Hans Fricke: Naturschützer, aber kein Umweltaktivist

Hans Fricke hat 10.000 Stunden unter Wasser verbracht, hat zwei Tauchboote gebaut und ist 420 Meter tief im Meer gewesen.
von  Jasmin Menrad
In den Korallenriffen des Roten Meeres begann Frickes Forscherkarriere.
In den Korallenriffen des Roten Meeres begann Frickes Forscherkarriere. © Helena Heilig

München -  AZ-Interview mit Hans Fricke. Der Biologe (78) ist Honorarprofessor an der LMU. Sein Forschungsgebiet sind die Ökologie und das Sozialverhalten mariner Organismen, aber der Pöckinger Hans Fricke hat auch ein Unterwasserhaus gebaut, abgestürzte Flugzeuge geborgen und ein lebendes Fossil gefunden. In der AZ erzählt er von einigen seiner 10.000 Stunden unter Wasser.

AZ: Herr Fricke, wann haben Sie zuletzt den Kopf unter Wasser gesteckt?
HANS FRICKE: Im November.

Das ist lange her.
Es ist Corona, da kann man nirgendwo hinfahren.

Aber Sie leben doch am Starnberger See.
Ich tauche nicht mehr im Süßwasser. Ich habe keine großen Forschungsprojekte im Flachwasser. Ich gehe nur noch ins Meer.

Was erforschen Sie derzeit?
Ich untersuche die Empathie der Anemonenfische.

Wie macht man das?
Anemonenfische erkennen sich individuell, haben ein phänomenales Gedächtnis. Sie sind also hoch sozialisiert und leben das ganze Leben als Paar zusammen. Was ich mache: Ich narkotisiere einen Fisch und lege ihn flach auf den Boden. Da könnte der Partner denken, dass er tot ist oder dass diese Lage für einen Fisch ungewöhnlich ist. Was der Partner dann macht: Er schwimmt an den Rand und versucht ihn durch Bewegungen mit dem Kopf wieder aufzurichten. Und der fällt natürlich immer wieder um. Ich habe auch Kontrollversuche gemacht und einen narkotisierten fremden Fisch hingelegt. Der wurde angegriffen und auseinandergenommen.

"Es ist so, wie wenn Astronauten ins All abtauchen"

Sie waren auch viel mit Ihren Tauchbooten unterwegs, haben allein in Alpenseen 423 Tauchfahrten unternommen.
Ich bin nicht mehr im Besitz der Tauchboote. Die Geo ist im Deutschen Museum, das andere, die Jago, ist an das Geo-Forschungsinstitut übereignet.

Was war Ihr tiefster Tauchgang?
420 Meter war das Tiefste. Auf den Bermudas war das.

Wie kann man sich das vorstellen, so tief abzutauchen?
Wenn Sie mit dem Boot im Freiwasser unterwegs sind, sehen Sie unter sich nur blau. Das Blau wird dann dunkelblau und wenn Sie noch tiefer gehen, wird es schwarz. Wenn Sie im Freiwasser tauchen ist es so, als wenn Astronauten ins All eintauchen. Deshalb haben wir das als inneren Raum der Erde bezeichnet. Das ist, als würden Sie durch die Unendlichkeit des Raumes fahren. Deshalb habe ich mein Buch "Unterwegs im blauen Universum" genannt.

Erzählen Sie, wie Sie in der Tiefe Quasti getroffen haben.
Als ich in meinem Unterwasserhaus im Roten Meer saß, habe ich die Geschichte vom Quastenflosser gelesen. Ein Fischer auf den Komoren hatte ihn gefangen, eineinhalb Meter groß, keiner wusste, um was für einen Fisch es sich handelt. Marjorie Courtenay-Latimer vom Naturhistorischen Museum East London hat ihn auf einem Markt entdeckt und sich ihren Verdacht von einem Professor James Smith, einem Südafrikaner, bestätigen lassen. Der Nachfahre eines Quastenflossers – sie galten seit 70 Millionen Jahren als ausgestorben. So kam der Fisch in die Wissenschaft. Smith beschrieb den Fisch als neue Art und neue Gattung, zu Ehren von Miss Latimer als Latimeria chalumnae, 1938 war das. Danach sind zwölf Expeditionen ausgelaufen und haben versucht, den Fisch auf den Komoren zu finden. Sie waren alle erfolglos, auch Kapitän Cousteau versuchet es zweimal vergebens.

Was haben Sie gemacht?
Ich habe die ganze Literatur gelesen, unter anderem über das Blut des Quastenflossers, das die optimale Hämoglobinsättigung bei 15 bis 19 Grad Temperatur hat. Die Oberfläche auf den Komoren ist aber über 30 Grad warm, deshalb lebt der Fisch nicht im Flachwasser. Ich habe bei Temperaturen unter 20 Grad gesucht, aber nichts gefunden. Allerdings bin ich nur tagsüber getaucht und der Quastenflosser ist nachtaktiv. Durch eine Zufallsbeobachtung hat ein Mitarbeiter von mir ihn tagsüber in Höhlen gefunden.

"Es gab keinen See in Deutschland, wo wir nicht runter konnten"

Der Quastenflosser wurde eine Berühmtheit.
Er war auf der Titelseite der "New York Times". Ich kokettiere damit, weil ich sage, ein Fisch hat die Größen der Politik auf hintere Seiten vertrieben.

