicht da sind. Versucht man, die an diesem Tag bewusst anzusprechen und zu begeistern, damit sie zu Ihren Stammgästen werden?
Ich rede an Weihnachten, wie ich immer rede. So, dass uns auch die verstehen, die vielleicht bei einem herkömmlichen Kirchen-Slang überfordert wären. Und jeder darf spüren, dass es seine freie Entscheidung ist, wie oft er kommt. Man kann die Nähe Gottes auch spüren, ohne oft in den Gottesdienst zu gehen.

Viele Münchner klagen, der alt-münchnerische Charme gehe in der Stadt immer mehr verloren. Hat sich die Weihnachtsstimmung in München in den letzten Jahrzehnten verändert?
Da frage ich zurück: Was soll das sein, der alte Münchner Charme? Also, mit Weihnachten verbindet doch jeder seine Heimat. Aber ein alt-münchnerisches Weihnachten kenne ich trotzdem nicht. Ich würde auch nie eine Einladung annehmen zu einer Südtiroler Weihnacht. Was soll das sein? Das gibt es nicht! Weihnachten hat in Bethlehem stattgefunden.

Offensichtlich ist Weihnachten auch in dieser hektischen Zeit vielen Menschen besonders wichtig.
Ein besonderer Moment an Weihnachten ist der Punkt, an dem es still wird. Die ganze Hektik, die zum Teil künstlich ist und zum Teil mit der Vorbereitung zu tun hat, findet ein abruptes Ende. Und das hat nichts mit dem Ladenschluss am 24. mittags zu tun. Selbst wenn die Läden weiter offen hätten: Die Hektik findet ein Ende im Stall von Bethlehem. Irgendwo ist da ein Punkt in unserem Bewusstsein erreicht, an dem wir sehen, worum es wirklich geht, was wichtig ist. Wir werden von diesem Licht aus der Höhe angestrahlt. Und dann hat alles andere zweitrangige Bedeutung. Das kann man auf andere Dinge übertragen.

Auf welche?
Die Gewalt bleibt auf einmal stehen. Menschen hören für ein paar Stunden auf, sich zu bekriegen. Dinge, die sonst immer zählen – Aktien! – spielen keine Rolle mehr. Es kehrt eben Stillle ein. Das ist für jeden Menschen beispielgebend.

Was wünscht Münchens bekanntester Stadtpfarrer der Stadt und den Münchnern für 2019?
Ich wünsche mir, dass ein Ruck durch die Gesellschaft dieser Stadt geht, dass wir endlich mehr Rücksicht auf unsere Umwelt und unseren Planeten nehmen. Es muss nicht alles großflächig gemacht werden, ein jeder kann bei sich selbst anfangen. Lasst euer verdammtes Auto stehen, belastet diese Stadt nicht mehr als nötig! Wenn ihr Vermieter seid, verlangt nicht mehr als nötig! Ich wünsche mir ein Umdenken, ein zueinander Hindenken – genau das, was Weihnachten will: Kommt zu uns – wir schicken euch nicht weg!

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