Hausärzte dürfen impfen: Der Mediziner-Marathon

Seit Ostern verdoppeln rund 1.200 Münchner Hausärzte das Impftempo in der Stadt - sie haben schon 22.964 Spritzen gesetzt. Aber der Stress zerrt an den Nerven. Zu Besuch bei einer Praxis in Schwabing.
Irene Kleber |
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Patientin Christa Bauer (77) bekommt endlich ihre Erstimpfung bei ihrem Arzt. "Ich habe keinen Computer, um mich im Impfzentrum anzumelden."
Patientin Christa Bauer (77) bekommt endlich ihre Erstimpfung bei ihrem Arzt. "Ich habe keinen Computer, um mich im Impfzentrum anzumelden." © Daniel von Loeper

München - Es ist still auf dem langen Praxisflur, aber es ist eine atemlose Stille. Leise summt das Telefon, Zettel rascheln, Türen klackern, Dr. Til M. huscht aus einem Raum heraus und in den nächsten hinein.

Und immer wieder stoßen die Arzthelferinnen Michaela und Doris hinter dem Empfangstisch in einer Weise Seufzer aus, dass man sich fragen muss, wie sie das schaffen: Listen schreiben, Namen streichen, Formulare aushändigen, prüfen, wegsortieren, Patienten ins richtige Zimmer bugsieren, Etiketten beschriften, Ausweise stempeln, Fragen beantworten, und immer wieder das Telefon, Grüß Gott, Frau Meier, der nächste bitte.

So läuft ein Impftag in der Hausarztpraxis ab

Es ist Dienstag, 15 Uhr in der Schwabinger Hausarztpraxis, der zweite, erschöpfende Marathon-Impftag nach den Osterfeiertagen, an dem der Hausarzt seine Patienten gegen Corona impft.

42 Impfdosen von Biontech-Pfizer sind am Mittag über eine Apotheke angekommen, in sieben winzigen Ampullen à sechs Dosen. Bestellt hatte der Arzt für den Tag aber 50 Dosen - was bedeutet, dass sie acht Patienten, die einbestellt waren, wieder absagen mussten. Und dass sie bis zum Abend 42 Impflinge durchschleusen werden - in einem Zeitfenster, in dem (nach den Hausbesuchen mittags) sonst nur zehn Patienten kommen. Deren Termine wiederum haben sie verschieben müssen.

Patienten einbestellen, Termine verschieben, den Durchblick behalten - die Mitarbeiterinnen Doris (l.) und Michaela brauchen gerade starke Nerven.
Patienten einbestellen, Termine verschieben, den Durchblick behalten - die Mitarbeiterinnen Doris (l.) und Michaela brauchen gerade starke Nerven. © Daniel von Loeper

Impftermin-Chaos in München

Dabei hatten sie letzte Woche schon das reinste Impftermin-Chaos. "Für den Dienstag nach Ostern hatten wir 36 Dosen bestellt und deshalb für 36 Patienten Termine gemacht", sagt Michaela, "aber es sind exakt null Dosen gekommen."

Hieß: 36 Menschen anrufen und wieder absagen. Dann kam der Anruf, es werde nun doch geliefert, weil man den Impfstoff einigen Privatärzten weggenommen habe - die sollen erst später beim Impfen einscheren. Mittwoch also telefonierten die Damen wieder alle 36 durch, man möge nun doch bitte am Donnerstag kommen, "als hätten wir hier sonst nichts zu tun . . ."

Am Empfang stapeln sich die gelben Impfausweise der Patienten, die nun endlich ihren Stempel bekommen.
Am Empfang stapeln sich die gelben Impfausweise der Patienten, die nun endlich ihren Stempel bekommen. © Daniel von Loeper

Der Hausarzt indes versucht, mit größtmöglicher Ruhe die Spritzen zu setzen, eine nach der anderen, dazwischen fragt er nach Allergien, dem Gesamtbefinden, auch nach dem Darm und dem Herz und der Gattin, und ist Ihr Enkelkind schon angekommen? Anders geht es auch nicht, als zutiefst konzentriert zu bleiben.