Sie waren aber auch wegen eines Nazigeldfundes im Toplitzsee und spektakulären Rettungsaktionen in den Schlagzeilen.
Wir waren die einzigen in Deutschland, die problemlos in die Tiefen kamen, es gab keinen See, wo wir nicht runter gekonnt hätten. Da sind wir von vielen Leuten angeschrieben worden. Ich habe das rundherum abgelehnt. Aber wir kamen nicht umhin, bei Abstürzen von Flugzeugen zu helfen. Da kam ein Sicherheitsbeauftragter von MBB zu uns, weil ein MBB-Hubschrauber im Bodensee abgestürzt war. Wir holten ihn später hoch. Dann stürzte eine Cessna ab und das wurde ein übler Fall, weil da wahrscheinlich das organisierte Verbrechen dabei war. Angeblich wurde Caesium nach Paris geschmuggelt.

Geht man in solchen Fällen heute noch mit Tauchbooten runter?
Man setzt heute gern ROV – Remotely operated underwater vehicle – ein, also Tauchroboter, denn die sind billiger als ein Tauchboot. Aber: Da sind Grenzen gesetzt. Wenn Sie mit einem Tauchboot fahren, haben Sie einen 180 Grad Blickwinkel, der ROV schaut immer nur vor sich. Aber für viele wissenschaftliche Einsätze sind diese ROV eine hervorragende Technologie. Ich wollte im letzten Herbst mit unserem Tauchboot die GPS-Positionen von Höhlen in einem Küstenabschnitt von acht Kilometern messen, in dem wir seit 21 Jahren eine Population von 145 Quastenflosser beobachteten und Höhlen- und Populationskontrollen durchführten. Mit einem ROV kann man dieselbe Arbeit günstiger machen, wenn man weiß, wo die Höhlen sind. Da haben wir einen Antrag über 384 000 Euro gestellt, aber so ein Stinker-Professor hat verhindert, dass die Quastenflosser-Forschung weitergeht. Der Mann hat mich so in die Pfanne gehauen.

Meinen Sie, Sie kriegen noch irgendwoher Geld für Quasti?
Wie denn? Es geht um 384.000 Euro. Ein Sponsor gibt mal 10.000 oder 20.000 Euro. Ich bemühe Hochseeschiffe, da gehen die ganzen Gelder drauf.

Jetzt würde ich gerne noch drei Begriffe nennen und Sie sagen, ob das Wort auf Sie zutrifft.
Aha.

Naturschützer.
Natürlich, aber ich bin kein Umweltaktivist. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass ich alle Sachen, die ich unter Wasser gesehen habe, dokumentiert und den Medien zur Verfügung gestellt habe. Für das ZDF habe ich "Adieu, Paradies" über die Machenschaften im Golf von Akaba gedreht. Heute haben die Israelis einen fantastischen Naturschutz. Damals, vor fast 50 Jahren, haben sie 95 Grad warme Ausflüsse einer Entsalzungsanlage ins Meer geleitet. Dort war das Korallenriff verschwunden. Ich habe das Gebiet als Student kartographiert und immer wieder mit den identischen Methoden untersucht. Da, wo sie die Soße eingeleitet haben, war alles tot. Aber es sind neue, schnellwachsende Arten dazugekommen und die haben Korallenfresser angezogen. Durch Pionierarten sind neue Gesellschaften entstanden, das ist evolutionsbiologischer Alltag nach einer Katastrophe.

"Abenteurer? Ich gehe nicht raus, um mich totschießen zu lassen"

Sind Sie Fischversteher?
Das ist ein bescheuerter Ausdruck. Wenn Sie lange auf Fische gucken, lernen Sie allerhand über sie. Ich hatte Ihnen gesagt, dass Fische ein unglaubliches Gedächtnis haben können, dass sie soziale Bindungen haben, Probleme lösen. Es gibt einen Drückerfisch, der isst gerne Seeigel und wenn die versteckt sitzen, dann guckt sich der Fisch diese Situation an und befreit den Seeigel ganz gezielt durch das Wegtragen von Hindernissen. Der kann räumliche Probleme lösen.

Und, sind Sie ein Abenteurer?
Ich bin kein Abenteurer. Ich gehe nicht raus, um mich draußen tot schießen zu lassen oder mit Luftanhalten 300 Meter tief zu tauchen, das ist nicht mein Stil. Aber durch das Reisen sind Dinge passiert, die Abenteuer sind. Ein Fall war ein schwarzes Loch, das in einen Berg führte, Araber nannten ihn den "Berg des Öles". Ich habe das Loch in einer verlassenen Siedlung entdeckt, war neugierig, bin eingetreten und habe Erdöl gerochen. Dann fiel ich der Länge nach hin und rutschte langsam einen Abhang herunter, ruderte mit den Armen, rutschte immer weiter und bekam Gott sei Dank einen Stein zu fassen. Ich kroch ölverschmiert auf allen vieren zurück zum Eingang. Dann nahm ich einen Stein und schmiss ihn in die Schwärze. Es dauerte einige Sekunden, bis es schlipp machte und ich hörte, wie der Stein in eine zähe Flüssigkeit fiel. Das war ein Schacht mit Öl. Dieses Abenteuer habe ich nicht gesucht.

Gehen Sie unbeschadet aus solchen Erlebnissen hervor?
Später, wenn ich in einem Zimmer war und den Vorhang nicht richtig zugezogen hatte und da fiel ein Lichtstrahl durch den Schlitz, hatte ich immer das Gefühl, wieder in diesem Schacht zu sein.

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