Hatte 30.000 Tote auf dem Tisch: Münchens erfahrenster Leichenpräparator im Interview

München - Wenn sie vor ihm auf dem Seziertisch liegen, sind sie alle gleich: Nackt – und vollkommen ruhig. Egal, ob sie Franz Josef Strauß, Rudolph Moshammer, Otto von Habsburg oder Lieschen Müller heißen. Alfred Riepertinger (63) hat in seinem 40-jährigen Berufsleben etwa 30.000 Tote behandelt, davon etwa 6.000 obduziert und 1.000 einbalsamiert.
Am Montag ist sein zweites Buch erschienen. In "Mumien" berichtet er über die eher seltenen, aber immer geruchlosen Toten, die ihn besonders faszinieren. Mit der AZ sprach er über berühmte Tote, Mumien, die in Münchner Wohnblocks gefunden wurden – und über sein eigenes Ende.
AZ: Herr Riepertinger, wie schaut wohl Rudolph Moshammer heute aus, den Sie 2005 einbalsamiert haben?
ALFRED RIEPERTINGER: Er wird eine Fettwachsleiche sein. Mosi war ja einigermaßen korpulent. Deshalb wird er nicht zu einer reinen Trockenmumie. Sehr schlanke Menschen werden die schönsten Mumien. Je korpulenter ein Mensch ist, umso leichter geht er nach dem Tod in Fäulnis über.
Würden Sie gern mal in Mosis Sarg schauen?
Oja! Sein Zinksarg hat ein Sichtfenster. Wir müssten nur in die Gruft gehen und den Mahagonideckel anheben, um zu erfahren, was aus unserer Arbeit geworden ist. Zehn Jahre nach Mosis Tod hatten wir angefragt. Doch die Anwälte, die seinen Nachlass verwalten, haben das abgelehnt.
Hat Moshammer sein Herz noch?
Ja, das hat er noch, die anderen Organe wurden entnommen und eingeäschert. Das hat man damals noch so gemacht.
Warum ist er - wie ja auch Franz Josef Strauß - überhaupt einbalsamiert worden? Es gab ja keinen Abschied am offenen Sarg.
Beide Male wurde der Sarg in Gebäuden aufgebahrt, die keine Friedhofsgebäude sind. Das Prinz-Carl-Palais oder die Allerheiligenhofkirche sind nicht für Tote gedacht. Wenn dort ein Sarg hineinkommt, muss aus hygienischen Gründen Vorsorge geleistet werden, dass nichts passiert. Außerdem wurde in beiden Fällen die gesetzliche Bestattungsfrist von 96 Stunden überschritten. Kofi Annan ist auch 100-prozentig einbalsamiert worden. Er wurde ja auch bei den Vereinten Nationen aufgebahrt, sonst könnte man das gar nicht bringen.
Was kann passieren? Gibt es Leichengift etwa doch?
Leichengift ist ein Märchen. Aber wenn ein Mensch erkrankt war, also zum Beispiel an Hepatitis litt oder an einer Blutvergiftung, kann man sich an austretenden Flüssigkeiten infizieren. Die Balsamierung ist eine hygienische Vorsichtsmaßnahme.
Promi oder Normalo – von ihm wird jeder Tote gleich behandelt
Macht es einen Unterschied, wer vor Ihnen liegt?
Natürlich, wenn Sie vor jemandem wie Franz Josef Strauß stehen, dann hält man kurz inne. An so jemanden wäre man zu Lebzeiten ja nie so nahe herangekommen. Und der liegt nun so ganz ruhig vor Ihnen – wie alle Toten. Aber von mir wird jeder Tote gleich behandelt. Egal, ob es ein Kind ist, ein Geistlicher, eine berühmte Persönlichkeit oder ein Tourist, den ich für die Überführung in seine Heimat vorbereite.
Wenn Sie eine Leiche konservieren bzw. balsamieren, welche Menge Ihrer flüssigen Spezialrezeptur müssen Sie in den Leichnam füllen?
Etwa sechs Liter. Bei einem 150-Kilo-Mann muss ich aber mehr injizieren.
Sie verwenden auch Kräuter?
Ja, in den Bauchraum legen wir eine Hand voll Kräuter: Pfefferminzblätter, Thymian, Lavendel, malaysische Pfeffergewürze und Nelken, ganz normale getrocknete Küchengewürze, die unsere Krankenhausapotheke mischt.
Warum tun Sie das?
Im Bauch entwickelt sich der Duft der Kräuter und tritt durch die Haut.
Die Leiche soll also einfach gut riechen?
Ja, ich bin halt noch vom alten Schlag. Andere sagen: Was soll der Käse ... ?
An Mumien arbeiten Sie am liebsten, das sei für Sie wie ein Feiertag, schreiben Sie. Warum?
