Hartz IV in München: Ein echtes Armutszeugnis
Immer mehr Menschen leben in München von Hartz IV. Überproportional stark betroffen sind Kinder – bereits jedes achte wird laut Statistik als Bezieher von staatlicher Hilfe geführt.
MÜNCHEN Die Bundesregierung schwingt die Sparkeule und trifft dabei vor allem Familien – gerade im teuren München sind die angekündigten Einschnitte wie etwa die Streichung des Elterngelds für Hartz-IV-Familien (siehe S. 4) schmerzhaft.
Immer mehr Menschen in der Stadt sind von Armut betroffen. Das zeigt die neueste Ausgabe des Statistikwerks „München sozial“, das gestern im Stadtrat vorgestellt wurde. Die Zahl der Haushalte, die von Hartz IV leben, ist innerhalb eines Jahres um 7,5 Prozent auf insgesamt 42144 gestiegen – so der Stand im Dezember 2009. Das bedeutet gleichzeitig: 75174 Menschen müssen in München mit der staatlichen Stütze auskommen. „Die Langzeitarbeitslosigkeit wächst. Diese Wahrheit müssen wir zur Kenntnis nehmen“, sagt Sozialreferent Frieder Graffe.
Besonders alarmierend: die Entwicklung der Kinderarmut. Sie ist mit 8,1 Prozent überproportional gestiegen. Im Dezember 2009 bezogen genau 20523 Münchner Kinder Hartz IV. Das ist immerhin jedes achte Kind im Alter bis 14 Jahren. „Es ist ganz selbstverständlich geworden, zu sagen, dass Kinder ein Armutsrisiko sind“, beklagte Jutta Koller von den Grünen. Viel zu selbstverständlich.
Auffällig ist, dass die Fälle von Kinderarmut in Familien mit zwei Elternteilen innerhalb eines Jahres deutlich mehr geworden sind als etwa bei Alleinerziehenden. Warum das so ist? „Große Haushalte brauchen eine große Wohnung und müssen eine höhere Miete bezahlen“, heißt ein Erklärungsansatz aus dem Sozialreferat. Zudem hätten im Rahmen eines Spezialprogrammes viele Alleinerziehende neue Arbeit gefunden.
Die Statistik ist eindeutig: Im vergangenen Jahr kamen „nur“ 2,4 Prozent neue Haushalte von Alleinerziehenden als „Bedarfsgemeinschaften“ dazu, wie es im Amtsdeutsch heißt. Gleichzeitig wuchs die Zahl der Familien mit zwei Partnern, die ihre Familie nicht mehr alleine durchbringen konnten, um 11,8 Prozent.
Zusammen genommen brauchen in München 13547 Haushalte Hilfe, in denen Kinder leben. Sie müssen nach den schwarz-gelben Sparplänen künftig auch noch auf das Elterngeld verzichten. „Dieses Geld konnten sie sich zurücklegen“, sagt SPD-Stadtrat Christian Müller. Er nennt die Entscheidung der Bundesregierung „zynisch“.
Nicht nur Kinder müssen in München immer häufiger in Armut leben. Auch die Alten trifft es. Ende 2009 lag die Zahl der Menschen, die nur über die Runden kamen, weil sie „Grundsicherung“ bezogen“ bei 16259 – das sind 6,4 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Den meisten davon reicht die Rente nicht zum Leben. Und die Prognose ist deprimierend: Das Sozialreferat geht davon aus, dass im Laufe des aktuellen Jahres noch einmal fast 1000 Menschen dazukommen, die ihren Lebensabend in einer finanziell prekären Situation verbringen müssen.
Was das konkret bedeuten kann, wusste Stadträtin Koller zu berichten. Sie hatte ein Gespräch zwischen alten Menschen im Seniorenheim mitverfolgt. „Da ging es darum, wie oft und wann Hörgerate eingeschaltet werden – weil die Batterien so teuer sind.“
Was die Lage erschwert: Der Wohnungsmarkt zieht an. Die Erstbezugsmieten sind laut Sozialreferat 2009 auf 13,77 Euro pro Quadratmeter gestiegen. Julia Lenders
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- Christian Müller