Harte Drogen aus Grippemitteln hergestellt
MÜNCHEN - Zehn Angeklagte auf einmal sind für das Landgericht fast zu viel: 48 Menschen drängen sich im Schwurgerichtssaal, sie passen gerade so rein. Eigentlich findet hier der Prozess im Mordfall Krailling statt, doch weil es keinen größeren Raum gibt, muss der mutmaßliche Mörder Thomas S. woandershin ausweichen.
Zwischen Anwälten, Dolmetschern, Wachtmeistern und Richtern sitzen die Angeklagten: drei Deutsche, ein Chilene, eine Serbin und fünf Vietnamesen (23 bis 50). Die meisten sind arbeitslos, eine Frau ist Azubi, eine andere Sportlehrerin. Sie alle sitzen auf der Anklagebank – wegen des bandenmäßigen Handels mit der Droge Crystal-Speed.
Die breitet sich seit kurzer Zeit in ganz Bayern aus. Wer sie schnupft oder raucht, wird extrem süchtig, riskiert Gehirnschäden und Schlaganfälle (AZ berichtete). Die Bande soll den Grundstoff für die Herstellung dieses Teufelszeugs in Tschechien geliefert haben – so entstand Crystal im Wert von einer Million Euro.
Von August 2010 bis April 2011 ging die Bande laut Staatsanwaltschaft München II folgendermaßen vor: Sie kaufte 18 000 Packungen der bekannten Erkältungsmittel Rhino Pront und Reactine Duo in Versandapotheken und das in Deutschland unerlaubte Mittel Zyrtec-D in Ungarn auf.
Die Tabletten brachten sie im Auto nach Tschechien – im 7er BMW, im Audi A4, A6 oder im Renault Clio. In kleinen Käffern bei Prag kochten Chemiker das Mittel Pseudoephedrin aus den Pillen. Daraus mixten sie Metamfetamin-Base – grobkörnige Kristalle, Straßenname: Crystal.
1,3 Millionen Konsumeinheiten der Drogen wurden so hergestellt. Laut Staatsanwaltschaft sind sie auf dem Drogenmarkt rund eine Million Euro wert. Ein guter Ertrag, wenn man bedenkt, dass die Bande nur 70 000 Euro für die Tabletten ausgegeben hat.
Crystal ist vor allem in Nordbayern eine Plage: Tausende Bayern kaufen sie auf grenznahen Vietnamesenmärkten in Tschechien. Seit Jahren besorgen sich die Hersteller wiederum Grippemittel in fränkischen Apotheken. Die geben die Medikamente deshalb nur noch in kleinen Mengen ab. Über EU-Versandapotheken aber konnte die Bande rund 12 000 Packungen kaufen – bis eine Apotheke die Polizei alarmierte. Der Prozess dauert bis April.