Gustl Mollath: „Ich gehe lieber ins Gefängnis“

Gustl Mollath hat seinen großen Auftritt im bayerischen Landtag. Endlich kann er alles aus seiner Sicht schildern – auch, warum er Haft der Anstalt vorzieht
München - Seinen Schnurrbart hat Gustl Mollath fein gestutzt. Er trägt zur hellen Hose ein rotes Polohemd unter dunkelblauem Sweatshirt. Seine Schultern lässt er hängen, als er um 13.15 Uhr den Konferenzsaal des Landtags, wo sonst die CSU ihre Fraktionssitzung abhält, durch die Hintertür betritt. Seine Unterstützer jubeln und empfangen ihn mit Standing Ovations.
„Wir sind keine Talkshow und auch keine allgemeine Belustigung“, weist der Chef des Untersuchungsausschusses, Florian Hermann (CSU), sie zurecht. „Hier wird nichts getwittert und auch kein Bild ins Facebook gestellt.“
Seine Personalien gibt Mollath mit ruhiger, gefasster Stimme an: „Gustl Ferdinand Mollath. Zur Zeit gegen meinen Willen untergebracht im Bezirkskrankenhaus Bayreuth.“ Ausführlich erzählt er seine Geschichte, legt Wert auf jedes kleinste Detail. Er versichert: „Ich habe mich nicht verändert.“ Das könnten auch Menschen bezeugen, die ihn aus seiner Kindheit kennen. In die psychiatrische Anstalt, sei er „geworfen“ worden, nach „überfallartigen Festnahmen“. Das wünsche er nicht mal seinem ärgsten Feind.
Wenn er „fälschlicherweise weiter als gemeingefährlich“ angesehen werde, fleht er die Abgeordneten an, dann wolle er lieber in ein Gefängnis. „In der Anstalt ist es jetzt schon unerträglich, wenn Sie Jahre lang nicht schlafen können.“ Alle zwei Stunden werde er nachts kontrolliert, „wo ich immer aufwache“. Mollath ist von seiner Verschwörungstheorie überzeugt.
Sein Dreh- und Angelpunkt ist das Schwarzgeld bei der HypoVereinsbank. „Ich musste diese Schwarzgeldgeschäfte miterleben“, versichert er. Den Revisionsbericht der HypoVereinsbank, der den nachprüfbaren Teil seiner Vorwürfe bestätigt hat, kritisiert Mollath: „Das waren viel größere Summen.“ Seine Frau sei auf Weisung von oben tätig gewesen. „Mir war’s als von Anfang miterlebender Ehemann mulmig“, erzählt er. Diese illegalen Geschäfte hätten nicht zugelassen, dass er „tatenlos zusehe“.
„Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer schlimmer“, sagt er. Weit entfernt sei er lange davon gewesen, eine Strafanzeige zu stellen. Dann aber sei er parallel dazu in „eine Scheidungssituation“ geraten. Seine Frau sei „sehr impulsiv“, sagt er. „Wenn sie ihren Kopf nicht durchsetzen kann, dann hat sie ein bestimmtes Rumpelstilzchenverhalten.“ Hinter seinem Rücken habe sie ein Verhältnis mit einem Hypo-Manager begonnen. Dann sei sein Haus von zwölf Polizisten durchsucht worden. „Es wurde eine Strategie betrieben, mir jeden wirtschaftlichen Boden zu entziehen“, so Mollath. Körperlich misshandelt habe er seine Frau nie.
Früher als erwartet, war Mollath um 10.30 Uhr im Landtag eingetroffen. Er hoffe, dass „alles gut wird“, sagte er, als er von vier Polizisten in den Raum EN 115 geführt wurde. Es sollte sein ganz großer Tag werden. Doch seine Ex-Frau macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Monatelang hatte sie geschwiegen.
