„Habe reines Gewissen“

Prozess um deutsche Kriegsverbrechen: Der Angeklagte Josef S. (90) fühlt sich von der Justiz ungerecht behandelt.
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MÜNCHEN - Prozess um deutsche Kriegsverbrechen: Der Angeklagte Josef S. (90) fühlt sich von der Justiz ungerecht behandelt.

Wenn er will, erinnert sich der frühere Schreinermeister Josef S. sehr genau. „Bergmütze, Berghosen, Bergschuhe haben wir getragen“, erwiderte der 90-jährige Ottobrunner am zweiten Prozesstag auf die Ausführungen des ungarischen Experten für Wehrmachts-Uniformen. Der hatte es für möglich gehalten, dass Gebirgspioniere auch einmal Stiefel getragen haben könnten. Der Experte sei wohl zu jung, um zu sagen, „wie wir im Krieg ausgesehen haben“, bemerkte Josef S. spitz. Dem ehemaligen Gebirgspionier wird zehnfacher Mord vorgeworfen. Er soll am 27. Juni 1944 laut Anklage die Sprengung eines Hauses im toskanischen Falzano angeordnet haben, in das die Gebirgsjäger zuvor Dorfbewohner getrieben hatten. Zehn Männer starben in den Trümmern.

Doch in einer ersten Vernehmung im Januar 2005 hatte der Kompanieführer zu den Vorwürfen erklärt: „Ich habe ein reines Gewissen.“

„Ich war bei diesem Einsatz nicht dabei.“

Er erinnerte sich in der Vernehmung aber, dass am 26. Juni 1944 zwei Soldaten seiner Kompanie von Partisanen getötet wurden. Ein Foto zeigt Josef S. bei der Bestattung der beiden Kameraden. Die Sprengung des Hauses war ein Racheakt.

Doch Josef S. beteuert: „Ich war bei diesem Einsatz nicht dabei.“ Er habe bis zur Vernehmung nicht einmal davon gewusst. „Ich fühle mich ungerecht behandelt.“ Gegenüber den Ermittlern machte er stattdessen immer wieder Erinnerungslücken geltend.

Verhandlungsfähigkeit ist gegeben

Die Verteidiger von Josef S. – unter ihnen nun auch der Münchner Anwalt Klaus Goebel – zweifeln an der Verhandlungsfähigkeit ihres Mandanten. Und das, obwohl ein Bogenhausener Internist zuvor in seinem Gutachten zwar die Hör- und Sehbehinderung festgestellt hatte, aber zu dem Schluss gekommen war, dass der 90-Jährige in der Lage sei, dem Prozess zu folgen.

Sein Mandant könne sich aber nicht einmal erinnern, dass er untersucht worden sei, erklärte Goebel nach einer Verhandlungspause. Ein weiterer Gutachter soll nun morgen seine Untersuchungsergebnisse zur geistigen Fitness des Angeklagten näher erläutern.

Der Nebenklage hat sich inzwischen auch Gino M. angeschlossen. Der damals 15-Jährige überlebte als einziger die Sprengung des Hauses, weil ihn ein Balken vor den Trümmern schützte. Gino M. wird am 7. Oktober als Zeuge erwartet.

John Schneider

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