Hendl-Skandal: Keime und Antibiotika im Fleisch
München - Zum Beispiel Johann Steiner. Der Unternehmer aus dem Raum München hatte im Herbst eine heftige Lungenentzündung bekommen. Steiner (Name von der Red. geändert) ging zum Arzt, bekam ein Antibiotikum – ohne Erfolg. Der Arzt verabreichte ein zweites Präparat, auch das zeigte keine Wirkung. Als sich der Zustand des 48-Jährigen weiter verschlechterte, er in Lebensgefahr schwebte, musste er in ein künstliches Koma versetzt werden. Inzwischen ist er halbwegs über den Berg. Es ist ein grassierendes Problem: Antibiotika zeigen keine Wirkung, weil sich immer mehr resistente Keime entwickeln. Eine der Ursachen dafür: Die massenweise Verwendung von Antibiotika in der Viehzucht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) hat jetzt die Belastung von Hähnchenfleisch untersucht – mit erschreckendem Ergebnis.
Dass rund 95 Prozent der Masthähnchen Antibiotika bekommen, haben zuletzt Untersuchungen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ergeben. Was der BUND aber gestern auftischte, ist alarmierend – und lebensgefährlich: In zehn von 20 Fleischproben, die in Supermärkten und Discountern gefunden wurden, fanden sich sogar Keime, die gegen Antibiotika resistent sind.
Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen:
Wie und wo wurden die Stichproben durchgeführt?
BUND Mitarbeiter kauften 20 Fleischproben (Schenkel, Flügel, Brustfilet, Frikasseehuhn) in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und in der Region um Stuttgart. Sie wurden auf zwei resistente Keim-Arten untersucht: ESBL und MRSA. ESBL ist ein Darmkeim, er fand sich auf 50 Prozent der Proben. MRSA schädigt Haut und Schleimhäute bis hin zu Blutvergiftungen und Lungenentzündungen.
Was waren die Ergebnisse im Detail?
ESBL-belastet waren drei Proben des Hähnchenlieferanten „Wiesenhof“, gekauft in Berlin, in Köln und in der Stuttgarter Region. Drei Proben des Lieferanten „Sprehe“ wiesen ebenfalls ESBL-Keime auf, gekauft wurden sie in Köln und Nürnberg. Auch Hähnchenfleischproben von „Stolle“ wurden beanstandet. BUND-Agrarexpertin Kathrin Birkel: „Der Kauf von Hühnchenfleisch hinsichtlich Keimen mit Antibiotika-Resistenzen ist ein Glücksspiel mit unbekanntem Ausgang.“
Warum sind diese Keime so gefährlich?
Zahlreiche Bakterien können beim Menschen unterschiedlichste, teils lebensgefährliche oder sogar tödlich verlaufende Krankheiten verursachen. Durch massenweise an Tiere verabreichte (oder auch Menschen schon bei harmlosen Erkältungen verschriebene) Antibiotika entstehen resistente Keimstämme, gegen die Arzneimittel nicht mehr wirken – wie im eingangs geschilderten Beispiel.
Wie kommen die resistenten Keime an das Geflügel?
Kathrin Birkel: „Viele Artgenossen auf wenig Raum, Stress, Hitze, Hygieneprobleme – ohne Hilfsmittel funktioniert Massentierhaltung nicht. Um die Fleischerzeugung in industriellem Maßstab aufrechterhalten zu können, werden Antibiotika eingesetzt. Je mehr Antibiotika eingesetzt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich resistente Bakterien bilden. Resistenzbildung wird zudem begünstigt, wenn Antibiotika zu kurze Zeit und/oder ohne vorherigen Test des Erregertyps gegeben werden.“
Wie kann ich bei der Zubereitung von Hühnerfleisch die Gefahr reduzieren?
Reinhild Benning, BUND-Agrarexpertin zur AZ: „Hühnchenfleisch, aber auch alles andere Geflügelfleisch, muss ausreichend lange und ausreichend erhitzt durchgegart werden. Die Kerntemperatur soll mindestens 70 Grad betragen. Erst wenn der austretende Saft klar und nicht mehr rot ist, sind alle Keime abgetötet.