Ausgerechnet am Dienstag schlägt Petra M. im „Nordbayerischen Kurier“ zu. Sie bezichtigt ihren geschiedenen Mann der Lüge. Er sei gewalttätig gewesen, behauptet die 52-Jährige, die nun als Geistheilerin tätig ist. Immer wieder habe er sie geschlagen. Deshalb habe sie ihn verlassen. „Es war furchtbar“, sagt sie. Wie in einer Zwangsjacke habe sie sich in ihrer Ehe gefühlt. Er sei ein eifersüchtiger Mann gewesen, der sie kontrollieren wollte. Petra M. bestreitet, dass Schwarzgeld-Schiebereien jemals ein Thema in ihrer Ehe waren. Erst nach der Trennung sei das Thema aufgekommen.
„Zu der Frau sag ich gar nichts“, schüttelt Wilhelm Schlötterer, der Rächer im Amigo-Sumpf, den Kopf. Er, der frühere Steuerfahnder, steht Mollath als sein engster Vertrauter zur Seite. Für den Ex-Spitzenbeamten im bayerischen Finanzministerium, der selbst mundtot gemacht werden sollte, weil er im CSU-System Widerstand leistet, ist das eine neue Mission. Als Schlötterer 2004 sein Buch „Macht und Missbrauch“ über die CSU-Regierung veröffentlicht hatte, schrieb ihm Mollath von seinem Schicksal. „Damals sah alles noch so hoffnungslos aus“, sagt Schlötterer zur AZ. „Ich bin zutiefst befriedigt, dass wir bis hierher gekommen sind.“
Seit sieben Jahren ist Mollath in der Anstalt weggesperrt. Dort schottet er sich in seinem Alltag ab. Er schreibt Briefe an Journalisten, Unterstützer, Anwälte, Politiker. Mit Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein hatte er einen regen Schriftverkehr. Mollath hat eine Weihnachtskarte mitgebracht, die ihm Beckstein 2006 geschrieben hat. Wie eine Trophäe hält er sie hoch. Hellblau mit ausgeschnittenen Weihnachtsbäumen. „Wenn mir jemand eine Weihnachtskarte schreibt, dann kenn’ ich den“, wird seine Stimme etwas lauter.
An sich ran hat Gustl Mollath in all den Jahren niemanden gelassen. Eine psychiatrische Behandlung verweigert er. Ärzten und Betreuern will er nichts von sich preisgeben. „Ich habe keine Wahnvorstellungen. Ich bin kein Patient. Ich bin ein Gefangener.“ Immer wieder sagt er das. Kaum zwei Monate ist es her, da wurde Mollath wieder vor Gericht begutachtet. So wie seit seiner Einweisung 2006 jedes Jahr überprüft wird, ob seine Unterbringung gerechtfertigt ist.
Schlötter hat keinen Zweifel daran, dass Mollath aus der Psychiatrie freikommen muss. Doch so schnell geht das nicht. Sechs Stunden hat die Anhörung gedauert. Fast drei Mal so lang wie sein Auftritt im Landtag. Die Psychiater halten ihn weiter für gefährlich. Klaus Leipziger, Chefarzt des Bezirksklinikums Bayreuth, warnt unverändert. Er sehe keine „prognoserelevanten Veränderungen im Hinblick auf die zu erwartende Gefährlichkeit des Herrn Mollath“. Das Gericht entscheidet: Mollath kommt vorerst nicht frei. Erst werde abgewartet, ob sein Verfahren wirklich neu aufgerollt wird.
Am Dienstagabend wird Mollath wieder zurückgebracht, 235 Kilometer vom Landtag in München ins Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Dort kann er nun in seinem Einzelzimmer weiter warten, auf ein Leben in Freiheit. Oder im Gefängnis? Auf seiner Internetseite hat er eine Uhr laufen, mit seinen „gestohlenen Lebenstagen“: Wenn er am Tag nach seinem Auftritt im Landtag wieder gerädert in seinem Bett aufwacht, sind es genau 2662 Tage in der Anstalt.