Man hat es mit Menschen zu tun, die Teil der Geschichte waren. Wenn wir beispielsweise eine Adelsgruft untersuchen, in der der Adjutant von König Ludwig I. liegt, weiß man zunächst gar nicht, was einen erwartet, wenn man den Sarg öffnet – im Unterschied zu den jungen, frischen Toten. Man erfährt, welche Krankheiten dieser Mensch hatte, woran er gestorben ist. Das alles ist extrem spannend.
Im Seziersaal im Institut steht "Mortui vivos docent" – die Toten lehren die Lebenden. Was ist für Sie die größte Erkenntnis Ihrer Arbeit?
Ein jeder Toter stellt sein Leiden dar und gibt Geheimnisse preis. Er hat ein Vermächtnis und teilt das Wissen mit, was wirklich war. Das ist eine Wundertüte.
Unter welchen natürlichen Bedingungen können Tote zu Mumien werden?
Naturmumien entstehen, wenn die Umgebung trocken ist, keine Fliegen eindringen können und ein warmer oder kalter Luftstrom zirkuliert. Dann vertrocknet das Körpergewebe und schrumpft. Auch in vielen deutschen Särgen liegen Mumien – meist in Eichensärgen.
Das Institut simuliert eine Ägypter-Mumie mit einem Schwein
Sie haben 2012 am Institut ein Schwein einbalsamiert, das Sie in einem Holzsarg aufbewahren. Warum?
Ja, unser Münchner Pharao. Wir haben uns streng an die altägyptischen Vorgaben des Geschichtsschreibers Herodot gehalten, die im fünften Jahrhundert vor Jesus Christus dokumentiert wurden. Wir wollen herausfinden, welche Prozesse in einem einbalsamierten Leichnam ablaufen, und wie lange es dauert, bis aus einem Körper voller Flüssigkeit eine ausgetrocknete Mumie wird.
Wie läuft das Experiment?
Unser Schwein entwickelt sich wie eine ägyptische Mumie, wir müssen nur noch 2.000 bis 3.000 Jahre warten.
Es gab 2014 in einem Wohnhaus in der Blumenau einen Fall, der viele Münchner erschütterte. Eine Frau schlief fünf Jahre lang neben ihrer toten Mutter im Bett. Die Tote war mumifiziert.
Ja, das war eine sehr tragische Geschichte. Ich weiß ja nicht, ob das so angenehm ist, wenn man neben jemandem liegt, aus dem permanent die Leichenflüssigkeit ins Bett fließt. Sogar das Holz des Bettgestells war vollgesogen. Das hat sicher einige Zeit gedauert, bis das nicht mehr roch. Die Tochter hat gewiss das Fenster geschlossen gehalten. Sonst wäre das Ergebnis ein anderes gewesen.
Nämlich?
Dann wäre die Tote skelettiert gewesen. Denn es wären Fliegen gekommen und die Tote wäre voller Maden gewesen.
Da hätte sich die Tochter vermutlich nicht daneben gelegt ...
Das ist die Frage. Die Tochter hatte Angst vor dem Alleinsein. Sie wollte sicher keinen Sozialbetrug begehen, sondern sie wollte ihre Mutter nicht verlieren. Sie hatte sie schön angezogen und aufgebahrt. Das war ein ganz tragischer Fall. Ich bin mir sicher, früher wäre so etwas nicht so lange unentdeckt geblieben. Da hat man mehr aufeinander geschaut.
Welche Toten würden Sie gern noch sehen in Ihrem Leben?
Lenin würde mich noch interessieren. Aber ich möchte mich ungern in die lange Schlange stellen. Ich würde gern ganz in Ruhe dort stehen, wenn das Mausoleum geschlossen ist. Ich habe schon viele Mumien gesehen. Rosalia Lombardo, das Mädchen, das in der Kapuzinergruft in Palermo liegt, hat mich wahnsinnig beeindruckt. Die anderen latschen da durch – ich habe das richtig in mich aufgesogen. Ich stand auch schon minutenlang allein vor Ramses II. und der goldenen Originalmaske von Tutanchamun. Interessieren würde mich aber auch noch die Könige Ludwig. Da würde ich gern in die Särge schauen, um zu erfahren, in welche Zustand sie heute sind. Sie wurden ja beide balsamiert, die Rezeptur steht in meinem Buch.
Was soll mal mit Ihnen geschehen, wenn Sie tot sind? Möchten Sie auch einbalsamiert werden?
Nein. Ich möchte eingeäschert werden. Mein größter Wunsch wäre, dass meine Urne hier einen Platz findet, wenn das Institut vielleicht einmal zu einem mdizinhistorischen Museum wird, in dem ich die Vielzahl der Präparate selbst hergestellt habe.
"Mumien" von Alfred Riepertinger, 161 S., gebunden, 20 Euro.
Hier lagern Drogen, Geld, Waffen - und Sedlmayrs Schreibmaschine