Hans-Jochen Vogel: "Der Kaufhof am Marienplatz - eine Sünde"

Alt-OB Hans-Jochen Vogel über 50 Jahre Münchner Stadtentwicklung, den Erfolg seines Konzepts für die Zukunft der Stadt und über einen lässlichen Fehler, der ihn heute noch immer ärgert
von  Christian Pfaffinger
Als Gebäude zwar umstritten, für die Eigentümer aber mittlerweile eine wahre Goldgrube: die Galeria Kaufhof am Marienplatz.
Als Gebäude zwar umstritten, für die Eigentümer aber mittlerweile eine wahre Goldgrube: die Galeria Kaufhof am Marienplatz. © Daniel von Loeper

München - Es ist die Beichte eines erfolgreichen Mannes, der weiß, dass er im Großen und Ganzen brav gewesen ist. Trotzdem klopft sich Hans-Jochen Vogel grantig mit der Hand auf den Oberschenkel, als er den einen Makel, der ihn immer noch stört, zugibt. „Ich habe nicht viele Sünden in meiner Amtszeit gehabt“, sagt der Alt-OB, „aber das ist eine Sünde.“

Applaus brandet auf, er wehrt ihn mit einer Handbewegung ab, er ist noch nicht fertig. „Wenn ich höre, dass man den Kaufhof am Marienplatz unter Denkmalschutz stellen will, dann kann man das ja auch als Warnung verstehen...“

Er schmunzelt, jetzt lässt er sich den Applaus gefallen. Neben ihm sitzt Stadtbaurätin Elisabeth Merk, auch sie schmunzelt, obwohl sie zu denjenigen gehört, die den Kaufhof-Klotz eben gerne als Denkmal auszeichnen wollen. „Leider sind noch nicht alle so weit“, hat sie kurz zuvor gesagt. Im Saal sind offensichtlich die Meisten noch nicht so weit.

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Es ist eine der Szenen an diesem Dienstagabend in der recht vollen Rathausgalerie, die zeigen, was das trocken klingende Thema Stadtentwicklung so verzwickt macht: Es geht um Dinge, die jeder kennt, die jedem am Herzen liegen und zu denen jeder eine Meinung hat. Schließlich ist es kaum jemandem wurscht, wie die Stadt, in der man lebt, ausschaut. Und über Geschmack lässt sich streiten.

Hans-Jochen Vogel sitzt auf einer kleinen Bühne und spricht dort mit Elisabeth Merk darüber, wie München so wurde, wie es heute ist. Bei einer Diskussion im Rahmen der Ausstellung „Innenstadt weiterdenken“ blickt der ehemalige SPD-Oberbürgermeister auf die letzten 50 Jahre Münchner Stadtplanung zurück – und dabei natürlich vor allem auf die Entscheidungen in seiner Zeit als Oberbürgermeister von 1960 bis 1972.

In diese Zeit fällt auch die „Bausünde Kaufhof“. Bis 1969 stand am Eck zwischen Rosen- und Kaufingerstraße noch das Kaufhaus Roman Mayr, ein Jugendstilbau aus dem Jahr 1912, entworfen vom Büro der Architekten Jakob Heilmann und Max Littmann. Im Krieg wurde der prachtvolle Bau beschädigt, danach nach historischem Vorbild wieder hergerichtet, 1969 dann schließlich abgerissen. Am 18. Mai 1972 wurde das neue Kaufhaus eröffnet, in einem kantigen, wuchtigen Bau des Architekten Josef Wiedemann. Seither scheiden sich die Geister. Grotesk greislig meinen die anderen, mächtig mutig die anderen.

Vor dem Abriss des Roman- Mayr-Hauses hatte es eine Diskussion gegeben, es umzubauen. „Aber dann gab es die Abrisspläne und keiner wollte mehr groß was dran rütteln“, sagt eine Münchnerin, die damals bei den Behörden für Stadtplanung gearbeitet hat.

Alt-OB Hans-Jochen Vogel sagt dazu: „Es gab zwar rechtlich keine Möglichkeit, das aufzuhalten, aber es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben, die ich vielleicht nicht im nötigen Maße genutzt habe.“ Es ist die Reue dessen, der auf mehr Erfolge als Niederlagen zurückschauen kann.

Denn vor allem der Stadtentwicklungsplan, den der Münchner Stadtrat 1963 unter Hans-Jochen Vogel gebilligt hat, war zukunftsweisend. „Die Stadt drohte damals aus allen Nähten zu platzen“, sagt Vogel. „Nach dem Krieg kam zuerst die Bewältigung der Not, dann der Wiederaufbau, und jetzt wurde das Wachstum zu viel und zu schnell, um sich von Entscheidung zu Entscheidung zu hangeln.“

Deshalb ließ die Stadt einen Plan mit Prognosen und Leitlinien für die kommenden 30 Jahre entwerfen. Eine Maßgabe: Die Innenstadt sollte lebendiger, Fußgänger sollten bevorzugt und der öffentliche Nahverkehr gefördert werden.

Ein wichtiger Grundstein zum Beispiel für die Stammstrecke der S-Bahn. „Zwar stand im Plan noch die Tiefbahn, also die unterpflasterte Tram in der Neuhauser Straße, aber wir haben uns dann entschieden, den Auftrag an die leistungsfähige Bundesbahn zu geben.“ An den Leitlinien des Papiers wurde die künftige Entwicklung gemessen.

Eine Legende will der Alt-OB unbedingt aufklären: „Es stimmt nicht, dass Olympia die S- und U-Bahn gebracht hat!“ Im Februar 1965 wurde mit dem Bau begonnen, erst danach sei der damalige Präsident des Deutschen Sportbundes, Willi Daume, „mit der Olympia-Idee“ zu ihm gekommen.

Nach der Bewerbung fiel die Entscheidung für München als Austragungsort der Olympischen Spiele 1972 innerhalb von 66 Tagen. „Da kann man auch weniger Fehler machen, wenn man nur 66 Tage hat“, sagt Vogel dazu. Er ist an diesem Abend im Rathaus recht gut gelaunt.

„Olympia 1972 kommt mir heute noch wie ein großes Wunder vor“

Die Spiele sieht Vogel heute noch als einen seiner schönsten Erfolge. „Es kommt mir heute noch wie ein großes Wunder vor.“ Die Stadt habe die Kraft gehabt, das Erbe der Olympischen Spiele aufzufangen und zu integrieren.

Und in Zukunft? Er wolle sich mit Ratschlägen zurückhalten, sagt Vogel. Er wünsche sich aber einen gescheiten Konzertsaal-Neubau, die zweite Stammstrecke und dass die Stadt sich in die Region ausbreitet, statt dichter zu werden. „Für konkrete Aussagen fehlen mir aber die Akten, die ich früher immer auf meinen Tisch gekriegt habe.“

Wieder Lachen und Applaus. Das Publikum hat dem Sünder vergeben.

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