Ganz wichtig ist es, alle bei der Geflügelzubereitung benutzten Werkzeuge wie Messer oder Küchenbretter gründlich abzuwaschen, bevor sie zum Beispiel zur Zubereitung von Salat verwendet werden. Auch die Hände sollten gründlich gewaschen werden, manche Keime werden über die Haut übertragen.“
Welches Fleisch ist neben dem von Hühnern betroffen?
Generell gilt die Warnung für alle Sorten von Fleisch von Tieren, die in Massentierhaltung gehalten und mit Antibiotika behandelt werden. Das Ergebnis lasse sich, so Benning zur AZ, von den untersuchten Hühnchenteilen auf alles Hühnerfleisch, also auch auf ganze Brathendl oder Suppenhühner übertragen. Besonders empfänglich ist aber Geflügel. Eine Untersuchung von „Ökotest“ hat ergeben, dass vor allem Putenfleisch stark mit Antibiotika belastet ist.
Was fordert der BUND?
Vorsitzender Hubert Weiger sagt: „Die Handelsketten und Supermärkte müssen mit Keimen belastetes Fleisch aus den Regalen verbannen. Von ihren Fleischlieferanten müssen sie verlangen, dass diese umgehend zu Tierhaltungsformen ohne Antibiotika-Missbrauch wechseln.“
Von Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) verlangt die BUND-Expertin Reinhild Benning, umfassende Daten über die Keimbelastung von Lebensmitteln zu erheben und offenzulegen. Außerdem müsse die Bundesregierung dem Beispiel der Niederlande und Dänemarks folgen und verbindliche Pläne zur Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes aufstellen.
Reagiert die Politik auf die Missstände?
Zufall oder nicht – am Tag der BUND-Pressekonferenz ließ Landwirtschaftsministerin Aigner verlauten, dass die Bundesregierung den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung drastisch reduzieren will. Zugleich sollen die Kontroll-Möglichkeiten stark ausgeweitet werden. Der Gesetzentwurf soll schon bald ins Bundeskabinett kommen.
Die Alternative: Das Bio-Hendl
Münchner Studie: „Sie enthalten deutlich weniger resistente Keime“
Antibiotika oder resistente Keime im Fleisch lassen sich nicht vermeiden – sie kommen aber in Öko-Ware ganz entschieden seltener vor. Das ergab auch eine Untersuchung von Professor Johann Bauer, Inhaber des Lehrstuhls für Tierhygiene der Technischen Universität München.
Danach liegt in Öko-Betrieben der Anteil antibiotikaresistenter Bakterien deutlich niedriger als in konventionellen Betrieben. Bauer: „Somit leistet die ökologische Tierhaltung nicht nur einen Beitrag zum Tierschutz, sondern trägt auch zur Sicherung der weiteren Wirksamkeit von Antibiotika bei Mensch und Tier bei.“
Dass sich die Krankheitserreger auch beim Kauf von Bio-Fleisch nicht zu 100 Prozent vermeiden lassen, führt die Ernährungswissenschaftlerin Sabine Klein von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen darauf zurück, „dass diese Krankheitserreger weit verbreitet in der Umwelt sind.“ Damit könne es im Einzelfall sogar vorkommen, dass solche resistenten Keime auch bei Fleisch aus Betrieben vorkommen, die gar keine Antibiotika eingesetzt haben.
Trotzdem rät Sabine Klein dazu, Biofleisch oder Fleisch von Anbietern zu kaufen, die nur geringfügig Medikamente einsetzen und die Hähnchen artgerecht, also zum Beispiel mit Außenauslauf halten. Die Expertin: „Dadurch kann man dazu beitragen, dass weniger Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt werden.“
„Selbst Biolandwirte dürfen Antibiotika einsetzen“, sagt Klein. Allerdings sei das in der artgerechteren Tierhaltung stets das letzte Mittel und dürfe auch nur einmal angewendet werden, wenn nichts anderes mehr wirkt. Bekommen Biohähnchen wegen einer erneuten Krankheit zum zweiten Mal Antibiotika, darf das Fleisch nicht mehr als „Bio“ vermarktet werden. In der konventionellen Tierhaltung ist Antibiotikaeinsatz dagegen häufig.
Bester Hinweis auf eine weniger intensive Tierhaltung ist das Biosiegel, das für deutlich artgerechtere Tierhaltung steht. Etiketten wie „tiergerechte Haltung“ oder „kontrollierte Aufzucht“ bieten keine Garantie, da diese Begriffe nicht geschützt sind.