Das Vakzin wird wie Gold gelagert

Schon das Vakzin herzurichten, das gesichert im kleinen Praxiskühlschrank lagert, als wäre es Gold im Tresor, braucht eine ruhige Atmung. Datum und Kühlung checken, Flüssigkeit prüfen, verdünnen, maximal genau und sauber auf sechs Spritzen aufziehen. "Wenn man das wertvolle Ding endlich mal selber in der Hand hat", sagt der Hausarzt, "hat man maximal Respekt davor, der Umgang damit ist für uns Hausärzte ja auch erst mal neu."

Der Hausarzt Dr. Til M. vor dem Kühlschrank, in dem das wertvolle Vakzin lagert. Seit Ostern impft er in seiner Praxis.
Der Hausarzt Dr. Til M. vor dem Kühlschrank, in dem das wertvolle Vakzin lagert. Seit Ostern impft er in seiner Praxis. © Daniel von Loeper

Neun Patienten schafft er bis 16 Uhr, darunter einen Rentner mit Diabetes, einen Speditionsmitarbeiter mit Vorerkrankung, eine junge Frau, die gerade eine Chemotherapie hinter sich hat. Und die 77-jährige Christa Bauer, der neulich ein irrer Idiot in der U6 einfach die Maske vom Gesicht gerissen und hämisch gesagt hat: "Jetzt brauchst koa Impfung mehr, oide Hex, jetzt hast Corona!" So jedenfalls erzählt sie das.

Sie habe so eine Panik bekommen danach. Und sei "sowas von glücklich, dass ich hier die Spritze bekommen hab", sie habe nämlich keinen Computer, um sich online bei einem Impfzentrum anzumelden und all das komplizierte Zeug.

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Ein irrsinniger Aufwand für kleine Praxen

Ein Segen für die Patienten, sagt der Arzt, dass die Hausärzte nun endlich mitimpfen können, "wir kennen doch unsere Leute, ich weiß, wer welche Erkrankungen hat und bei wem es eilt." Auch wenn es ein irrsinniger Aufwand für seine kleine Praxis sei, das Terminchaos irgendwie in den Alltag einzubauen. "Aber gottseidank bin ich nicht immer so ein Durchlauferhitzer", es gebe ja auch ruhigere Zeiten hier. "Wir wollen das einfach schaffen. Weil wir es schaffen müssen."

Am Empfang stapeln sich die gelben Impfausweise der Patienten, die nun endlich ihren Stempel bekommen.
Am Empfang stapeln sich die gelben Impfausweise der Patienten, die nun endlich ihren Stempel bekommen. © Daniel von Loeper

Auch beim Hausärzteverband sieht man das so, obwohl die Klagen vieler der 1.200 Münchner Hausärzte über das Organisationschaos - noch - groß sind. "Natürlich", sagt Vorstandsmitglied und Hausarzt Dr. Wolfgang Ritter, "alles hängt gerade davon ab, wie viel uns geliefert werden kann, aber das wird sich bald einspielen, wir müssen einfach das Ziel im Auge behalten, dann halten wir das auch durch."

Fantastische Bilanz nach zwei Wochen

Die Bilanz der ersten zwei Wochen sei trotz aller Schwierigkeiten "fantastisch, wir leisten mehr als alle Impfzentren". 22.964 Erstimpfungen hätten die Münchner Hausärzte in dieser kurzen Zeit geschafft. Damit sei das Impftempo seit Ostern verdoppelt worden.

Sechs dieser Spritzen lassen sich füllen mit einer Ampulle Vakzin.
Sechs dieser Spritzen lassen sich füllen mit einer Ampulle Vakzin. © Daniel von Loeper

Und ja, auch für nächste Woche ist Geduld gefragt. Denn jetzt schon ist klar: Eine Moderna-Lieferung wird ausbleiben, deshalb wird mehr Biontech-Vakzin an Impfzentren in Bayern gehen, das dann den Hausärzten abgezweigt wird. Die kriegen dafür mehr Astrazeneca-Dosen, die aktuell nur für Ältere empfohlen sind. "Heißt für uns Ärzte: Wir müssen noch mehr Zeit finden, die Patienten zu beraten." Nerven bewahren also, weitermachen. Und das Atmen nicht vergessen.

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