Gutachter: OEZ-Amoklauf war rechtsextremes Hassverbrechen

Drei Gutachter haben die Hintergründe zum Massenmord am OEZ untersucht. Alle schätzen David S. als rechtsextrem ein – die Polizei will die Bewertung „aufnehmen“.
München - Über ein Jahr nach dem Massenmord am OEZ mit neun Todesopfern aus Einwandererfamilien, streiten Politiker, Juristen und Ermittler immer noch darüber, ob der extrem fremdenfeindliche David S. politisch motiviert gehandelt hat oder nicht. Also ob er ein Rechtsextremist oder Rechtsterrorist war. Wenn ja, müsste das Verbrechen auch in der Kriminalstatistik anders eingeordnet werden.
Am Freitag hat ein leitender Beamter des Landeskriminalamtes nun angekündigt, die Gutachten von drei Wissenschaftlern zu prüfen. Kriminaloberrat Jürgen Miller, der die Soko OEZ leitete, sagte im Rathaus: "Wir werden diese Bewertungen mit aufnehmen." Nach einem Antrag des Münchner CSU-Stadtrats Marian Offman, mögliche politische Hintergründe und Folgen des Verbrechens aufzuklären, hatte die Stadt drei Gutachter beauftragt. Am Freitag trugen sie ihre Ergebnisse bei einem Expertengespräch im Rathaus vor.
Gutachten: David S. hatte sich rassistisch radikalisiert
Die Wissenschaftler kamen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass David S. sich rassistisch radikalisiert hatte. Außerdem sind sie sich einig, dass der Massenmord als Hasskriminalität im Sinne der politisch motivierten Kriminalität rechts einzuordnen ist. Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb spricht von Rechtsterrorismus (siehe unten). Er sieht in David S. einen sogenannten Einsamen-Wolf-Terroristen – „einem seltenen, wenngleich immer häufiger vorkommenden Sonderfall des Terrorismus“. Die Wissenschaftler bekamen Einblick in die – seit März geschlossenen – Ermittlungsakten.
Polizei und Staatsanwaltschaft waren im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, dass das Hauptmotiv von David S. Rache war. Sie stützten sich dabei auch auf die Analyse des Münchner Profilers Alexander Horn, darin heißt es: David S. sei "ein psychisch gestörter Jugendlicher, der Opfer von Mobbing und körperlichen Misshandlungen wurde und hierdurch selbstwertbelastende Kränkungen erlebte". Das Landesamt für Verfassungsschutz, das keinen Vertreter zur Expertenrunde schickte, konstatierte: David S. sei eher ein "psychisch kranker Rächer" als ein "terroristischer Kämpfer".
Ein Verbrechen, das in keine Schublade passt
Einig waren sich wohl alle Zuhörer im Rathaus, dass die Tat am OEZ in keine "Schublade" passt. Eher beiläufig kam ein bislang unbekanntes Detail ans Licht: Der 18-Jährige sympathisierte mit der AfD. Aus der Sicht von David S., dessen Eltern aus dem Iran stammen (für S. das "Land der Arier"), kamen zu viele Ausländer nach Deutschland. Kurz vor der Tat sagte er zu einem Freund, er wolle Deutschland vor einer "Schwemme von Wirtschaftsflüchtlingen" bewahren.
Die Bewertung der Tat hat möglicherweise auch Einfluss auf den Prozess gegen Philipp K., der derzeit vor Gericht steht. Der 32-Jährige verkaufte David S. die Mordwaffe.
Die drei Gutachten im Vergleich:
Gutachten 1: Terror aus tiefstem Hass
Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb kommt zu dem Schluss, dass die Morde am OEZ neu bewertet werden müssen. "Dass sich David S. vorrangig rächen wollte, weil er jahrelang gemobbt worden war, reicht als Erklärung nicht aus", sagte der Passauer. Der Täter David S. sei ein sogenannter einsamer Wolf gewesen, der einen Terroranschlag verübt habe. Gerade eine "persönliche, individualisierte Kränkungsideologie" mache diesen Typus des Terroristen aus. Dazu kamen bei David S. unter anderem der Stolz, ein Arier und Deutscher zu sein und der exzessiv-explosive Hass gegenüber Türken, Albanern und Bosnier – dies führte auch zur Auswahl der Opfer. Ein rechtsextremes Muster sei auch, dass er aus seiner Sicht das Volk vor "Überfremdung oder Zersetzung" geschützt werden müsse. David S. wollte München – sein Vaterland – vor Deutschtürken befreien.
Gutachten 2: Krankheiten als Antrieb
Christoph Kopke, Professor für Politik und Soziologie, kommt zu dem Ergebnis , dass der Antrieb für die Tat vorrangig psychische und psychiatrische Erkrankungen waren. Offensichtlich aus narzisstischer Kränkung und Empathielosigkeit (vermutlich wegen des Aspergersyndroms) habe David S. einen "öffentlich vollzogenen Massenmord" begangen, um sein Leben zu beenden, das ihm sinnlos erschien – und gleichzeitig vermeintlich Schuldige bestraft. Auffällig für den Berliner Professor ist jedoch die Bewunderung für den Massenmörder Anders Breivik wegen dessen rassistischer und muslimfeindlicher Positionierungen. Kopke: "Für subjektiv erlittenes Unrecht machte David S. eine rassistisch konstruierte Gruppe verantwortlich. Indem er gezielt Angehörige dieser Gruppe, ermordet, erfüllt die Art der Tatbegehung die Kriterien eines Hassverbrechens."
Gutachten 3: Mobbing nur Mitursache
Für den Soziologen und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent war David S. ein allein handelnder Terrorist. "Durch die gruppenbezogene Auswahl der Opfer aus Einwanderungsfamilien wird die Mehrfachtötung zum rassistischen Hassverbrechen." Der Forscher mahnt: "Wenn die Tat nicht als Hassverbrechen und damit als ,politisch motivierte Kriminalität’ eingeordnet wird, werden die vorurteilsgeleiteten Zuschreibungen des Täters (Deutschtürke = Mobber und Untermensch = selbst schuld) die kollektiv Betroffenen erneut schädigen." Die Art der Tat am OEZ sei zwar in Deutschland einmalig, jedoch nicht weltweit. "Psychische Erkrankungen, Amok, Rassismus und Terrorismus schließen sich nicht aus", so der Forscher. Mobbing und das Rachemotiv könnten nur als Mitursachen für rassistischer Vorurteile gesehen werden.
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